R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Suchmodus: genau  
Header Pfeil
 
 
Sicherheit, Gefahr, Risiko und Vorsorge im Lebensmittelrecht: Ein Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und Konzeption in der BasisVO [Verordnung (EG) Nr. 178/2002] (2025), S. Seite 8—Seite 15 
B. Ungereimtheiten im europäischen … 
Alexander Thomas Lang 

B. Ungereimtheiten im europäischen Lebensmittelsicherheitsrecht

Allerdings sei bereits an hiesiger Stelle ausdrücklich erwähnt, dass die entsprechende Konzeption der BasisVO sowie die vorstehenden Begrifflichkeiten eine Mehrzahl an Ungereimtheiten aufweisen.

So werden die beiden im Mittelpunkt stehenden Begrifflichkeiten Risiko und Gefahr sowie die dahinterstehenden Sinngehalte innerhalb der BasisVO nicht durchgehend konsequent und einheitlich verwendet, was die rechtsanwendenden Lebensmittelunternehmen und Lebensmittelüberwachungsbehörden durchaus vor Herausforderungen bei der Applikation derselben stellen oder zumindest für Verwirrung sorgen könnte. 47

Seite 8 Konkret lassen sich solche Widersprüchlichkeiten (oder zumindest Unklarheiten) im Rahmen der Festsetzung der Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit 48 erkennen, wo anstelle der in Art. 3 Nr. 9 BasisVO verwendeten Risikodefinition („die Gesundheit beeinträchtigende Wirkung“) und der in Art. 3 Nr. 14 BasisVO verwendeten Gefahrendefinition („Gesundheitsbeeinträchtigung“) in Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO mit der Formulierung „gesundheitsschädlich“ ein weiteres und gleichzeitig sprachlich enger gefasstes 49 , in Art. 3 jedoch nicht legal definiertes Vokabular, eingeführt wird. Auch weil oder obwohl der Begriff „gesundheitsschädlich“ in Art. 14 Abs. 4 BasisVO mit entsprechenden „zu berücksichtigen[den]“ Kriterien umschrieben wird, 50 stellt sich doch die Frage, ob und inwieweit sich dieser mit dem Terminus der „Gesundheitsbeeinträchtigung“ entweder gleichsetzen oder zumindest in dessen Lichte auslegen lässt.

Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, insbesondere in sog. lebensmittelrechtlichen Standardwerken, stößt dieser Faktor auf ein uneinheitliches Echo. So sieht Rathke – obgleich er die unterschiedliche sprachliche Gestaltung durchaus erkennt – beispielsweise keine Divergenz bei der Verwendung und Auslegung der Begrifflichkeiten und setzt diese gleich:

Dass mit dem Begriff Gesundheitsbeeinträchtigung etwas anderes gemeint ist, als gesundheitsschädlich i.S. des Art. 14 Abs. 4 [BasisVO] ist nicht zu unterstellen. Zwar geht nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Beeinträchtigung weiter als das Wort schädlich; die Bestimmung der Kriterien für ein gesundheitsschädliches Lebensmittel in Art. 14 Abs. 4 [BasisVO] gehen [sic] jedoch weit über den Inhalt des Begriffes gesundheitsschädlich nach allgemeinem Sprachgebrauch hinaus. Deshalb ist davon auszugehen, dass diese Beschreibung gesundheitsschädlicher Lebensmittel auch für die inhaltliche Abgrenzung des Begriffes Gesundheitsbeeinträchtigung in [Art. 3] Nr. 14 [BasisVO] heranzuziehen ist, (…)“ 51 .

Einen anderen Ansatz scheint Meisterernst zu wählen, der begrifflich zwischen der in Art. 14 Abs. 2 lit. a i.V.m. Abs. 4 BasisVO verwendeten Formulierung „gesundheitsschädlich“ und der in Art. 3 Nr. 14 BasisVO bezeichneten „Gesundheitsbeeinträchtigung“ (und somit auch der in Art. 3 Nr. 9 BasisVO enthaltenen „die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung“) zwar durchaus differenziert bzw. die Kriterien des Art. 14 Abs. 4 BasisVO einerseits unmittelbar nur für die Beurteilung der Verkehrsfähigkeit des jeweiligen Lebensmittels Seite 9 i.S.d. Art. 14 Abs. 1 BasisVO heranzieht, andererseits und gleichzeitig diese Kriterien doch als vorgelagerte Frage bzgl. der „Möglichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung“ verwertet und dementsprechend eine in sich prima facie wohl widersprüchliche Lösung anträgt, welche die Divergenz nicht auszuräumen vermag:

