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BB 2019, I
Paul 

Der “digitale” Chief Financial Officer: Unternehmer in der Unternehmung

Abbildung 1

Die Digitalisierung durchdringt sämtliche Branchen, vom multinationalen Automobilhersteller bis zum Handwerksbetrieb, und ebenso alle Funktionsbereiche der Unternehmung, vom Einkauf über die Produktion bis zum Absatz sowie die Servicebereiche im Finanz- und Rechnungswesen. Mit Hilfe der Digitalisierung konnte z. B. Bosch seine Prozesse im Finanzbereich deutlich verschlanken und die dort entstehenden Kosten in den letzten fünf Jahren um 30 % senken – so Finanzvorstand Stefan Asenkerschbaumer jüngst in der Börsen-Zeitung (27.7.2019, 8).

Dieser Effizienzgewinn ist in Zeiten des Umbruchs vieler Geschäftsmodelle – gerade in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern – ein höchst willkommener (letztlich aber nur Neben-)Effekt des Wandels der Finanzfunktion von Unternehmen. Dieser nimmt durch die derzeit exponentiell wachsende Datenverfügbarkeit gerade erst richtig Fahrt auf. “Big Data” bringt den Finanzleiter von Unternehmen mit Blick auf Aktualität, Präzision und Volumen der verfügbaren Daten auf ein neues Informationslevel. In Echtzeit und mit zuvor ungeahnter Genauigkeit stehen Informationen zu sämtlichen Teilbereichen der Unternehmung und den von ihnen bewältigten Prozessen bereit. Eine entsprechende Standardisierung und Automatisierung vorausgesetzt, lässt sich die “Datenkette” auch beliebig “nach hinten” zu den Zulieferern und anderen Partnern sowie “nach vorne” zu den Abnehmern verlängern. Auf diese Weise können selbst kleinste Bauteile von Produkten bzw. Bestandteile von Dienstleistungen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg beobachtet werden. Dies wiederum ermöglicht zur gleichen Zeit sowohl den viel tieferen “Blick in das Mikroskop” zur Diagnostic Analysis jedes Unternehmensteils als auch den “Blick durch das Fernglas” zur Ableitung von Konsequenzen aus Zukunftsszenarien (predictive analysis).

Damit erhält der Chief Financial Officer (CFO) einen gewaltigen Kompetenzverstärker. Schon im ureigensten Aufgabenbereich des Finanzressorts lassen sich z. B. die Liquiditäts- und Eigenkapitalplanung durch eine in sehr viel stärkerem Maß modellgestützte und empirisch fundierte Entscheidungsunterstützung optimieren. Je schneller Umwelt- und -feldänderungen erkannt werden können, desto weniger braucht man Unsicherheitspuffer. So werden z. B. Lagerbestände und damit -finanzierungen künftig zwar nicht obsolet, können zum Zwecke der Wertsteigerung aber deutlich heruntergefahren werden, wenn man Veränderungen des Kundenverhaltens frühzeitiger und genauer voraussehen kann.

Über seinen traditionellen Aufgabenbereich hinaus wird der Finanzleiter aber auch immer mehr zum Mitgestalter des Geschäftsmodells und agiert mit dem Chief Executive Officer auf Augenhöhe – was im Übrigen auch den derzeit zumindest bei DAX-Unternehmen noch festzustellenden Entlohnungsrückstand gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden (FAZ, 3.8.2019, 22) verkürzen dürfte.

Der datengestützte Rundum-Blick ermöglicht dem CFO eine die Geschäftsbereiche übergreifende Unterstützer-, Berater- und Veränderer-Rolle, die seine strategische Bedeutung weiter erhöht. Der Finanzbereich rückt stärker an das Handeln am Markt heran, der CFO wird zum Businesspartner und Transformationsmanager. Haben sich Finanzvorstände gerade in großen Konzernen früher eher als “Oberaufseher” verstanden, werden sie künftig mehr zum strategischen Ratgeber und Entscheider. Auch der CFO ist mitverantwortlich für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven, für deren Realisierung er Risikokapital bereitstellt. Insofern muss er wie ein Venture Capitalist agieren. War der CFO traditionell auf die (finanzielle) Stabilität der Unternehmung fokussiert, hat er diese künftig stärker in eine Balance mit dem Ermöglichen von Kreativität, Innovation und dem Sich-Ausprobieren-Können zu bringen.

Dies zeigt, dass sich auch im Finanzbereich die benötigten Kompetenzen der Mitarbeiter verändern müssen, deren Zahl (wie in anderen Funktionalbereichen) zurückgehen mag, deren Qualifikationsniveau aber deutlich ansteigen wird. Ein Denken in IT-Strukturen wird zwingend notwendig, und die Anforderungen an die analytischen Fähigkeiten nehmen angesichts der vermehrten plausibilisierenden Tätigkeiten auf dem Gebiet der System- und Prozesskontrolle sowie des notwendigen Denkens in Geschäftsmodellen zu. Darüber hinaus verlangt die stärkere innerbetriebliche Vernetzung auch eine höhere Ausprägung von Querschnitts- und Sozialkompetenzen, vor allem im Sinne von Team- und Kommunikationsfähigkeiten. Die Mitarbeiter des Finanzbereichs sind nicht nur gefragt, eine auf den ersten Blick unüberschaubare Datenmenge für die Zentralbereiche in zielführendes, handhabbares Wissen zu verwandeln. Gerade das Begleiten und Antreiben der operativen Einheiten verlangt es, die “Sprache” der jeweiligen Business Units zu sprechen.

“Ein CFO, der sich nur als Experte für finanzielle Kennzahlen versteht, wird aus meiner Sicht in Zukunft an Akzeptanz im Unternehmen verlieren” – so Asenkerschbaumer (a. a. O.). Damit macht die Digitalisierung den CFO aber nicht überflüssig – im Gegenteil: Der “digitale” CFO muss noch stärker als in der Vergangenheit “Unternehmer in der Unternehmung” sein und deren Metamorphosen vorantreiben. Der dafür notwendige kulturelle Wandel hat in vielen Unternehmen bereits begonnen, muss aber angesichts der Dynamik der Veränderungen in den Geschäftsmodellen noch deutlich beschleunigt werden.

Prof. Dr. Stephan Paul ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzierung und Kreditwirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum, leitet den Arbeitskreis “Finanzierung” der Schmalenbach-Gesellschaft und forscht über die Konsequenzen von Digitalisierung und Industrie 4.0 für die Unternehmensfinanzierung.

 
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