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BB 2020, I
Spittka 

Das Recht auf Vergessenwerden – ein Anspruch mit vielen Variablen

Abbildung 1

Das Internet vergisst nicht. Wenn dieser Allgemeinplatz auf das Paradigma des Datenschutzrechts, nämlich die “Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen” (BVerfG, 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u. a., NJW 1984, 419, 421) trifft, ist der Konflikt vorprogrammiert. Seit der EuGH 2014 das “Recht auf Vergessenwerden” als spezifischen Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten im Onlinekontext anerkannt (EuGH, 13.5.2014 – C-131/12, K&R 2014, 502) und es als Synonym für das allgemeine Recht auf Löschung Eingang in die vieldiskutierte Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gefunden hat, ist es an den Gerichten, im Einzelfall die Balance zwischen diversen wiederstreitenden Interessen zu finden. Ende Juli hat der BGH das Recht auf Vergessenwerden in zwei Entscheidungen im Zusammenhang mit Auslistungsbegehren gegen den Internet-Suchdienst von Google einerseits weiter konkretisiert (BGH, 27.7.2020 – VI ZR 405/18) und anderseits dem EuGH weitere Fragen zur Entscheidung vorgelegt (BGH, 27.7.2020 – VI ZR 476/18).

Da es sich auch bei der Darstellung von Suchergebnissen über eine natürliche Person durch einen Internet-Suchdienst um eine Verarbeitung personenbezogener Daten handelt, steht der betroffenen Person gegen den Anbieter der Suchmaschine grundsätzlich ein Anspruch auf Löschung nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO zu (EuGH, 24.9.2019 – C-507/17, K&R 2019, 716, 717). Der Anspruch auf “Vergessenwerden” besteht aber nur, wenn einer der Tatbestände des Art. 17 Abs. 1 lit. a) bis lit. f) DSGVO erfüllt ist. Hier kommen in der Regel Art. 17 Abs. 1 lit. a) DSGVO (Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig), Art. 17 Abs. 1 lit. c) DSGVO (Widerspruch der betroffenen Person und keine vorrangigen berechtigten Gründe für die weitere Verarbeitung) oder Art. 17 Abs. 1 lit. d) DSGVO (Datenverarbeitung war von Anfang an rechtswidrig) in Frage. Allein das Vorliegen eines Löschungsgrundes genügt jedoch nicht. Gemäß Art. 17 Abs. 3 lit. a) DSGVO ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn die Verarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist. Hieran knüpfen sowohl der EuGH (EuGH, 24.9.2019 – C-507/17, K&R 2019, 716, 718) als auch das BVerfG (6.11.2019 – 1 BvR 276/17, K&R 2020, 59, 61) an und verlangen eine umfassende Abwägung zwischen dem Grundrecht der betroffenen Person auf Datenschutz einerseits und der unternehmerischen Freiheit des Suchmaschinen-Betreibers, den Interessen der Suchmaschinen-Nutzer und der Öffentlichkeit (Informationsfreiheit) sowie den Grundrechten der Website-Betreiber mit den Presseberichten (Meinungsfreiheit) andererseits. Es gibt keinen automatischen Gleichklang. Nur weil beispielsweise der Website-Betreiber die Informationen veröffentlichen durfte, heißt dies nicht, dass der Suchmaschinen-Betreiber auch auf diese Informationen verlinken darf. Gerade der Zeitfaktor ist zu berücksichtigen.

Nun war es am BGH, diese Grundsätze in zwei Fällen anzuwenden. Im ersten Fall ging es um die Klage des Geschäftsführers eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation, die im Jahr 2011 ein Millionendefizit aufwies. Kurz zuvor meldete sich der Kläger krank. Über beides berichtete seinerzeit die regionale Tagespresse unter Nennung des vollen Namens des Klägers. Der Kläger begehrte nunmehr von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine “Google”, es zu unterlassen, diese Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste darzustellen. Der zweite Fall betraf die Klage zweier Personen gegen Google, die in leitender Funktion bei Anbietern von Finanzdienstleistungen tätig waren. Auf einer Website erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell dieser Anbieter auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der Kläger bebildert. Google hat erklärt, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.

Im ersten Fall wies der BGH die Klage mangels hinreichenden Zeitablaufs ab. Im zweiten Fall hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Fragen vorgelegt, wie mit Tatsachenbehauptungen und auf Tatsachenbehauptungen beruhenden Werturteilen umzugehen ist, wenn der Anspruchsgegner die Wahrheit der Aussagen nicht überprüfen kann und, ob der Auslistungsanspruch auch Vorschaubilder, sog. “tumbnails” umfasst.

Die Entscheidungen des BGH machen noch einmal deutlich, dass das Grundrecht auf Datenschutz und auch die DSGVO keinen Anspruch auf Vorrang gegenüber Grundrechten anderer beteiligter Akteure haben. Vielmehr ist immer eine umfassende Abwägung mit den gleichberechtigten weiteren Interessen vorzunehmen. Dies müssen nicht nur Gerichte, sondern auch die mit der Durchsetzung der DSGVO beauftragten Datenschutzbehörden berücksichtigen. Im Hinblick auf das Recht auf Vergessenwerden im Zusammenhang mit Internet-Suchmaschinen gilt, dass abhängig von der Schwere des Eingriffs zunächst ein gewisser Zeitablauf verlangt werden kann, bevor Suchergebnisse aufgelistet werden müssen.

Schließlich müssen sich Kläger immer fragen, ob die rechtliche Auseinandersetzung die Information, die gelöscht werden soll, nicht perpetuiert. Der Name Mario Costeja González und seine finanziellen Probleme im Jahr 1998 sind in die – über Google auffindbare – Entscheidungsdatenbank des EuGH eingebrannt. Auch erfasst das Recht auf Vergessenwerden nicht die Nicht-EU-Versionen von Suchmaschinen (EuGH, 24.9.2019 – C-507/17, K&R 2019, 716, 718 f.). Das Internet vergisst also nicht alles.

Jan Spittka ist Rechtsanwalt und Counsel bei DLA Piper in Köln. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist die gerichtliche Vertretung und außergerichtliche Beratung von Unternehmen in den Bereichen Datenschutzrecht und Cybersecurity.

 
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