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BB 2018, I
Haarmeyer 

Ohnmacht und Unmoral in Insolvenzen

Abbildung 1

Gleich der erste Paragraf der Insolvenzordnung verpflichtet alle Beteiligte eines Verfahrens zu dem Ziel, “die Gläubiger eines Schuldners (bestmöglich) gemeinschaftlich zu befriedigen”. Doch schauen wir auf Praxisfälle, scheint diese Absicht des Gesetzgebers konterkariert. Erinnern wir uns nur an die Insolvenz der Infinius AG, die auch für einen der größten Finanzskandale in Deutschland steht, bei dem fast 41 000 Anleger mutmaßlich als Opfer von Betrug voraussichtlich leer ausgehen. Blamable Affäre.

Offensichtlich geht es aber auch den Akteuren rund um den insolventen Finanzdienstleister vornehmlich um die Befriedigung eigener Interessen nach Vergütungsrecht. Und das Gericht, eigentlich gesetzlich bestimmter Wahrer von Gläubigerinteressen, schaut fast teilnahmslos zu und unterstützt das Vorgehen auch noch durch unsägliche Beschlüsse. Da kassiert der Insolvenzverwalter ohne Begründung durch das Gericht ca. sechs Mio. Euro für vier Monate Arbeit. Für den gleichen Zeitraum erhält ein Mitglied des Gläubigerausschusses satte 180 000 Euro. Zeitgleich heimst ein anderer Insolvenzverwalter über seine Kanzlei hohe Gebühren ein, weil er fast 10 000 Klagen auf Rückzahlung von Infinius gezahlter Zinsen gegen Anleger auf den Weg bringt. Anstößiges Ärgernis.

Noch immer dümpeln die Quoten für ungesicherte Gläubiger zwischen zwei und drei Prozent. Nicht gerade eine spürbare Befriedigung, wenn 97 Prozent des liquiden oder liquidierbaren Vermögens nicht bei ihnen landen. Und das 20 Jahre nach der Reform des Konkursrechts zur Insolvenzordnung. Die erfolgreiche Sanierung von Unternehmen bewegt sich gar im unteren Promillebereich. Anders interpretiert: Die Insolvenzrechtsreform von 1999 ist gescheitert. Wenn sich Insolvenzverwalter fortlaufend auf die eigenen Schultern klopfen, ist das nur mit Blick auf das Vergütungsvolumen von mehreren Milliarden Euro pro Jahr zu verstehen. Beschämender Makel.

Strukturelle Mängel des deutschen Insolvenzverfahrens insgesamt verursachen extreme Exzesse. Zu den gravierenden Schwächen zählt die Verrechtlichung von Krisen und Insolvenzen. Eine Entwicklung über Jahrzehnte: Dem Leiden von Unternehmen widmen sich heute zu mehr als 95 Prozent vor allem Juristen als Insolvenzverwalter. Verwunderlich, denn bei der Sanierung von Unternehmen geht es doch um die wirtschaftliche Restrukturierung und Sanierung. Zwar haben es Insolvenzverwalter verstanden zu vermitteln, der Erfolg der Verfahren sei vom Recht bestimmt; tatsächlich liefert es nur den Rahmen.

Den meisten Insolvenzverwaltern mit juristischem Hintergrund fehlt es an Kompetenz – im Wirtschaftswissen und im Praktischen. Sie haben in der Regel nie verantwortlich ein Unternehmen in der Krise geleitet. Sie haben oft weder die Gesundung der Unternehmensfinanzierung noch der Leistungswirtschaft geschafft. Sie haben selten einen Sanierungsplan in die betriebliche Praxis umgesetzt. Mit der Verrechtlichung von Verfahren meinen ebenfalls viele Insolvenzrichter, sie hätten den Sachverstand auf ihrer Seite. Warum nur durchschauen dann die meisten nicht die Tricks, mit denen eine Bilanz auf beiden Seiten gleiche Werte ausweist. Auch hier fehlt Basiswissen, von Ausnahmen abgesehen.

