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BB 2019, I
Fritz 

Neue Wege gehen – oder: Agiles Arbeiten in der Matrix

Abbildung 1

Unsere Arbeitswelt ist im Umbruch. Jeder soll tun können, was ihm gefällt, wo, wann und wie – im Rahmen von unternehmerischen Zielen und individuellen Möglichkeiten. New Work, Arbeit 4.0 oder flexibles Arbeiten fassen zusammen, was sich Werktätige von einer aufgeklärten Leistungsgesellschaft wünschen oder erhoffen. Der Gesetzgeber soll Bedingungen schaffen, die es den Unternehmen ermöglichen, qualifiziertes Personal nicht nur zu gewinnen, sondern auch dauerhaft zu binden. Es scheint, als ob die klassischen Wege gemessen an den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt nicht mehr zielführend sind. Automatisierung und Digitalisierung schaffen eine Dynamik und Komplexität der Arbeitsprozesse, die einen steten Anpassungsdruck auslösen. Daher besteht die Vorstellung, vor allem flexible Arbeitsmethoden oder Organisationsformen seien geeignet, die damit verbundenen Herausforderungen meistern zu können.

Hier kommt das agile Arbeiten in der Matrix ins Spiel. Dabei erfindet sich das Unternehmen neu. Um sich auf die ständig verändernden Marktbedingungen frühzeitig einstellen zu können, muss es schnell und wendig werden. In einem agilen Umfeld übernimmt das Team die unternehmerische Verantwortung, welche die Chefs an die Mitarbeiter abgeben; es funktioniert üblicherweise crossfunctional, eigenständig und selbstverantwortet. Kreativität ist gewünscht, Bereitschaft zu ständiger Kommunikation erforderlich und Fehlerakzeptanz unerlässlich. In Abkehr von traditionellen weisungsgebundenen “Dienstwegen” räumt der Unternehmer den Teammitgliedern den Freiraum ein, den sie zum Erreichen der – idealerweise gemeinsam – gesetzten Ziele benötigen. Die Unternehmensleitung beschränkt sich auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens und das Organisieren der erforderlichen Rahmenbedingungen. Diese besondere Übereinkunft gründet auf der Erkenntnis: Es geht immer noch besser. Wie? Das lernen Unternehmer und Team gerade in den für diese Arbeitsmethode typischen Retro-Meetings, meist vor versammelter Mannschaft, wo nicht danach gesucht wird, wer für einen Fehler in der Vergangenheit aus welchem Grund verantwortlich war, sondern was man daraus für die Zukunft lernen kann. Frustrationstoleranz, Teamgeist und gegenseitiges Vertrauen sind Grundlagen für diese Form der sozialen Selbstkontrolle.

Die Matrix ist wiederum eine unternehmerische Organisationsform, mit der ebenfalls klassische Weisungsverhältnisse überwunden werden. Sie orientiert sich gleichsam primär am Kundennutzen; geprägt von Effizienzgesichtspunkten sollen unabhängig von rechtlichen Vorgaben Entscheidungen rasch getroffen und zeitnah umgesetzt werden. Kennzeichen einer solchen Organisation ist regelmäßig die Mehrlinigkeit von Leitungsstrukturen. Matrixmanager treffen entlang von Funktionen, Märkten und Produkten – häufig konzernweit – gültige Entscheidungen. Dabei geben sie den Geschäftsleitungen der jeweils rechtlich selbstständigen Unternehmen, den sog. “Matrixgesellschaften”, verbindliche Weisungen kraft der ihnen übertragenen Entscheidungsmacht. Im Konzernverbund führt das häufig sogar zu einem “Durchregieren”, weil diese Weisungen über mehrere Konzernstufen erfolgen können (ausführlich Maschmann/Fritz, Matrixorganisationen, 2019). Das bedeutet wie im Fall des agilen Arbeitens: Vorgesetzte geben Kompetenzen an die sachnäheren Einheiten ab und konzentrieren sich auf die strategische Führung.

In beiden Organisationsformen wird letztlich ein neuer Weg beschritten: Die Unternehmensleitung überwindet die herkömmlichen Kategorien der Unternehmens- und Organisationsentwicklung. Das Abgeben von Kompetenzen ist erforderlich, um einen Freiraum zu gewinnen, der Anderes und eventuell auch etwas Besseres ermöglicht. Insofern ist agiles Arbeiten kennzeichnend für eine Start-Up-Kultur, die sich Fehler erlaubt. Eine Matrixstruktur, wie sie vor allem in angelsächsisch geprägten Unternehmenskulturen besteht, bietet eine Alternative für einen zur Behäbigkeit neigenden hierarchischen Konzernaufbau, um mehr Durchlässigkeit in einen komplexen, grenz- und jurisdiktionsüberschreitenden Unternehmensverband zu bringen. In beiden Organisationsformen ist ein Vernetzen der Mitglieder (Team oder Matrixeinheiten) entlang eines zielorientierten Arbeitens typisch. Dies wäre schon ein ausreichender Anlass, beide Organisationsformen miteinander zu verbinden. Unternehmen werden bzw. bleiben in der einen oder anderen Richtung wendig, schnell und innovativ, selbst in einem tief gegliederten Verbund. Damit schaffen sie eine Flexibilität, mit der sie in diesen sich ständig wandelnden Marktbedingungen bestehen können.

Ein neuer Weg kann zunächst als Umweg erscheinen, doch die klassischen Bahnen enden vielleicht direkt in einer Sackgasse. Und das kann nicht das Ziel sein. Der Lohn einer flexiblen unternehmerischen Betätigung in entsprechender Arbeitsumgebung sind der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und sinngebende Tätigkeiten für die Mitarbeiter.

Dr. Hans-Joachim Fritz, RA/FAHaGesR/FAArbR, ist Partner bei Arnold & Porter in Frankfurt a. M.

 
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