Ob überhaupt eine Gesundheitsbeeinträchtigung möglich ist, kann dabei anhand der in Art. 14 Abs. 4 BasisVO genannten Kriterien bestimmt werden. Zwar setzt Art. 14 Abs. 4 BasisVO diese Kriterien direkt nur für die Frage der Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit fest, die gemäß Art. 14 Abs. 1, 2 Bucht. a) BasisVO dazu führt, dass das jeweilige Lebensmittel nicht verkehrsfähig ist. Die Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit ist somit das Ergebnis der Risikoanalyse, ggf. unter Einbezug des Vorsorgeprinzips und nicht mit der Frage einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung gemäß Art. 2 [sic] 52 Ziff. 14 BasisVO gleichzusetzen. Dennoch können die in Art. 14 Abs. 4 BasisVO genannten Kriterien bei der vorgelagerten Frage [sic] ob die Möglichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung und somit eine Gefahr besteht herangezogen werden. 53

Den beiden vorgenannten Autoren ist zuzuerkennen, dass sie diese Unstimmigkeit jedenfalls erkannt und den Versuch einer Auflösung unternommen haben. 54 An anderer Stelle nämlich wird der jeweilige, hinter diesen Termini stehende Sinngehalt völlig verkannt. So verwechselt Schomburg ganz offensichtlich die Bedeutung der begrifflich weitergefassten „Gesundheitsbeeinträchtigung“ mit der sprachlich sehr viel engeren Vokabel „gesundheitsschädlich“ und vermengt diese dadurch in unsystematischer Weise:

Gesundheitsschädlich sind Lebensmittel dann, wenn sie geeignet sind eine Gesundheitsbeeinträchtigung hervorzurufen. Bereits unterhalb der Krankheitsschwelle ist jedes Hervorrufen einer vorübergehenden, jedoch nicht ganz geringfügigen Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit wie Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerzen, als Gesundheitsschädigung zu verstehen.“ 55

Seite 10 Die eigentliche Problematik bei der Auslegung und Anwendung der in der BasisVO verwendeten Termini liegt jedoch tiefer bzw. lässt sich insbesondere schon in der vorgelagerten Frage verorten, wie die Begrifflichkeiten Risiko und Gefahr in Verbindung mit der in Art. 6 BasisVO manifestierten Risikoanalyse zu interpretieren sind und welcher konkrete Regelungsgehalt diesen überhaupt zukommt, namentlich ob der Risikobegriff lediglich rein formal im Sinne einer Verfahrensvorschrift zu verstehen ist oder ob bereits hier eine normative Schwelle zum Tätigwerden, also zum Ergreifen von Risikomanagementmaßnahmen 56 , eingezogen wird. Eine verbindliche Klärung dieser Frage könnte durchaus dazu beitragen, das Dunkelfeld rund um die inkohärente Verwendung der Begrifflichkeiten zu erhellen. Denn dass hier Klärungsbedarf besteht, erscheint unstreitig.

Exemplarisch sei auch hier auf das einschlägige Schrifttum verwiesen. Rathke nämlich, versteht den Risikobegriff, indem er sich nah an dessen Wortlaut orientiert, lediglich verfahrensbezogen, also dahingehend, dass er die beiden Elemente Eintrittswahrscheinlichkeit einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und die Schwere eben dieser Wirkung als Folge der Gefahrenrealisierung durch den Begriff der Funktion bloß in Beziehung setzt, ohne dass bereits hiermit eine materiell-normative Schwelle eingezogen wird:

Dieser (…) Begriff besagt lediglich, dass bei der Feststellung eines Risikos die beiden Umstände miteinander in Beziehung zu setzen sind (…). Die materielle Bewertung bestimmter Tatsachen als Risiko muss sich mithin aus den Vorschriften ergeben, die sich auf ein Risiko beziehen; die Begriffsbestimmung beschränkt sich hiernach auf die Benennung der Umstände, die ein Risiko begründen können. Dementsprechend ergibt sich aus der Definition auch nicht, wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit für eine die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und wie schwer diese Wirkung sein muss, um Maßnahmen auszulösen. Die Definition bestimmt lediglich den Denkprozess zur Feststellung eines Risikos. Ob ein Risiko besteht, kann sich nur aus dem materiellen Inhalt der Vorschriften, die sich auf ein Risiko beziehen sowie den zu beurteilenden Sachverhalten ergeben. 57

