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BB 2022, I
Scheuer 

Einrichtungsbezogene Impfpflicht – ein zahnloser Tiger

Abbildung 1

Es ist mit einem Flickenteppich behördlicher Entscheidungen und einer Klagewelle bei den Verwaltungsgerichten zu rechnen.

In der letzten Woche ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Kraft getreten. Bereits die vom Bundesministerium für Gesundheit gewählte Bezeichnung ist irreführend. Denn durch die in § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) eingefügte Regelung wird niemand zu einer Impfung verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Maßnahme zutreffend als “einrichtungsbezogene Nachweispflicht”. Mit dem Gesetz will der Gesetzgeber die Impfquote in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen erhöhen und der allgemeinen Impfpflicht den Weg bereiten. Es wäre überraschend, wenn dies gelänge.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 10. Februar 2022 (1 BvR 2649/21) einen Eilantrag gegen die einrichtungsbezogene Nachweispflicht zurückgewiesen. Geklagt hatten ungeimpfte Angestellte im medizinischen und Pflegebereich sowie Leiter solcher Einrichtungen. Letztere wollen aufgrund der sich abzeichnenden Personalnot ungeimpfte Mitarbeiter weiterhin beschäftigen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass hinsichtlich der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht jedenfalls keine so durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, dass vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden müsste.

Seit dem 16. März 2022 sind die in den betroffenen Einrichtungen tätigen Personen dazu verpflichtet, der Leitung einen Impf- oder Genesenennachweis zu erbringen. Gelingt ihnen dies nicht, ist die Einrichtung dazu verpflichtet, die personenbezogenen Daten der betroffenen Person dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Das Gesundheitsamt soll dann über ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot entscheiden. Bis dahin soll – so das Bundesministerium – eine Weiterbeschäftigung der betroffenen Person möglich bleiben.

Der Gesetzestext wirft so viele Fragen auf, dass sich das Bundesministerium zu einer mittlerweile 29 Seiten umfassenden Erläuterung zur praktischer Umsetzung veranlasst sah. Auch mit dieser Handreichung ist eine konsequente und inhaltlich konsistente Anwendung der Regelung in der Praxis nicht zu erwarten.

Warum der Gesetzgeber ausgerechnet den seit zwei Jahren über chronische Überlastung klagenden Gesundheitsämtern die Aufgabe zugewiesen hat, seit dem 16. März 2022 über das Beschäftigungsverbot und damit einen signifikanten Eingriff in das Grundrecht tausender Arbeitnehmer zu entscheiden, leuchtet nicht ein. Eine Erklärung mag sein, dass dem Gesetzgeber erst im Nachhinein klar wurde, wie weitreichend der persönliche Geltungsbereich seiner Regelung und damit auch die Zahl der betroffenen Menschen ist. Denn die vermeintliche Impfpflicht erfasst nicht nur die in den Einrichtungen tätigen Ärzte und Pflegekräfte, sondern auch andere Personen, die mehr als nur wenige Minuten in der Einrichtung tätig werden. Dazu gehören Handwerker genauso wie die Mitarbeiter von Unternehmen, die in Krankenhäusern z. B. medizintechnische Geräte vermarkten oder warten. Die Zahl der zu erwartenden Meldungen werden die Gesundheitsämter jedenfalls dann nicht bewältigen, wenn sie eine verfassungsrechtlich gebotene Einzelfallprüfung samt Anhörung der Betroffenen durchführen, bevor sie in die Berufsausübungsfreiheit der Beschäftigten eingreifen.

Zu erwarten ist, dass die Einrichtungen auch ohne eine Entscheidung des Gesundheitsamts den nicht bei ihnen angestellten Dritten den Zugang mit dem Inkrafttreten von § 20a IfSG untersagen werden. Denn ab diesem Zeitpunkt steigen für die Einrichtungen die mit einem von außen eingeschleppten Infektionsgeschehen einhergehenden rechtlichen Risiken und das Reputationsrisiko. Wie die Arbeitgeber mit dem faktischen Tätigkeitsverbot für ihr Personal umgehen, ist arbeitsrechtlich nicht abschließend geklärt. Praktisch zu befürchten ist, dass das geimpfte Personal für die ungeimpften (und weiterbezahlten) Kollegen einspringen muss.

Im Hinblick auf das bei den Einrichtungen selbst angestellte Personal werden die Gesundheitsämter mit einer kaum lösbaren Ermessensentscheidung konfrontiert. Sollen sie angesichts des Pflegenotstands tatsächlich Beschäftigungsverbote verhängen und damit die Funktionsfähigkeit der Pflege weiter beeinträchtigen? Soll bei der Ermessensausübung z. B. die Art der Einrichtung oder die Impfquote unter den Bewohnern berücksichtigt werden? Angesichts der Vielzahl von Fallkonstellationen und regionaler Besonderheiten ist mit einem Flickenteppich behördlicher Entscheidungen und einer Klagewelle bei den Verwaltungsgerichten zu rechnen.

Die Vorstellung des Gesetzgebers, die Impfquote durch mittelbaren Druck signifikant zu erhöhen, ist bereits bei der 2G-Regel im Einzelhandel und der 3G-Regel am Arbeitsplatz den Nachweis schuldig geblieben. Es ist nicht zu erwarten, dass sich 15 Monate nach der Verfügbarkeit von Impfschutz die Impfquote unter Pflegekräften durch die Angst vor Beschäftigungsverboten maßgeblich erhöhen wird.

Das in der Gesetzesbegründung für § 20a IfSG angeführte Argument, Pflegekräfte stünden in einer besonderen Verantwortung für besonders vulnerable Personengruppen, ist zweifelsfrei richtig. Ob der Gesetzgeber an seinem ursprünglichen Plan festhält, auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht eine allgemeine Impfpflicht folgen zu lassen, ist zweifelhafter denn je. Denn mit § 20a IfSG ist der Gesetzgeber den Nachweis schuldig geblieben, eine Impfpflicht hinreichend klar zu formulieren und mit den notwendigen Sanktionen untermauern zu können.

Dr. Steffen Scheuer, RA/FAArbR, ist Partner im Münchner Büro der internationalen Kanzlei Baker McKenzie und berät Arbeitgeber bei allen arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

 
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