“Put the pedal to the metal” – Wettbewerbsstörung im Kraftstoffgroßhandel?
Die Welt ändert sich. Das Kartellrecht reagiert.
Wirtschaftsverbände liefen Sturm, Wissenschaftler sprachen von einem Paradigmenwechsel – die Einführung des § 32f Abs. 3 GWB im Jahr 2023 hatte großes Aufsehen erregt. Gegenstand und Spezifikum des neuen Paragraphen ist, dass er – anders als Kartellverbot oder Verbot des Missbrauchs von Marktmacht – nicht an einen Normverstoß, sondern allein an eine Wettbewerbsstörung anknüpft.
Nach einer Sektoruntersuchung kann das Bundeskartellamt bei einer erheblichen und fortwährenden Wettbewerbsstörung Unternehmen nun auch dann Abhilfemaßnahmen vorschreiben, wenn diese Unternehmen sich nicht rechtswidrig verhalten haben. Im Kraftstoffgroßhandel prüft das Bundeskartellamt nun erstmals die Anwendung der neuen Eingriffsbefugnis (vgl. PM des Bundeskartellamts vom 6.3.2025).
Grund für die Schaffung des § 32f Abs. 3 GWB war, dass eine Störung des Wettbewerbs auch ohne rechtswidriges Verhalten entstehen kann. Wachstum, zunächst unbedenkliche Fusionen und Marktaustritte können in ihrem Zusammenspiel zu einer derartigen Machtkonzentration führen, dass kein level playing field mehr gegeben ist. Zudem erhöhen oligopolistische Strukturen und hohe Markttransparenz das Risiko unabgestimmten Parallelverhaltens. In diesen Situationen war das Kartellrecht bisher machtlos, da trotz erheblicher Wettbewerbsstörung kein rechtswidriges Verhalten vorlag.
Wirtschaftsverbände hatten die Einführung des § 32f Abs. 3 GWB dennoch scharf kritisiert. Kernpunkt der Kritik war gerade, dass das Bundeskartellamt auch ohne Normverstoß eingreifen dürfe (vgl. Stn. BDI zur 11. GWB-Novelle). Die Befürchtung war, dass das Bundeskartellamt nun ganze Märkte nach seinem Gutdünken neu strukturieren könne. Staatliches Marktdesign als Menetekel, ohne dabei jedoch zu bedenken, dass bei einer Wettbewerbsstörung das Marktdesign anderenfalls den Oligopolisten überlassen bleibt (vgl. Stn. Künstner zur 11. GWB-Novelle).
Ausgangspunkt und zugleich zwingende Voraussetzung des jetzt im Raum stehenden Einsatzes des § 32f Abs. 3 GWB ist die 2022 anlässlich des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine eingeleitete Sektoruntersuchung “Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel”. Während der Tankrabatt der Ampelkoalition nach den Ermittlungen des Bundeskartellamts noch überwiegend an die Endkunden weitergegeben worden war, deckte das Amt in seinem Abschlussbericht nun eine erhebliche Kollusions- und Manipulationsgefahr bei der Preissetzung im Kraftstoffgroßhandel auf.
In nuce erinnert die Preissetzung auf erschreckende Weise an den Libor-Skandal: Die entscheidenden Preisnotierungssysteme beruhen auf der Meldung einzelner Transaktionen, wobei eine hohe Marktkonzentration und Markttransparenz stillschweigende Kollusion begünstigen. Die geringe Datenbasis ermöglicht es Marktteilnehmern zudem, die Preissetzung durch die gezielte Meldung einzelner Transaktionen zu manipulieren. Tatsächliche Kollusionen oder Manipulationen wurden jedoch nicht aufgedeckt.
Wenn das Bundeskartellamt nun eine erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung feststellt, kann es nach § 32f Abs. 3 GWB verhaltensorientierte oder strukturelle Maßnahmen vorschreiben. Diese würden wohl die beiden führenden Preisinformationsdienste Argus Media und S&P Global treffen und dazu zwingen, ihre Preisnotierungssysteme zu reformieren.
Ein Eingriff des Kartellamts könnte aber zu einem Dilemma führen: Seit Jahren wird die Berücksichtigung des Klimaschutzes durch das Bundeskartellamt gefordert. Mehr Wettbewerb bedeutet aber sinkende Preise im Kraftstoffhandel was wiederum – durch damit korrespondierendes Fahrverhalten – einen höheren Kraftstoffverbrauch zur Folge hat. Der Einsatz des § 32f Abs. 3 GWB im Kraftstoffgroßhandel könnte sich daher als Bärendienst für den Klimaschutz erweisen.
Gleichzeitig ist die Rechtfertigung einer Wettbewerbsstörung im Kraftstoffgroßhandel durch den Klimaschutz aber ebenfalls nicht angemessen. Vielmehr ist der Schutz des Wettbewerbs die Aufgabe des Bundeskartellamts, während es dem Gesetzgeber obliegt, über den Schutz des Klimas zu entscheiden, etwa durch die Einführung eines Tempolimits.
Ganz allgemein wird es von großem Interesse sein, wie das Bundeskartellamt mit der neuen Befugnis umgeht. Entgegen des von der Wissenschaft beschworenen und von der Wirtschaft befürchteten Paradigmenwechsels hatte Kartellamtspräsident Mundt bei Einführung des § 32f Abs. 3 GWB darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um “eine sinnvolle Ergänzung des Instrumentariums” handele, die wohl nur “punktuell zur Anwendung kommen dürfte” (WuW 2023, 521). Die Dauer und Komplexität des Verfahrens und die mehrstufigen Rechtsschutzmöglichkeiten weckten bei ihm sogar Zweifel an der Praktikabilität.
Trotz dieser verhaltenen Erwartungen handelt es sich bei § 32f Abs. 3 GWB um eine Eingriffsbefugnis, die dem Kartellamt Handlungsmöglichkeiten in Märkten eröffnet, die ihm mangels rechtswidrigen Verhaltens bisher versperrt waren. Vor dem Hintergrund einer schon jetzt in den USA zu beobachtenden zunehmenden Marktkonzentration ist die Existenz dieser Option essentiell.
Wettbewerb ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern durch seine egalisierende Wirkung auch für Gesellschaft und Demokratie von zentraler Bedeutung. Um neuen Formen der Wettbewerbsstörung wirksam begegnen zu können, bedürfen auch die Wettbewerbsbehörden immer neuer Instrumentarien. Die Sicherung des Wettbewerbs ist so eine fortwährende Suche nach einem Equilibrium zwischen Freiheit und Ordnung, die niemals ganz abgeschlossen sein kann. Oder, um mit Friedrich Liechtensteins Tankstellen-Song zu sprechen: “Ich könnt' noch 1 000 Liter tanken, wär' noch immer nicht am Ziel.”
Dr. Maximilian Konrad, MSc (LSE), RA/FAGewRS, berät insbesondere im Kartellrecht und Patentrecht.