Nicht ganz so eindeutig äußert sich hingegen Meisterernst, der an einer Stelle selbigen Ansatz wie Rathke publiziert und dem Risikobegriff alleine gerade keine materiell-rechtliche Wirkung, mithin allenfalls in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 BasisVO, zuerkennt, aber auch hier über die vorgenannte unterschiedliche Begriffsverwendung und der ggf. damit im Zusammenhang stehenden Problemlage hinwegsieht:

Seite 11 Wann eine derartige „die Gesundheit beeinträchtigende Wirkung“ vorliegen kann, wird in Art. 3 Nr. 9 BasisVO nicht weiter ausgeführt. Auch beim Begriff der Gefahr gemäß Art. 3 Nr. 14 BasisVO kommt es maßgeblich darauf an, ob mit der Gefahr ’eine Gesundheitsbeeinträchtigung‘ verursacht werden kann. Einheitlich ist die Frage einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung also danach zu beurteilen, ob die bloße Möglichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung besteht (…). Anhaltspunkte dafür, wann eine Gesundheitsbeeinträchtigung möglich sein kann, lassen sich der Vorschrift des Art. 14 Abs. 4 BasisVO entnehmen, der Kriterien bei der Beurteilung der Lebensmittelsicherheit benennt. Die dort genannten Kriterien der ’wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auf nachfolgende Generationen‘ sowie ’die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen‘ unter Berücksichtigung besonderer gesundheitlicher Empfindlichkeit bestimmter Verbrauchergruppen, ’falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist‘, können auch zur Beurteilung der Frage herangezogen werden, ob eine Gesundheitsbeeinträchtigung möglicherweise zu befürchten ist. 58

An anderer Stelle hingegen lesen sich die Ausführungen von Meisterernst deutlich weniger verfahrensbezogen bzw. vielmehr dahingehend, als dass bereits der Risikobegriff eine solche normative Schwelle zieht:

Als Risiko ist demnach die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Gefahr in Relation zu Schwere der befürchteten Wirkung anzusehen. Die beiden Elemente des Risikos, die der Gesundheitsbeeinträchtigung und der potenziellen Schwere der Realisierung der Gefahr, sind für die sich anschließende Risikomanagemententscheidung von untrennbarer und erheblicher Bedeutung. Schwere Folgen bei der Realisierung der Gefahr, zB irreversible Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Todesfälle, verlangen Risikomanagementmaßnahmen auch nur bei einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit der bei der Realisierung der Gefahr drohenden Gesundheitsbeeinträchtigung. Eine höhere Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gesundheitsbeeinträchtigung kann hingegen bei nur schwachen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit eher hingenommen werden. Das Risiko muss letzten Endes zumindest plausibel sein. Rein hypothetische Überlegungen genügen auch im Rahmen des Vorsorgeprinzips (…) nicht, um Verkehrsverbote zu rechtfertigen. 59

Seite 12 Ähnlich blickt auch Simon auf den Risikobegriff, indem er bereits diesem die Entscheidung über „Inhalt und Tragweite“ von Risikomanagementmaßnahmen als immanent unterstellt:

Der Risikobegriff spielt – ebenso wie in vielen anderen Gebieten des öffentlichen Wirtschaftsrechts – auch in allen Teilbereichen des neuen Lebensmittelrechts als modernem Risikoverwaltungsrecht eine elementare Rolle. So entscheidet die Auslegung des Begriffes im Rahmen der Risikoanalyse (Art. 6 Lebensmittelbasisverordnung), die das allgemeine Steuerungsinstrument des neuen Lebensmittelrechts darstellt, grundlegend über Inhalt und Tragweite sowohl von staatlichen Eingriffen als auch von eigenen (Vorsorge-) Verpflichtungen des Lebensmittelunternehmers. 60

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass Simon die Grundbegriffe Risiko und Risikoanalyse innerhalb seiner monographischen Untersuchung der „Kooperative[n] Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht“ zwar zentral in einem eigenen Kapitel 61 behandelt, jedoch auf die hier in Rede stehende Problematik, mithin ob der Risikobegriff lediglich im Sinne einer Verfahrensvorschrift zu verstehen ist oder ob bereits dieser eine normative Schwelle zum Tätigwerden zieht, nicht unmittelbar analytisch eingeht respektive diese begriffliche Divergenz überhaupt nicht erkennt. 62 Beachtenswert ist aber durchaus eine Erkenntnis, die wiederum weitere Unstimmigkeiten aufzuwerfen vermag. So formuliert Simon im Zusammenhang mit Art. 14 BasisVO:

Des Weiteren werden über das ’Risiko‘ die allgemeinen Anforderungen an die Sicherheit eines Lebensmittels in Art. 14 Lebensmittelbasisverordnung (negativ) definiert 63 .

