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BB 2024, I
Mayer/Jenne 

Höchste Zeit für eine Reform des (aktienrechtlichen) Beschlussmängelrechts

Abbildung 1

Abbildung 2

An die Stelle des “Alles-oder-Nichts”-Prinzips sollte ein flexibles Rechtsfolgenregime auf Grundlage einer Verhältnismäßigkeitsprüfung treten.

Das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht ist “grundlegend reformbedürftig”, “missbrauchsanfällig” und befindet sich in einem “beklagenswerten”, “desolaten Zustand”. Es führe gar zu einer “Atmosphäre der Angst” und schwebe wie ein “Damoklesschwert” über der Hauptversammlung – so die überwiegende wie drastische Einschätzung der am 22.4.2024 zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestags geladenen Sachverständigen.

Stein des Anstoßes ist das undifferenzierte Rechtsfolgenregime des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts. Denn unabhängig von der Art oder Schwere eines Beschlussmangels gilt mit wenigen Ausnahmen ein “Alles-oder-Nichts”-Prinzip: Der an einem Mangel leidende Beschluss wird auf die erfolgreiche Anfechtungsklage eines Aktionärs hin rückwirkend – oftmals Jahre später und mit erheblichen Konsequenzen für die Gesellschaft – für nichtig erklärt. Die scharfe Sanktionierung auch geringfügiger Verstöße und die – oft jahrelange – Rechtsunsicherheit führen dazu, dass in den wenigsten Hauptversammlungen ein wirklich offener und lebendiger Dialog zwischen Aktionären und Verwaltung stattfindet. Jeder Vorstand wird sich nach besten Kräften – und in aller Regel mit juristischer Unterstützung – darum bemühen, möglichst alle Aktionärsfragen – und seien sie noch so irrelevant für den betreffenden Tagesordnungspunkt – irgendwie zu beantworten, ohne dabei eine Angriffsfläche zu bieten. Dass dies für die Qualität der Antworten nicht gerade förderlich ist und mit einer interessanten, offenen Debatte wenig zu tun hat, liegt auf der Hand. Kein Geheimnis ist auch, dass sich jeder Vorstand um Gestaltungsvarianten bemühen wird, bei denen eine Einbeziehung der Aktionäre nicht erforderlich ist.

Das aktuelle Beschlussmängelrecht birgt zudem ein hohes Missbrauchspotential. Zwar wurde sog. “räuberischen Aktionären” mit der Einführung des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG hinsichtlich bestimmter eintragungspflichtiger und als besonders missbrauchsanfällig identifizierter Beschlüsse der Wind aus den Segeln genommen. Es handelt sich dabei jedoch mehr um eine punktuelle Notlösung als um einen fein kalibrierten Regelungsmechanismus zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen. Denn das Freigabeverfahren erfasst bei weitem nicht alle Beschlussarten mit besonders hohem Missbrauchspotential. Wird beispielsweise die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern erfolgreich angefochten und ex tunc für nichtig erklärt, kann dies, wenn die Stimmen der betreffenden Mitglieder ausschlaggebend waren, zur Folge haben, dass mangels Anwendbarkeit der Grundsätze vom fehlerhaften Organ sämtliche in der Zwischenzeit gefassten Beschlüsse des Aufsichtsrats unwirksam sind. Gleichzeitig geht mit dem Freigabeverfahren eine erhebliche Beschränkung des Rechtsschutzes redlicher Aktionäre einher: Zum einen müssen sie das erforderliche Quorum erreichen; zum anderen müssen, sofern kein besonders schwerer, “krass rechtswidriger” Verstoß vorliegt (vgl. BT-Drucks. 16/11642, S. 41), die individuellen Nachteile des Anfechtungsklägers die kumulierten Nachteile der Gesellschaft und der übrigen Aktionäre überwiegen. Diese Abwägung fällt in aller Regel zulasten der klagenden Aktionäre aus, wodurch diese auf (häufig schwer zu beziffernde) Schadensersatzansprüche verwiesen werden.

Vor diesem Hintergrund sprach sich bereits der 72. Deutsche Juristentag im Jahr 2018 mit überwältigender Mehrheit für eine Neufassung des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts aus. Hinsichtlich der Grundpfeiler zur Behebung der geschilderten Probleme sind sich die kürzlich gehörten Sachverständigen weitestgehend einig: Ausgangspunkt der Neuausrichtung muss die Abkehr vom “Alles-oder-Nichts”-Prinzip bei sämtlichen Beschlüssen hin zu einem Rechtsfolgenpluralismus sein. Bei schwerwiegenden Mängeln sollte es dabei bleiben, dass Beschlüsse rückwirkend für nichtig erklärt werden. Bei weniger schweren Verstößen sollte aber die Aufhebung des Beschlusses lediglich ex nunc möglich sein. Denkbare Konsequenzen von fehlerhaften Beschlüssen sind weiter die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Veröffentlichung des Tenors in den Gesellschaftsblättern, die Verhängung eines Rügegeldes oder die Begründung von Schadensersatzansprüchen. Die Auswahl unter den möglichen Rechtsfolgen sollte auf Grundlage einer Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen, deren konkreter Maßstab besonders sorgfältig austariert werden muss. Darüber hinaus sollte das Beschlussmängelverfahren erheblich beschleunigt und der deutlich zu weit gehende Nichtigkeitstatbestand “entschlackt” bzw. neu gefasst werden.

Ob eine Reform des Beschlussmängelrechts neben der Aktiengesellschaft auch andere Gesellschaftsformen in den Blick nehmen sollte, wird unterschiedlich beurteilt. Gerade bei der GmbH, der in der Unternehmenspraxis mit weitem Abstand am häufigsten gewählten Rechtsform, mutet es seltsam an, dass die Rechtsfindung im – so Koch pointiert in seiner Stellungnahme – “konturlosen Analogieschatten der Aktiengesellschaft” erfolgen muss. Dies gilt insbesondere seit Inkrafttreten des MoPeG und die aufkeimende Unsicherheit, ob nicht vielmehr eine Analogie zum Beschlussmängelrecht der neuen §§ 110 ff. HGB näher liegt. Insoweit wäre eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert.

Es ist angesichts des grundlegenden Reformbedarfs zu hoffen, dass die eindringlichen Worte der Sachverständigen nicht ungehört verhallen und der Gesetzgeber noch in dieser Legislaturperiode (endlich) eine Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts angeht.

Dr. Barbara Mayer, RAin/FAinHaGesR, ist Partnerin bei ADVANT Beiten. Sie ist u. a. Herausgeberin eines Handbuchs zur Aktiengesellschaft sowie eines Kommentars zur SE und berät Unternehmen zu allen Fragen des Aktienrechts sowie im Rahmen von M&A-Transaktionen.

Dr. Moritz Jenne, RA, ist Partner bei ADVANT Beiten. Er berät Unternehmen, Gesellschafter und Geschäftsleiter in den Bereichen Gesellschaftsrecht sowie Prozessführung und ist Autor zahlreicher einschlägiger Fachpublikationen.

 
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