R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Suchmodus: genau  
Header Pfeil
 
 
BB 2019, I
Makowicz 

Die Reform des Rechts der Unternehmenssanktionen: Was ist Compliance? Das ist hier die Frage!

Abbildung 1

Für einen Wirbel hat der am 22.8.2019 von Bundesjustizministerin Lambrecht präsentierte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität gesorgt (s. hierzu auch den Standpunkt von Baur/Holle, abrufbar unter https://betriebs-berater.ruw.de/). Lange ersehnt war der Entwurf in der Tat, überraschend sind die vorgelegten Lösungen aber längst nicht mehr. Denn das BMJV setzt damit nicht nur den Koalitionsvertrag insofern um, sondern will das wohl unbestritten unzulängliche Sanktionsinstrument verbessern: Anstelle des Höchstmaßes an Sanktionen von bis zu 10 Mio. Euro soll ein präventiv-repressives Modell treten, in dem neben Verwarnung und erzieherischen Weisungen, angemessenen Verbandsgeldsanktionen bis zu 10 % des Jahresumsatzes aber auch Verbandsauflösungen als Ultima Ratio vorgesehen sind. Das Opportunitäts- soll durch das Legalitätsprinzip ersetzt werden und für interne Untersuchungen sind detailreiche Vorgaben zu finden. Im Kern rücken schließlich Compliance-Management-Systeme (CMS) in den Mittelunkt. Auch das ist aber nicht überraschend, sondern eher konsequent, denn damit wird das 2017 vom BGH und von der damals von Deutschland angeführten B20-Gruppe geforderte Compliance-Anreizmodell umgesetzt, das übrigens nur bei Erhöhung des Sanktionshöchstmaßes Sinn macht.

Was sorgt also für Wirbel? Verwunderlich, dass es oft eben jenes ist, was der Entwurf eigentlich nicht wollte. Es sollte vor allem kein Strafrechtsmanöver werden – die Diskussion hat paradoxerweise der einschlägige NRW-Entwurf aus 2013 gegen sich selbst entschieden. Der Entwurf sollte ferner Verbände nicht unter Generalverdacht stellen, das tut er auch nicht: Nur die nachweislich Regelbrüchigen sollen erzogen und sanktioniert werden – und dann aber alle, um eine Doppelmoral zu vermeiden. Auch sollte die vorgesehene Möglichkeit der Verbandsauflösung keine Sorgen bereiten, ist diese ja nur für besonders schwere Fälle vorgesehen. Die exterritoriale Anwendung will ferner nicht für Frieden in der Welt, sondern lediglich für “Waffengleichheit” gegenüber anderen Rechtsordnungen sorgen. Es geht schließlich nicht darum, dass Arbeitsplätze abgebaut werden, ganz im Gegenteil, mit den präventiv-repressiven Maßnahmen sollen bereits regelbrüchige Unternehmen saniert und vor weiteren Schäden geschützt werden.

Bei all den Kritikpunkten rückt der zentrale, aber defizitär umgesetzte Regelungsgegenstand des aus verwaltungs- und strafprozessualen Zügen bestehenden Hybriden-Entwurfs in den Schatten. Compliance wird dort begrifflich lediglich über die Gesetzeseinleitung eingeschleust, obwohl es für die Entwurfssystematik, dann allerdings unter der Umschreibung als angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten, entscheidende Bedeutung hat: Einerseits als ein Grund für Sanktionsmilderung, womit das erwähnte Anreizmodell statuiert wird, und andererseits als eine Art Monitorship bei Erteilung von Weisungen. Ergänzt wird das Modell durch interne Untersuchungen und Offenlegung, die ebenfalls bei der Verfolgung eine Rolle spielen, an die aber, anders als an CMS, Detailanforderungen gestellt werden.

Ob das Modell überzeugt? Im Grunde ja, in der Form aber noch nicht ganz. Dadurch würde der Gesetzgeber die Chance verpassen, im Rechtssystem für Ordnung zu sorgen. So sind bereits an vielen Stellen diverse Umschreibungen zu finden, die ebenfalls Compliance meinen. So spricht der Anwendungserlass des BMF aus 2016 von einem innenbetrieblichen Kontrollsystem, die DSGVO von technischen und organisatorischen Maßnahmen, das AWG von angemessenen Maßnahmen [. . .] oder das GWB, wenn es um Selbstreinigung geht, von geeigneten [. . .] Maßnahmen. Dabei schlug bereits 2013 das LG München I (10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BB 2014, 850 Ls) die richtige Richtung ein, die der BGH 2017 aufgriff (9.5.2017 – 1 StR 265/16, BB 2017, 1931 Ls mit BB-Komm. Behr), um dann von Compliance-Management zu sprechen. Wie haben Verbände daher die im Entwurf eine zentrale Rolle spielenden Vorkehrungen zu verstehen, wenn diese nicht weiter ausgeführt werden? Ausreichende Fachquellen, darunter Dissertationen, Monographien, Fachaufsätze, Kommentierungen und Rechtsprechung hätten bei der Systematisierung und Definition der Begriffe zur Verfügung gestanden. Damit wäre auch den KMU kein Bärendienst erwiesen. Ganz im Gegenteil: Auch diese brauchen eine Orientierungshilfe und auch dort sind angepasste CMS-Konzepte längst angekommen.

Defizitär ist der Entwurf, wenn er schon CMS und interne Untersuchungen an die Front stellt, auch deswegen, weil er zu Hinweisgebersystemen schweigt. Dabei stellen diese ein Zentralelement eines CMS und damit interner Untersuchungen dar. Hinsichtlich der zuletzt Genannten zu klären bleiben einige weitere Detailfragen, in denen es nicht nur um die spätestens mit dem Beschluss des BVerfG (27.6.2018 – 2 BvR 1287/17 u. a., BB 2018, 1679 mit BB-Komm. Behr) heiß gewordene Beschlagnahmeproblematik geht, die der Entwurf übrigens über den hierfür entwickelten Trennungsgrundsatz zu lösen sucht. Vielmehr wird hier ein Neuland betreten, wenn die Wirkung der strafprozessualen Abwehrrechte auf privatrechtliche Verhältnisse erstreckt wird.

Die Ministerin zeigt sich entschlossen, den Entwurf zum Gesetz zu machen. Dem Grunde nach liegt sie auch richtig: Es kann nicht weiter geduldet werden, einerseits ein ethisch-integres Verhalten zu fordern, anderseits den Regelbrüchigen mit einem unbrauchbaren Sanktionsinstrument zu begegnen. Die vorgelegten Ansätze sind gut vertretbar, an einigen Stellen aber noch klärungsbedürftig. Verbände müssen wissen, ob und was von ihnen verlangt wird oder insofern zumindest an Referenzquellen verwiesen werden. Bleibt der Entwurf hinsichtlich des CMS begrifflich zurückhaltend, so wird daher allen voran das geklärt werden müssen, was indirekt in seinem Mittelpunkt steht und nicht einmal wortwörtlich erwähnt wird: Was meint er unter Compliance?

Prof. Dr. Bartosz Makowicz ist Universitätsprofessor an der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Er ist Initiator und Direktor des dortigen Viadrina Compliance Center, der ersten intra- und interdisziplinären wissenschaftlichen Forschungseinrichtung zu Ethik, Compliance und Integrität in Organisationen. Überdies ist Makowicz Mitglied in diversen wissenschaftlichen Beiräten und Fachbeiräten von Compliance-Fachvereinigungen.

 
stats