Diese zunächst abstrakt anmutende Passage (insbesondere da, wie oben dargestellt, die divergente begriffliche Ausgestaltung des Art. 14 BasisVO in Verbindung mit dem Risikobegriff aus Art. 3 Nr. 9 BasisVO eine solche Verknüpfung gerade nicht unmittelbar erkennen lässt) wird jedoch mit einem weiterführenden Fußnotenhinweis ergänzt, in dem sich einerseits ggf. eine Seite 13 (vermeintliche) erste Erklärung erblicken lässt, der andererseits aber weitere Folgefragen aufwirft:

In der deutschen Sprachfassung von Art. 14 Lebensmittelbasisverordnung wird der Begriff ’Risiko‘ nicht explizit verwandt, in einigen anderen Sprachfassungen hingegen schon. Der Zusammenhang zwischen Lebensmittelsicherheit und Risiko wird im Folgenden noch mehrmals dargestellt (…)“ 64 .

Bezieht man nämlich die unterschiedlichen Sprachfassungen 65 des Art. 14 BasisVO in diesen Ansatz von Simon mit ein, so scheint sich dessen Annahme jedenfalls nur partiell zu bestätigen, da weder die englische 66 noch die französische 67 Fassung eine Verwendung des Begriffes Risiko aufweist. Vielmehr sind die dort verwendeten Vokabeln „ injurious to health 68 und „ préjudiciable à la santé 69 dem deutschen Pendant „gesundheitsschädlich“ des Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO, welches mit dem Risikobegriff ja divergiert, sogar sehr ähnlich. Während jedoch in der deutschen und in der englischen Sprachfassung des Art. 14 Abs. 1 und 2 BasisVO von „nicht sicher[en]“ Lebensmitteln 70 die Rede ist, spricht der französische Text von „ dangereuse 71 also gefährlichen Lebensmitteln. 72 Lediglich die italienische Textfassung rekurriert ausdrücklich auf ein „rischio 73 .

Die aufgeworfenen Fragen, wie die Begrifflichkeiten und deren dahinterstehende Konzeption nun erwartungsgemäß und widerspruchsfrei angewandt und ausgelegt werden können, bleiben also nicht nur offen, sondern werden Seite 14 sogar noch vielzähliger und undurchschaubarer. Zu einer Kontrastierung der Nomenklatur – um den Blick wieder auf die Ungereimtheiten in der deutschen Sprachfassung zu wenden – hat ebenfalls nicht beigetragen, dass innerhalb der Vorschriften zur Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit 74 anstelle des Begriffes der Gefahr mehrfach der des Risikos aufgebracht wird. 75 So lässt sich Art. 22 Abs. 2 BasisVO entnehmen:

„[Die EFSA] (…) macht auf Risiken aufmerksam“,

was in Anbetracht der Definition des Risikobegriffes aus Art. 3 Nr. 9 BasisVO bedeuten würde, sie mache aufmerksam auf eine „Funktion der Wahrscheinlichkeit einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und der Schwere dieser Wirkung als Folge der Realisierung einer Gefahr“. Sprachlich und inhaltlich zutreffender wäre doch, dass die EFSA auf „(neue) Gefahren und deren Risiko aufmerksam macht 76 .

Ähnlich flüchtig wie interpretationsfähig erscheint Art. 23 lit. f BasisVO:

„[Die EFSA] führt in den Bereichen ihres Auftrags Maßnahmen zur Identifizierung und Beschreibung neu auftretender Risiken durch“,

da entsprechend der Definition der Risikobewertung aus Art. 3 Nr. 11 BasisVO gerade keine Risiken sondern vielmehr, als erster Schritt, Gefahren zu identifizieren und sodann, in einem zweiten Schritt, zu beschreiben sind. 77

Zudem erscheint erwähnenswert, dass der Risikobegriff in der (erst rund 15 Jahre später eingeführten) sog. neuen Kontrollverordnung 78 in seinem Art. 3 Nr. 24 deutlich weiter gefasst ist als der in Art. 3 Nr. 9 BasisVO und über solche Wirkungen, die von Lebens- oder Futtermitteln auf Menschen oder Tiere gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung zeitigen, auch alle Gefahren, unabhängig von der Art des Agens sowie auch Wirkungen auf Pflanzen, Tierschutz und Umwelt umfasst. 79 Demnach ist unter einem Risiko

ein Produkt aus der Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen, den Tierschutz oder die Umwelt Seite 15 beeinträchtigenden Wirkung und der Schwere dieser Wirkung als Folge einer Gefahr

zu verstehen.

