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BB 2017, I
Sandrock 

Das Yates Memorandum und die persönliche Haftung von Managern nach US-amerikanischem Recht

Abbildung 1

Welche Strafen in welcher Höhe die VW AG wegen des sog. Dieselskandals in den USA letztendlich zu zahlen hat, beschäftigt derzeit die Öffentlichkeit. Die internationale Presse berichtet, VW habe sich auf Grund eines Vergleichs bereit erklärt, 14,7 Mrd. US-Dollar zugunsten von US-Behörden und US-amerikanischen privaten Klägern aufzubringen, und der kalifornische Richter Charles Breyer habe diesem Vergleich zugestimmt. Allerdings habe VW – über jene 14,7 Mrd. US-Dollar hinaus – weitere Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu fürchten, weil die inkriminierte Diesel-Software auch in den 3-Liter-Motoren von VW verbaut sei.

Bisher ist jedoch kaum die Rede davon, in welcher Weise die Mitglieder der obersten Management-Ebene der VW AG persönlich für die Folgen des Dieselskandals zur Verantwortung gezogen werden können. Dies gilt insbesondere für die früheren und jetzigen Organmitglieder (Vorstand und Aufsichtsrat) der VW AG. Zwar hat man dieses Problem kürzlich aus dem Blickwinkel des deutschen Rechts erörtert. Insoweit stellte man die Frage, wann endlich der Aufsichtsrat der VW AG seine (früheren) Vorstandsmitglieder verklage, weil diese im VW-Diesel-Skandal ihrer Aufsichtspflicht nicht genügt hätten (Marcus Lutter, FAZ v. 2.11.2016, S. 18).

Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn die gleiche Frage nach US-amerikanischem Recht zu beantworten ist. In Deutschland scheint man sich bisher kaum Gedanken darüber gemacht zu haben, welche Gefahren den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat jenseits des Atlantiks in persönlicher Hinsicht drohen. Dort tut sich aber nicht nur für jene früheren Organmitglieder der VW AG ein tiefer Abgrund auf, sondern auch für das darunter angesiedelte oberste Management. Bereits am 9.9.2015 nämlich hatte die damals stellvertretende Generalanwältin beim US Department of Justice (und am 30.1.2017 von Präsident Trump entlassene geschäftsführende Justizministerin) Sally C. Yates ihren Mitarbeitern eine allgemeine Weisung folgenden Inhalts erteilt: Bei Verstößen von Gesellschaften gegen Rechtsnormen müsse auch und gerade die persönliche Verantwortlichkeit von Unternehmensleitern ermittelt werden. Nach diesem sog. Yates Memorandum bekämpft man die Verletzung von Strafnormen durch Unternehmen generell am effektivsten dadurch, dass man diejenigen Individuen, die für die inkriminierte Gesellschaft gehandelt haben, jeweils persönlich zur Verantwortung zieht, und zwar sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich. Zwar sei die Management-Verantwortung in großen Unternehmen – so das Yates Memorandum – auf viele Schultern verteilt. Unter solchen Umständen sei es oftmals schwierig, einer konkreten Person einen Gesetzesverstoß nachzuweisen. Es müsse nämlich ohne begründeten Zweifel feststehen, dass ein Unternehmensleiter von einer Gesetzesverletzung gewusst und vorsätzlich gehandelt habe. Dies gelte insbesondere für die Verantwortlichkeit von “high level executives”, die – auf oberster Ebene abgehoben – von dem normalen Tagegeschehen “isoliert” seien. Dennoch müsse auch deren individuelle Verantwortlichkeit in straf- und zivilrechtlicher Hinsicht aufgedeckt werden.

Im Falle von VW ist die US-Kanzlei Jones Day mit der Aufklärung des Diesel-Skandals beauftragt. Diese Kanzlei hat bereits 65 Millionen Dokumente zur digitalen Auswertung zusammengestellt und 10 Millionen von ihnen den Anwälten von VW zur Ansicht weitergeleitet. Ursprünglich sollte der Abschlussbericht von Jones Day noch vor Ende 2016 vorliegen. Dessen Veröffentlichung lässt aber weiter auf sich warten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in diesem Bericht die individuelle Verantwortlichkeit von Mitgliedern der obersten Management-Ebene von VW – sowohl in straf- als auch in zivilrechtlicher Hinsicht – festgestellt wird.

In der Zwischenzeit hat sich die Problematik in mehrfacher Hinsicht weiterentwickelt. Am 20.1.2017 trat Donald Trump sein Amt als Präsident der USA an. Mit diesem Tag wurde das Amt des bisherigen Justizministers vakant, weil die Bestätigung des neuen Ministers durch den Senat noch fehlte. Deshalb rückte Sally Yates zumindest zur geschäftsführenden Ministerin auf. Als Präsident Trump Anfang Februar 2017 jedoch seine umstrittenen Einreisebestimmungen für Personen aus bestimmten Staaten erließ und gegen diese Erlasse Klage vor den US-amerikanischen Bundesgerichten erhoben wurde, lehnte Sally Yates es ab, diese Erlasse vor jenen Gerichten zu verteidigen. Daraufhin entließ der Präsident Sally Yates. Der grundlegende Erlass, den Sally Yates am 9.9.2015 in Kraft gesetzt hatte, blieb gleichwohl bestehen. Nicht nur VW, auch andere deutsche Unternehmen befinden sich wegen Verstößen gegen US-Normen im Visier der US-amerikanischen Behörden, etwa die Deutsche Bank oder jetzt auch Bosch.

Den Managern von solchen Unternehmen – insbesondere Vorstand und Aufsichtsrat – droht in den USA also eine unkalkulierbare Gefahr: strafrechtliche Verfolgung und persönliche Haftung in Millionen-, wenn nicht Milliarden-Höhe. Sie sollten deshalb sorgsam prüfen, ob es ratsam ist, ihren Fuß auf US-amerikanischen Boden zu setzen.

Prof. Dr. Otto Sandrock, LL.M. (Yale), ist Emeritus der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster und seit 1995 Rechtsanwalt (Of Counsel) bei Orrick Herrington & Sutcliffe in Düsseldorf. Er arbeitet seit Jahrzehnten auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts.

 
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