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Sicherheit, Gefahr, Risiko und Vorsorge im Lebensmittelrecht: Ein Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und Konzeption in der BasisVO [Verordnung (EG) Nr. 178/2002] (2025), S. Seite 166—Seite 170 
C. Schlussfolgerungen 
Alexander Thomas Lang 

C. Schlussfolgerungen

Die umfangreichen Darstellungen zur normativen (In-)Akzeptabilität von Risiken und den sich gegebenenfalls daran anschließenden (Rechts-)Folgen haben doch Interessantes und Ergiebiges hervorgebracht. So ist in erster Linie klar zu konstatieren, dass sich nicht bereits dem Risikobegriff des Art. 3 Nr. 9 BasisVO eine Erheblichkeits- bzw. Akzeptabilitätsschwelle entnehmen lässt, 1173 da dieser schlicht darauf angelegt ist, Risiken in ihrer Gesamtheit darzustellen und zu bemessen 1174 . Soweit allerdings mittels einer Risikobewertung lebensmittelbedingte Risiken für die menschliche Gesundheit dargelegt werden, folgt daraus gleichwohl die Verpflichtung zum Ergreifen etwaiger Risikomanagementmaßnahmen, die sich sowohl auf Rechtsetzungsebene in Form normativer Ausgestaltungen und entsprechender Festsetzungen, als auch auf Rechtsdurchsetzungsebene, die sodann jedoch einer tatbestandlichen Konkretisierung bedürfen, zeitigen (können). Damit verbunden ist freilich weiterhin die Frage, welche Relevanz und welches Gewicht neben den Ergebnissen der Risikobewertung auch sog. andere berücksichtigenswerten Faktoren im Rahmen des Risikomanagements zukommt bzw. wie diese beiden zueinander stehen.

Zunächst zeigt sich mit Blick auf die einschlägigen Rechtsakte 1175 betreffs jener Lebensmittel und Stoffe, aufgrund deren Verwendung oder Aufnahme sicherheits- oder gesundheitlich relevante Auswirkungen schon prima facie zu Seite 166 befürchten sind, 1176 dass für solche mitunter Zulassungspflichten 1177 oder zumindest besondere produktspezifische Vorgaben 1178 statuiert sind, die allesamt (vorrangig) ein deutliches Augenmerk auf die Sicherheitsbeurteilung legen. Andere berücksichtigenswerte Faktoren finden hierbei lediglich partiell, d.h. soweit dies angesichts der betreffenden Lebensmittelkategorie und durch die besonderen Gegebenheiten bedingt wird, Eingang bzw. erweitern allenfalls die Anforderungen um strengere Regelungen wie bspw. die technische oder technologische Notwendigkeit des Einsatzes, den Schutz vor Irreführung 1179 oder Erwägungen hinsichtlich einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung 1180 .

Anders verhält es sich hingegen auf Ebene der Rechtsdurchsetzung, mittels derer die abstrakt-generellen lebensmittelrechtlichen Rechtsakte in konkret-individueller Weise fortgesetzt werden und die hinsichtlich der Zuständigkeit für das Risikomanagement sowohl auf den Lebensmittelunternehmer 1181 als auch auf die staatlichen Stellen 1182 rekurriert. Für beide ist ein Tätigwerden nur im Falle von Risiken erforderlich, was natürlich darauf zurückzuführen ist, dass das lebensmittelrechtliche Primärziel des Gesundheitsschutzes ein Überwölbendes darstellt und die Einbeziehung anderer berücksichtigenswerter Faktoren somit nur dann in Betracht kommt, wenn die Ergebnisse der Risikobewertung dies zulassen, mithin, wenn ein Gesundheitsrisiko nicht zu befürchten ist. 1183 Konkrete Handlungspflichten folgen hierbei natürlich erst im Falle des Bestehens eines qualifizierten Risikos, welches sich in unterschiedlicher Ausprägung in den einschlägigen Normen wiederfindet und dementsprechend eine materielle Eingriffsschwelle manifestiert. Im Einzelnen:

Zuvörderst sei hierbei auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für das behördliche Risikomanagement hingewiesen, welches im Zusammenhang mit dem Europäischen Schnellwarnsystem (RASFF) 1184 als meldepflichtigen Umstand das Vorliegen eines

Seite 167 ernsten Risikos erfordert, also ein solches, das alternativ entweder in prognostischer 1185 oder in materieller 1186 Hinsicht ein Mehr beinhaltet, dergestalt, dass entweder eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Eintritts einer Gesundheitsbeeinträchtigung oder eine schwere Gesundheitsbeeinträchtigung wahrscheinlich ist; denklogisch ist es hierbei natürlich unschädlich, wenn beide Komponenten kumulativ ein hohes Maß aufweisen. Das ernste Risiko kontinuiert und konkretisiert dementsprechend die verknüpfende Komponente des Risikobegriffes, die sog. Funktion 1187 aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Wirkung.