Diese Uneinheitlichkeit in Bezug auf die begriffliche Ausgestaltung und die Konzeption innerhalb der BasisVO 80 lässt sich wohl vornehmlich auf den Umstand zurückführen, dass die Verordnung vor dem Eindruck insbesondere der BSE-Krise und dem hierauf resultierenden politischen Druck auf die Organe der Europäischen Union binnen eines sehr kurzen Zeitraumes geschaffen wurde; 81 zwischen dem ersten Kommissionsvorschlag, der Zustimmung des Europäischen Parlaments am 11. Dezember 2001 und dem Beschluss des Europäischen Rates am 21. Januar 2002 lag immerhin weniger als ein Jahr, was (jedenfalls aus damaliger Sicht) 82 durchaus als unüblich bezeichnet werden kann. 83

Nichtsdestotrotz sind die Begrifflichkeiten Risiko und Gefahr als sog. Gesetzesbegriffe Teil des Normbefehls der BasisVO. 84 Und dieser Normbefehl hat wiederum schon aus funktionalen Gesichtspunkten für die rechtsunterworfenen Lebensmittelunternehmer und Überwachungsbehörden – auf Rechtsdurchsetzungsebene – insoweit operabel anwendbar und realisierbar zu sein. 85 Das kann jedoch nur gelingen, wenn der Normbefehl deutlich und der Sinngehalt der Begriffe Risiko und Gefahr im Rahmen der praktischen Anwendung ermittelbar ist, dieser also vom Rechtsanwender erwartungsgemäß angewandt werden kann und auch angewandt wird. 86 Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen lässt sich gerade das bezweifeln.

47

 47 Vgl. auch Untermann/Hartig, ZLR 2004, 116, 119.

48

 48 Art. 14 BasisVO.

49

 49 Vgl. auch Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Art. 3 BasisVO, Rn. 89.

50

 50 Auf Auslegungs- und Deutungsprobleme im Zusammenhang mit verschiedenen unbestimmten Rechtsbegriffen innerhalb des Art. 14 BasisVO machen zudem aufmerksam Kert, Lebensmittelstrafrecht im Spannungsfeld des Gemeinschaftsrechts, S. 147; Honstetter, Lebensmittel(straf)rechtlicher Gesundheitsschutz, S. 158.

51

 51 Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Art. 3 BasisVO, Rn. 89.

52

 52 Anmerkung: Richtigerweise handelt es sich hierbei um Art. 3 Nr. 14 BasisVO.

53

 53 Meisterernst, Lebensmittelrecht, S. 29; im Ergebnis ebenso, jedoch ohne den Versuch einer Begründung siehe Meisterernst, in: Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, Art. 3 BasisVO, Rn. 47.

54

 54 In anderen einschlägigen Publikationen wurde dies eher ausgeklammert bzw. überhaupt nicht problematisiert, so bspw. Dominik Mayer, Gesundheitsschutz in der Europäischen Gemeinschaft am Beispiel von BSE, S. 200ff. sowie Thilo Ortgies, Rechtliches Risikomanagement im Lebensmittelrecht, S. 71, 76ff., 242ff., 258ff.; aber auch Rabe, ZLR 2003, 151, 156ff. und Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 209ff.

55

 55 Schomburg, Rechtsrahmen funktioneller Lebensmittel, S. 90; wenig nachvollziehbar erscheinen a.a.O. auf S. 98f. auch die Ausführungen, dass sich Art. 14 Abs. 1 BasisVO an die Lebensmittelunternehmer, die übrigen Abs. 2 bis 9 hingegen an die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden, mithin an unterschiedliche Adressaten richtet.

56

 56 Art. 3 Nr. 12 bzw. Art. 6 Abs. 3 BasisVO.

57

 57 Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Art. 3 BasisVO, Rn. 54f.

58

 58 Meisterernst, in: Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, Art. 3 BasisVO, Rn. 47.

59

 59 Meisterernst, Lebensmittelrecht, S. 30.

60

 60 Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 81.