Als weiteres strukturelles Defizit: Im Insolvenzverfahren wird das Vier-Augen-Prinzip außer Acht gelassen. Dabei ist dem Insolvenzverwalter die Verwaltung fremden Vermögens übertragen. Er erfasst und bewertet einzelne Vermögensgegenstände, verwertet diese und führt über diese Vorgänge alleine Rechnung; dies vielfach in nicht gesetzlich bestimmten Ein- und Ausgabenrechnungen. Er ist Herr über alle Informationen, berichtet dem Gericht etwa über seine Arbeit. Als Kontrollinstanz verfügt das Gericht damit nur über Informationen aus zweiter Hand.

Daraus ergeben sich weitere Mängel. Insolvenzverwalter erhalten durch die gerichtliche Bestellung großen Vertrauensvorschuss. Jede Beschwerde über deren Handeln wird gleich als Angriff auch gegen das bestellende Gericht verstanden. Kurzum: Die Abwehr- und Schutzhaltung gegenüber dem quasi eigenen Verwalter ist bei den meisten Gerichten tief verwurzelt. Dieselben Gerichte entscheiden auch über die Vergütungshöhe. So entsteht eine Allianz, bei der Gläubiger eher stören, obwohl Verfahren – wie eingangs erwähnt – ihren Interessen dienen sollen. Unterdessen wehren sich Gerichte und Insolvenzverwalter hartnäckig gegen die vom Bundesgerichtshof Ende 2017 angeordnete Veröffentlichung von Vergütungsbeschlüssen. In diesen Kontext passt die nunmehr von Insolvenzverwaltern erhobene Forderung, dass Gerichte qualitative Kennzahlen bei der Auswahl künftig nicht mehr berücksichtigen dürfen (vgl. PM der Arge Insolvenzrecht im DAV 6/2018).

Institutionell und strukturell wird ein Miteinander erst dann möglich, wenn von Insolvenzen betroffene Gläubiger vom ersten Tag an im Verfahren präsent sind, über alle Informationen transparent verfügen und wesentliche Entscheidungen mitbestimmen. In Österreich etwa vertreten Kreditschutzverbände in gesetzlicher Rolle im Insolvenzgericht die Beteiligten. Sie informieren gleich an dem Tag, an dem ein Insolvenzantrag eingeht, ihre Mitglieder. Danach gibt es einen fortlaufenden Austausch, wie das Verfahren gesteuert und begleitet wird. Das reicht bis zum Verhandeln von Quoten auch mit anderen Gläubigergruppen und anderen Masseverwaltern.

Dabei agieren Kreditschutzverbände mit insolvenzerfahrenen Repräsentanten. Sie nehmen jederzeit Einblick in das Masseverwalter-Handeln. Das Konkursverfahren in Österreich ist vom wechselseitigen Vertrauen durch Kontrolle aller Beteiligten geprägt. Dagegen nehmen in Deutschland wenige organisierte Gläubiger wie Banken und Kreditversicherer vornehmlich Einzelinteressen wahr. Und sie handeln mit dem Insolvenzverwalter dadurch meist Lösungen aus, die ungesicherte und unorganisierte Gläubiger kaum befriedigen. Als geprellte Anleger wie im Infinius-Fall dürften diese über alle Verfahrensbeteiligte dann denken, was seinerzeit zum Auftakt des Strafprozesses die “Dresdner Neuesten Nachrichten” verdichtet so beschrieben: “Die Unmoral hatte Gesichter.”

Dipl.-Betriebsw. Prof. Dr. jur. Hans Haarmeyer ist u. a. Leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI), Direktor des Rheinland-Pfälzischen Zentrums für Insolvenzrecht und Sanierungspraxis (ZEFIS), Schriftleiter der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) und Herausgeber des Magazins für Transformation und Turnaround “return”. Er war von 2000 bis 2013 Inhaber einer Professur für Wirtschafts- und Insolvenzrecht der Hochschule Koblenz, am RheinAhrCampus in Remagen und hat mehrere Studiengänge aufgebaut.

 
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