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BB 2018, I
Theisen 

Unabhängige Aufsichtsratsmitglieder – Den Seinen gibt`s der Herr im Schlaf . . .

Abbildung 1

Es sind schlechte Zeiten für gute Nachrichten aus der Wirtschaft. Das sind dann immer auch die Zeiten, um Manager- und Aufsichtsratsversagen medial geltend zu machen und auf Abhilfe zu drängen. Ohne die diesbezügliche Kausalität überprüft zu haben, erscheint vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass sich in nur knapp zehn Jahren die durchschnittliche Verweildauer eines DAX-Vorstands fast halbiert hat, immer noch bemerkenswert. Von einer vergleichbar geänderten “Umschlagsgeschwindigkeit” von Aufsichtsratsmitgliedern ist zumindest noch nicht berichtet worden.

Diese Diskrepanz überrascht insoweit, als ungeachtet der stark gestiegenen Verantwortung und der unstreitig gewachsenen Überwachungsaufgabe der Kontrollgremien, diese nahezu ausnahmslos nur mit negativem Unterton in die Presse und damit die Öffentlichkeit zu kommen scheinen: Wann berichten die medialen Gatekeeper über Erfolge solcher Überwachungsorgane, wer kann sich auch nur an einige lobende Kommentarzeilen in Zusammenhang mit gelungenen Vorstandsbesetzungen, wirksamen Prüferwechsel oder überzeugender, weil weitsichtiger Nachfolgeplanung erinnern? Man möchte diesbezüglich fast von Jahrhundertereignissen sprechen. Dagegen sind Schlagzeilen und Titel wie “Kontrollversagen”, “Sonnengötter” und “Nachsicht statt Aufsicht” weit häufiger zu finden.

Beruhigend zu wissen, dass es diesbezüglich offensichtlich auch Nischen und Ausnahmen gibt: Aus den Kontrolletagen der aktuell stark gebeutelten Autoindustrie wird unisono das Bild einer ausgeruhten und in sich ruhenden Organtätigkeit gezeichnet: Die “Crème de la crème” der einschlägigen Dax-Aufsichtsräte erinnert sich derzeit wohl an schöne, märchenhafte Berichtsstunden in den letzten (Sitzungs-)Jahren. Von Zaubereien wie der “saubersten Technik ever”, “motorschonenden autonomen Abschaltvorrichtungen”, “selbstaufladender Software” und “konkurrenzlosen Abgaswerten” müssen die ihnen gebotenen Vorstandsvorträge ebenso durchtränkt gewesen sein wie von einem weiterhin barrierefreien Marsch in eine unverändert glänzende automobile Zukunft mit Verbrennungsmotoren: Diese schöne neue (alte) Welt hat wohl in den hochmögenden Überwacherkreisen eine subkutane Euphorie ausgelöst, die die auf Träume ausgelegten Märchen der Gebrüder Grimm als fade Eintagsfliegen erschienen lassen.

“Träume sind Schäume” will der Volksmund wissen und liegt diesbezüglich mal wieder genauso daneben wie häufig: Denn die organspezifischen Träumereien haben den so überwachten Unternehmen traumhafte Absatzerfolge eingebracht: Die vielfach thematisierte, “konkurrenzlose” Dieseltechnik hat ihre Versprechungen eingelöst und der internationalen Konkurrenz gezeigt, was deutsche Ingenieurstechnik gerade heute noch vermag. “Traumhafte Gewinne” sind da ausnahmsweise keine metaphorische Überhöhung, sondern das Ergebnis einer exakten betriebswirtschaftlichen Analyse des ergebnisrelevanten Vorgangs.

Auf der nach oben offenen Skala der Traumrenditen aber steht einmal mehr der Volkswagen-Konzern: Unter dem Vorsitz des langjährigen Finanzchefs des Autoriesen (und Porsche-Vertrauten) Pötsch muss das renommierte Kontrollorgan nach vielfachen eigenen – und daher überzeugenden – Berichten über “Nichtwissen und Unkenntnis des Dieselthemas” seit 2015 wohl eine kollektive Schlafkur absolviert haben. Prominenteste Mitwirkende (und immer noch Aufsichtsratsmitglieder) sind der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil und sein Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, die als (politische) Vertreter der rund 20 %igen Kapitalbeteiligung ihres Bundeslandes im VW-Aufsichtsrat repräsentieren. Ihre – unterstellt bewusste – Passivität wurde jüngst mit einem Jackpot der besonderen Art belohnt: Das von der Staatsanwaltschaft Braunschweig verhängte Bußgeld wegen “Aufsichtspflichtverletzungen”, eine kombinierte Ordnungswidrigkeitenstrafe (5 Mio. Euro) und (Traum-)Gewinnabschöpfung (995 Mio. Euro), wurde von ihnen in (vermutlich) einstimmigem Zusammenwirken aller Aufsichtsratskollegen sofort akzeptiert, bezahlt und möglicherweise als Kollateralschaden des Traumergebnisses verbucht (“Traum an Kasse”). Das VW-seitig per Pressemittteilung für die Strafe benannte kausale Zusammenwirken einiger unternehmensführungsferner Mitarbeiter wollte die Staatsanwaltschaft aber als zu unbescheiden nicht akzeptieren: Sie bekräftigte, dass sie niemals subalterne Mitarbeiter einer solchen Buße unterwerfen würde und rückte damit die pönalisierte Tat wieder auf die richtige Führungsflughöhe.

Und das Wunder aber nimmt kein Ende: Die Milliarde landete nach regierungsamtlicher Bestätigung mit “geringfügigen Abstrichen, aber keinen substanziellen” im Staatssäckel des Landes, dessen höchste Repräsentanten und Abgesandte sich ihrer Verantwortung an diesem Segen auch noch pressewirksam rühmten: Aus Bescheidenheit danken sie dabei (ausnahmsweise) mal nicht ihrer eigenen Tüchtigkeit und Fantasie, versprachen aber Wohltaten für alle, die mittels der 3,3 %igen Erhöhung ihres Jahreshaushalts so unverhofft ermöglicht werden: Jeweils 350 Mio. Euro für schnelle Internetverbindungen und Krankenhäuser und jeweils 100 Mio. Euro für Sportstätten, Schuldenabbau und Wirtschaftsförderfonds (Klimaschutz, Luftreinhaltung und Verkehrswende). Die Träumereien werden Wirklichkeit, die mitgeförderte “Verkehrswende” muss im Eifer des Gefechtes in ihrer Kontraproduktivität für den spendablen Geber wohl übersehen worden sein.

Den Seinen gibt`s VW im Schlaf. . ..

Prof. Dr. Manuel R. Theisen ist Mitglied der Fakultät für Betriebswirtschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, sowie “Visiting Faculty Member” der ESMT Berlin. Er ist Verfasser zahlreicher Schriften zu Themen der deutschen Unternehmensverfassung und seit 2004 geschäftsführender Herausgeber der von ihm mitbegründeten unabhängigen Fachinformation “Der Aufsichtsrat”.

 
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