61

 61 Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 81 bis 153: „2. Kapitel, Die Risikoverwaltung: Risiko und Risikoanalyse als Grundbegriffe des neuen Lebensmittelrechts“.

62

 62 Vgl. hierzu insbesondere die relevanten Passagen bei Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 81, 91ff., 100ff. sowie 106ff., 112ff. und 140f.

63

 63 Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 81; im Ergebnis wohl ähnlich, begrifflich wie inhaltlich jedoch undifferenziert Schomburg, Rechtsrahmen funktioneller Lebensmittel, S. 90: „Grundlage jeder Überprüfung der gesundheitlichen Auswirkungen ist die Risikobewertung nach Art. 6 sowie das Vorsorgeprinzip des Art. 7 BasisVO. Maßstab für die Risikobewertung ist die Rechtsprechung des EuGH zum Vorsorgeprinzip und dem Umgang mit der Ungewissheit bei einer Gefahr für die menschliche Gesundheit“.

64

 64 Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 81 in dortiger Fn. 182; allerdings sei auch an dieser Stelle nochmals der Hinweis erlaubt, dass die hier in Rede stehende begriffliche Problematik a.a.O. gerade nicht behandelt wird.

65

 65 An dieser Stelle zunächst die englische und die französische Sprachfassung.

66

 66 Art. 14 BasisVO in der englischen Sprachfassung: „(1) Food shall not be placed on the market if it is unsafe. (2) Food shall be deemed to be unsafe if it is considered to be: (a) injurious to health; (b) unfit for human consumption “.

67

 67 Art. 14 BasisVO in der französischen Sprachfassung: „(1) Aucune denrée alimentaire n'est mise sur le marché si elle est dangereuse. (2) Une denrée alimentaire est dite dangereuse si elle est considérée comme: a) préjudiciable à la santé; b) impropre à la consommation humaine “.

68

 68 Injurious to health , engl.: gesundheitsschädlich (https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/injurious+to+health?bidir=1 [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]).

69

 69 Préjudiciable à la santé , frz.: schädlich für die Gesundheit (https://www.deepl.com/de/translator#fr/de/pr%C3%A9judiciable%20%C3%A0%20la%20sant%C3%A9 [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]).

70

 70 In der englischen Fassung „ unsafe “.

71

 71 Dangereuse , frz.: gefährlich (https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/franz%C3%B6sischdeutsch/dangereuse [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]).

72

 72 Vgl. hierzu auch Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 115f.

73

 73 Rischio, italienisch: Risiko (https://www.deepl.com/de/translator#it/de/rischio [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]).

74

 74 Im Folgenden EFSA; Art. 22 bis 34 BasisVO.

75

 75 So auch Untermann/Hartig, ZLR 2004, 116, 119, an welchem sich die hiesige Darstellung orientiert.

76

 76 Untermann/Hartig, ZLR 2004, 116, 119.

77

 77 So auch Untermann/Hartig, ZLR 2004, 116, 119, der zusätzlich noch Art. 34 Abs. 1 BasisVO anspricht und analog zu den vorstehenden Ausführungen empfiehlt, ebd. „neu auftretende Risiken (…) zu identifizieren“ durch „neu auftretende Gefahren(…)“ zu ersetzen.

78

 78 Verordnung (EU) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2017 über amtliche Kontrollen, ABl. EU 2017 L 95/1; im Folgenden: KontrollVO.

79

 79 Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Art. 3 BasisVO, Rn. 61b.

80

 80 Vgl. hierzu auch Schroeter, ZLR 2005, 191, 199; Rabe, ZLR 2003, 151, 152.

81

 81 Rathke, in Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Vorbemerkungen zur BasisVO, Rn. 2.

82

 82 Zwischen den Jahren 2009 und 2014 betrug die durchschnittliche Dauer des europäischen Gesetzgebungsverfahrens jedenfalls noch 19 Monate (https://www.bundesregierung.de/bregde/schwerpunkte/europa/eu-gesetzgebung-370498 [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]).

83

 83 Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 39.

84

 84 Siehe hierzu jedoch in Bezug auf unbestimmte Rechtsbegriffe im bundesdeutschen Technikrecht: Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, S. 13.

85

 85 In Bezug auf unbestimmte Rechtsbegriffe im bundesdeutschen Technikrecht: Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, S. 13.

86

 86 Vgl. Papier, DÖV 1986, 621, 622.

 
stats