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Sicherheit, Gefahr, Risiko und Vorsorge im Lebensmittelrecht: Ein Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und Konzeption in der BasisVO [Verordnung (EG) Nr. 178/2002] (2025), S. Seite 73, Seite 74 
C. Schlussfolgerungen 
Alexander Thomas Lang 

C. Schlussfolgerungen

Anhand der bisherigen Untersuchungen zur tatbestandlichen Kontur und Ausgestaltung des Risikobegriffes aus Art. 3 Nr. 9 BasisVO 468 sowie zu den strukturellen und prozessualen Besonderheiten der Ermittlung und Bestimmung von Risiken in Form der Risikobewertung 469 lassen sich interessante Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede zu dem deutschen polizeirechtlichen Gefahrenbegriff sowie zu dem aus dem deutschen Technikrecht entstammenden Rechtsbegriff des Risikos feststellen, 470 die durchaus zur Kontrastierung von Begrifflichkeit und Programmatik innerhalb der BasisVO beitragen.

In Bezug auf die Ähnlichkeiten kann konstatiert werden, dass der hiesige Risikobegriff Berührungspunkte zu beiden Konzeptionen aufweist, zum einen mit dem polizeirechtlichen Gefahrenbegriff hinsichtlich der tatbestandlichen Verknüpfung von Eintrittswahrscheinlichkeit und der Schwere der Wirkung bzw. der Gesundheitsbeeinträchtigung durch das Merkmal der Funktion 471 Seite 73 (in Anlehnung an die sog. Je-desto-Formel), 472 das sich verfahrensmäßig auch in der Expositionsabschätzung 473 niederschlägt. Zum anderen im Zusammenhang mit dem Terminus Risiko aus dem technischen Sicherheitsrecht, indem auch geringere Wahrscheinlichkeiten oder fernliegendere Wirkungen umfasst sind, die ebenfalls Eingang in die entsprechende Risikobeschreibung 474 finden. Aus letzterem folgt, dass die materielle Komponente des Risikobegriffes (die Gesundheit beeinträchtigende Wirkung) 475 eigenständig, also originär und weiter gefasst sein muss als das engere Tatbestandsmerkmal der Gesundheitsschädlichkeit aus Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO. 476

Die Erkenntnis, dass der Risikobegriff des Art. 3 Nr. 9 BasisVO Bezüge zu beiden Konzeptionen und somit auch zum technischen Sicherheitsrecht in sich birgt, welches gerade solche Gegebenheiten betrifft, die von einer strukturell-wissenschaftlichen Ungewissheit geprägt sind und sich somit regelmäßig einer klassischen, situativen Gefahrbeurteilung entziehen, 477 impliziert allerdings gleichzeitig einen deutlichen Unterschied zu dem polizeirechtlichen Modell der Gefahrenabwehr, nämlich den Umstand, dass aufwändige Untersuchungen und Ermittlungen unter dem Zeitdruck des polizeilichen Alltagsgeschäfts nicht möglich sind, 478 das Lebensmittelrecht aber gerade solche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht voraussetzt 479 .

Freilich kann dieser Unterschied für sich genommen einerseits zwar noch nicht ausreichen, die Ähnlichkeit zwischen dem hiesigen Risikobegriff und dem polizeirechtlichen Gefahrbegriff zu bestreiten oder gar gänzlich abzulehnen, da sich dieser prima facie anmutende Widerspruch unter Zuhilfenahme der Ergebnisse der Risikobewertung insoweit überbrücken lässt, als dass hierbei – (natur)wissenschaftlich aufwändig – erhobene und erarbeitete Erkenntnisse von Seiten der rechtsunterworfenen Lebensmittelunternehmer genauso wie von den zuständigen Überwachungsbehörden als diejenige, auf Alltagserfahrungen beruhende, Sachverhaltsermittlung im Einzelfall herangezogen werden können, die beispielsweise Polizeibeamte zeitlich und situativ ad hoc vornehmen müssten. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, da die insti Seite 74 tutionell unabhängigen Einrichtungen der Risikobewertung 480 ihre jeweiligen Ergebnisse, namentlich die Risikobeschreibung 481 , in Form von entsprechenden Gutachten bereitstellen und veröffentlichen, sodass ein kurzfristiger Zugriff hierauf jederzeit sowohl möglich als auch geboten erscheint.

Andererseits deutet aber die enorme Offenheit des Risikobegriffes doch darauf hin, dass Art. 3 Nr. 9 BasisVO trotz seiner verknüpfenden Komponente – in Form der Funktion aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Gesundheitsbeeinträchtigung – wohl nur schwerlich eine sich selbst genügende Eingriffsgrundlage für staatliches Tätigwerden darzustellen vermag, zumal die Risikobewertung, die richtigerweise als das Institut anzusehen ist, durch das (lediglich) Gefahren ermittelt und Risiken untersucht bzw. gründlich wissenschaftlich eruiert werden und sich abhängig von dem im Rahmen der Expositionsabschätzung (innerhalb derer die sog. Funktion wiederum einer fundierten Betrachtung unterzogen wird) festgestellten Risikogrades das Erfordernis zum Ergreifen ganz heterogener Maßnahmen ergeben kann. Dies lässt konsequenterweise darauf schließen, dass der Risikobegriff entweder implizit mehrere abgestufte Schwellen enthalten müsse oder eben expliziter, weitergehender Konkretisierungen bedarf.

468

468 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.A.

469

469 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.B.

470

470 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 1.C.

471

471 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.A. V.

472

472 Siehe hierzu bereits die Schlussfolgerungen unter Teil 2.A.VI.

473

473 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.B.II.3.

474

474 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.B.II.4.

475

475 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.A.II.

476

476 Siehe hierzu bereits die Schlussfolgerungen unter Teil 2.A.VI, denen schon zu entnehmen ist, dass der Risikobegriff der BasisVO eben „beide Welten [also sowohl das Konzept der polizeilichen Gefahrenabwehr als auch die Risikosteuerung im Rahmen des technischen Sicherheitsrechts mittels eines ganz eigenen materiellen Duktus] zu verbinden scheint“, sowie unter Teil 2.B.IV.

477

477 Siehe hierzu im Detail die nachfolgenden Ausführungen unter Teil 5.

478

478 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 1.C. I.

479

479 Siehe hierzu die einführenden Ausführungen unter Teil 2.

480

480 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.B. I.

481

481 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.B.II.4.

 
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