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BB 2018, I
Hilgendorf 

Abbildung 1

Der Digitalrat – neuer Treiber für notwendige Strategien?

Ende August 2018 hat die Bundesregierung eine zehnköpfige Kommission, den “Digitalrat”, berufen, der, so der Koalitionsvertrag, “einen engen Austausch zwischen Politik und nationalen sowie internationalen Experten” zum Thema “Digitalisierung” ermöglichen soll. Der Rat besteht aus anerkannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Unternehmern und Politikern. Die Schaffung des Digitalrats ist teilweise auf Beifall gestoßen, teilweise hat sie aber auch zu kritischen Fragen geführt. In der Tat ist nicht ganz klar, warum ein derartiges Gremium überhaupt noch benötigt wird, denn es existieren durchaus schon andere Einrichtungen, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigen. Zu nennen ist etwa die vom BMBF eingesetzte “Plattform Selbstlernende Systeme”, die neu geschaffene “Datenethikkommission” des BMI, und die “Ethikkommission für automatisiertes und vernetztes Fahren” des BMVI. Auf europäischer Ebene existiert seit Kurzem die “High Level Expert Group on Artificial Intelligence”, zu deren Aufgabenfeld gerade auch die Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen gehört. Nicht unerwähnt bleiben dürfen das “Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft” in Berlin und das soeben gegründete Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Gestaltung” (BIDT) in München. Nennen sollte man schließlich auch den schon etwas in die Jahre gekommenen “Deutschen Ethikrat”, der sich dem Vernehmen nach ebenfalls in Kürze zu Fragen der Digitalisierung äußern wird.

Angesichts dieser bemerkenswerten Gremienfülle stellt sich die Frage, welchen zusätzlichen Nutzen der Digitalrat bringen kann. Erklären lässt sich seine Einberufung durch die enormen gesellschafts- und rechtspolitischen Herausforderungen der Digitalisierung. Unter Digitalisierung versteht man die Darstellung von Informationen jedweder Art als Folge von Nullen und Einsen, durch die sich z. B. Texte, Filme und Musik so gestalten lassen, dass sie im Computer verarbeitet, gespeichert und zwischen Computern übertragen werden können. Was so einfach klingt, hat gewaltige gesellschaftliche und ökonomische Folgen. Nicht zu Unrecht spricht man von einer “Digitalen Revolution” oder auch “Transformation”, die sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche durchdringt, angefangen vom Wohnen und der Freizeitgestaltung über die medizinische Versorgung, die Mobilität, das Verwaltungshandeln des Staates bis hin zur industriellen Produktion. Die gesellschaftlichen und sozialen Folgen der ersten industriellen Revolution waren bekanntlich dramatisch; Millionen von Menschen wurden ins Elend gestürzt, und es dauerte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis auch nur die schlimmsten Auswüchse beseitigt waren.

Um zu vermeiden, dass sich derartige soziale Katastrophen wiederholen, ist es sinnvoll, frühzeitig Überlegungen über die möglichen Folgen der nun anstehenden digitalen Revolution anzustellen. Erforderlich ist zunächst eine (empirisch basierte) Technikfolgenabschätzung, auf der die (moralische und politische) Bewertung dieser Folgen aufbauen kann, unter Umständen schon verbunden mit der Entwicklung von Maßnahmen, um zu erwartende unerwünschte Folgen der Technikentwicklung zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen. Es handelt sich hierbei um ein hochkomplexes, nur von interdisziplinär zusammenwirkenden Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachgebiete und Tätigkeitsrichtungen zu meisterndes Unterfangen.

Wir erleben derzeit eine Krise der Expertenkultur. Die Demokratisierung des Wissens und der Kommunikationskanäle durch die sozialen Netzwerke hat dazu beigetragen, dass heute viele Menschen glauben, bei (fast) allen Fragen ohne Weiteres mitreden zu können. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die neuen anstehenden Fragen von einer ausgewählten Gruppe von herausragenden Expertinnen und Experten behandelt werden sollen. Damit ein solches Gremium erfolgreich ist, müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Von Bedeutung ist zunächst die fachliche Qualität der ausgewählten Experten, an der im Falle des Digitalrats kaum Zweifel bestehen. Wichtig ist des Weiteren die Bereitschaft der Politik, auf den Rat der Experten zu hören. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, wie häufig Expertengremien nur als Feigenblatt dienen, um längst hinter verschlossenen Türen beschlossene Entscheidungen zu legitimieren. Von großer Bedeutung ist des Weiteren die Einbindung der Ministerialbürokratie, in welcher ein Schatz an Wissen und Verfahrenskompetenzen vorhanden ist, den man nicht leichtfertig außer Acht lassen sollte. Zu den Erfolgsbedingungen des Digitalrats gehört auch eine gewisse Widerständigkeit gegenüber massenmedialer Begleitung. Nicht alles, was in der Presse oder im Internet verbreitet wird, kann einer kritischen Analyse standhalten. Es ist Aufgabe der Expertinnen und Experten, Platitüden zu kritisieren und Missverständnisse aufzulösen, auch wenn damit gelegentlich Standards der Political Correctness verletzt werden sollten. Gleichzeitig benötigt ein Beratungsgremium wie der Digitalrat gute Kontakte zu den “Meinungsproduzenten”, um Akzeptanz für die eigenen Empfehlungen zu schaffen; eine funktionierende Öffentlichkeitsarbeit ist also von größter Bedeutung. Alles in allem steht der Digitalrat also vor beträchtlichen Herausforderungen, deren Bewältigung nur mit viel Sachverstand, Geschick und auch ein wenig Glück gelingen kann. Wünschen wir dem Digitalrat viel Erfolg!

Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Universität Würzburg. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten zählen das Technikstrafrecht, insbesondere das Internetstrafrecht einschließlich des damit verbundenen Rechts des Datenschutzes und der Providerhaftung. Er leitet die 2010 eingerichtete, inzwischen mehrfach preisgekrönte Forschungsstelle RobotRecht (www.RobotRecht.de), die sich unter Berücksichtigung sämtlicher Rechtsgebiete mit Rechtsfragen rund um vernetzte autonome Systeme beschäftigt. Hilgendorf ist u. a. Mitglied des “Runden Tisches” im BMVI sowie des Ethikrats zum automatisierten Fahren.

 
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