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BB 2018, I
Veil 

MiFID II – ein erstes Fazit nach zehn Monaten

Abbildung 1

Die Nervosität war groß, als vor zehn Monaten die neuen Regeln für Kapitalmärkte und Wertpapierdienstleistungen erstmals anzuwenden waren. Der europäische Gesetzgeber hatte die Marktinfrastruktur grundlegend reformiert, diverse Berichtspflichten für Marktbetreiber eingeführt und die Anforderungen an die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen erheblich verschärft. Trotz zahlreicher neuer Vorschriften kam die Praxis in Deutschland mit dem neuen Regelwerk recht gut zurecht. Dies lag vor allem daran, dass sich die Betreiber der Handelsplätze und die Wertpapierfirmen frühzeitig mit den neuen Regeln beschäftigt hatten, aber auch daran, dass die BaFin und die ESMA vor und nach dem 3. Januar 2018 mit Rat zur Seite standen und für manche Fragen pragmatische Antworten hatten.

Bereits nach wenigen Wochen beklagten die Betreiber von Handelsplätzen, dass ein beträchtlicher Teil des Aktienhandels auf Systematische Internalisierer übergegangen sei. In der Tat offenbaren die Marktdaten, dass Systematische Internalisierer davon profitieren, dem Tick-Size-Regime nicht zu unterliegen. Dabei handelt es sich um Vorschriften über die Höhe der minimalsten Preisveränderung. Systematische Internalisierer können aufgrund dieses Regulierungsvorteils bessere Preise als Handelsplätze anbieten, so dass es nicht verwundern muss, dass sie binnen weniger Wochen einen Marktanteil von bis zu 20 % des DAX-Aktienhandels erlangt haben. Dies war freilich nicht intendiert, so dass der Vorstoß der ESMA, die Preisregeln anzupassen, zu begrüßen ist.

Für die Marktbetreiber hatten die neuen Berichtspflichten teure administrative Prozesse zur Folge. Als besonders problematisch erwies sich, dass Handelsplätze und Systematische Internalisierer über den Legal Entity Identifier (LEI) verfügen müssen, um den Emittenten des jeweiligen zu meldenden Finanzinstruments zu identifizieren und in den Meldungen an die Aufsichtsbehörden korrekt zu identifizieren. Bei ausländischen Emittenten stießen die Marktbetreiber häufig auf Granit, was den Handel im Freiverkehr bedrohte. Die ESMA wählte einen pragmatischen Weg, um die Problematik zu lösen, indem sie es in einer Übergangszeit als ausreichend erachtete, dass der Handelsplatz seinen eigenen LEI übermittelte.

Einstweilen noch nicht zuverlässig beurteilen lässt sich, ob die MiFID II ihr Ziel erreicht, Anleger besser zu schützen. Die Banken haben frühzeitig beklagt, dass sich für sie die unentgeltlich zu erbringende Anlageberatung nicht mehr lohne. Schnell machte die Mär vom Rückzug der Banken und Sparkassen aus der Anlageberatung die Runde; in einem vielstimmigen Reigen wurde beklagt, Kunden würde die Welt der Aktien nicht mehr eröffnet werden. Daran ist richtig, dass die komplexen Regeln kostenträchtig sind und die Banken und Wertpapierfirmen nunmehr verpflichtet sind, die bislang häufig versteckten Kosten transparent zu machen. Die Beratung über die Anlage in Aktien ist dann für Banken in der Tat nicht mehr sinnvoll. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass Aktien und andere Wertpapiere für den Privatanleger nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung der Kapitalanlage (Robo Advice) wird mittelfristig eine viel größere Rolle für Privatanleger einnehmen; den Gang zum Anlageberater werden sie sich ersparen. Die Algorithmen werden auch in die Empfehlung von Aktienanlagen münden, die interessenkonfliktfrei ist. Es kann zudem bezweifelt werden, dass die Banken bislang in Aktien beraten haben. Ganz oben auf der Agenda standen bekanntlich die hauseigenen Wertpapiere.

Positiv zu beurteilen sind die neuen Befugnisse der Aufsichtsbehörden, gegen den Vertrieb und die Vermarktung von Wertpapieren einzuschreiten, um Anleger zu schützen und die Stabilität der Finanzmärkte sicherzustellen. Die BaFin hatte diese Befugnis bereits vor der MiFID II erhalten und sie in zwei Fällen umsichtig ausgeübt. Die von manchen Wissenschaftlern und Praktikern geäußerte Befürchtung, die Produktinterventionsbefugnisse würden in eine Art Finanz-TÜV münden, hat sich nicht erfüllt. Die BaFin ist bislang nur in Ausnahmefällen tätig geworden, und auch die ESMA hat sich mit dem Verbot binärer Optionen und Beschränkungen für bestimmte Differenzgeschäfte auf bestimmte Produkte beschränkt, die aus der Sicht der Pariser Behörde für Anleger besonders gefährlich sind.

Wie fällt nach alledem das Fazit nach zehn Monaten aus? Ist die MiFID II ein großer Erfolg? Sicherlich hat das neue Regelwerk die Aufsicht über die Märkte in Europa und den Anlegerschutz in mancherlei Hinsicht verbessert. Es ist freilich ein hoch komplexes Regelwerk, das vor allem für kleine Handelsplätze und Wertpapierfirmen kaum zu begreifen ist. Die beiden Basisrechtsakte (MiFID II und MiFIR) werden ergänzt durch 39 Level 2-Umsetzungsakte. Dazu gesellen sich ca. 150 Level 3-Maßnahmen der ESMA (83 Leitlinien und Empfehlungen, 33 Opinions und 10 Q&A-Papiere). Weitere Guidance wird folgen, um die Rechtsanwendung in der EU zu vereinheitlichen. Ein 20.000-seitiges Regelwerk kann nicht die Idee der de Larosière-Gruppe gewesen sein, die im Jahr 2009 in Reaktion auf die Finanzmarktkrise eine weitere Integration der europäischen Finanzmärkte empfahl. Bei allem Verständnis um die Vermeidung von schädlicher Regulierungsarbitrage muss die europäische Gesetzgebung darum bemüht sein, ein verständliches Regelwerk zu entwickeln. Das MiFID II-Regime ist davon weit entfernt!

Prof. Dr. Rüdiger Veil ist seit August 2017 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Europäische Kapitalmarktrecht, das Gesellschaftsrecht (insbesondere das Recht der Kapitalgesellschaften, das Konzern- und Umwandlungsrecht und das internationale Gesellschaftsrecht) sowie das Recht der Unternehmensmitbestimmung.

 
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