Demgegenüber gebieten Sofortmaßnahmen auf Grundlage des Art. 53 BasisVO sowohl ein prognostisches als auch ein materielles Mehr. 1188

Eine behördliche Information der Öffentlichkeit 1189 nach Art. 10 BasisVO setzt indes (lediglich) den

hinreichenden Verdacht eines Risikos voraus ohne zugleich erhöhte materielle Anforderungen zu stellen, sodass im Rahmen des Art. 10 BasisVO von einem ausschließlich in diagnostischer oder prognostischer Hinsicht qualifizierten Risikobegriff gesprochen werden kann. Dies ist mit Blick auf die Rechtsfolgen des Art. 10 BasisVO allerdings insoweit konsequent, als das eine Information abhängig von Art, Schwere und Ausmaß des Risikos ergeht und somit abgestufte Informationsmittel oder -arten, wie Warnungen, Empfehlungen oder allgemeine Hinweise, Verwendung finden können und müssen. Gleichwohl genügt die bloße Möglichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht den tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm, was überdies auch mit systematischen Erwägungen in Abgrenzung zu – dem noch zu behandelnden 1190 – Art. 7 BasisVO im Einklang steht.

Die Art. 137, 138 KontrollVO knüpfen demgegenüber nicht ausdrücklich an ein Risiko an, sondern setzen entweder einen festgestellten Normverstoß oder den Verdacht eines solchen voraus. 1191 Soweit ein behördliches Tätigwerden nach diesen Vorschriften jedoch auf risikobehaftete Vorgänge oder lebensmittelsicherheitsrelevante Umstände zurückzuführen ist, bspw. aufgrund Seite 168 eines Verstoßes gegen Art. 14 BasisVO etc. 1192 , die besonders reglementiert sind, so lässt sich ein mittelbarer Zusammenhang zu lebensmittelbedingten Risiken doch erblicken, da die konkrete Ausgestaltung dieser besonderen Vorschriften ja gerade einen die Gesundheit schützenden Zweck verfolgt, sodass bereits in diesen Geboten und Verboten eine unionsgesetzgeberische Vorentscheidung bezüglich geeigneter Präventions- und Kontrollmöglichkeiten 1193 im Sinne eines vorbeugenden Risikomanagements zu sehen ist, die die Abwehr oder zumindest die Beschränkung und Eindämmung von Risiken intendiert. Oder anders ausgedrückt: Sofern ein Bedürfnis für den Erlass entsprechender Gebote oder Verbote besteht, ist dies tendenziell stets auf eine Art qualifiziertes Risiko zurückzuführen. Insoweit sind die Art. 137, 138 KontrollVO in materieller Hinsicht gänzlich normakzessorisch ausgestaltet, beinhalten darüber hinaus allerdings auch eigene diagnostische bzw. prognostische Konkretisierungsleistungen, 1194 die in Abhängigkeit von der jeweils in Rede stehenden (tatbestandlichen) Fallgruppe Nuancierungen aufweisen, um das behördliche Tätigwerden – auch in Bezug auf die unterschiedlichen Maßnahmen 1195 – auf Exekutivebene einer Handhabbarkeit zuzuführen.

Ebenso zeigt der Blick auf das unternehmerische Risikomanagement, welches vornehmlich in Art. 19 BasisVO dargestellt ist, dass tatbestandlich auch hier nicht auf ein Risiko rekurriert wird, eine Rücknahme bzw. ein Rückruf stattdessen dann erforderlich wird, wenn der Lebensmittelunternehmer erkennt oder Grund zu der Annahme hat, dass ein durch ihn eingeführtes Lebensmittel, welches sich nicht mehr unter seiner unmittelbaren Kontrolle befindet, den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht entspricht. 1196 Soweit man den Auslösetatbestand des Art. 19 BasisVO mit dem Risikobegriff synchronisiert, lässt sich feststellen, dass in epistemischer 1197 Hinsicht lediglich die positive Kenntnis oder der Grund zu der Annahme genügt, mithin deutlich weniger vorausgesetzt wird als beispielsweise im Zusammenhang mit einer behördlichen Information der Öffentlichkeit nach Art. 10 BasisVO, die einen hinreichenden Verdacht erfordert. Sehr viel problematischer ist indes die Konturierung der materiellen Komponente 1198 , nämlich dass das in Verkehr gebrachte Lebensmittel den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht Seite 169 entspricht, sich insoweit an Art. 14 BasisVO orientiert und einerseits mit der Gesundheitsschädlichkeit eigentlich ein Mehr als die bloße Gesundheitsbeeinträchtigung, andererseits aber mit der Verzehrsungeeignetheit ein Weniger erfordert. Infolgedessen ist eine genauere Betrachtung des Binnenverhältnisses des Art. 14 BasisVO weiterhin angezeigt. 1199

Jedenfalls kann darauf aufbauend bereits an dieser Stelle abschließend noch Folgendes konstatiert werden, nämlich

erstens, dass der materiellen Komponente des Risikobegriffes, der sog. Gesundheitsbeeinträchtigung, im Vergleich zu der in Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO manifestierten Gesundheitsschädlichkeit 1200 ein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt, der sich in einer Mehrzahl behördlicher Befugnisnormen niederschlägt.

Zweitens, dass der qualifizierte Risikobegriff, der in materieller, diagnostischer und prognostischer Hinsicht alternativ oder gegebenenfalls kumulativ gesteigerte Anforderungen beinhaltet, wie er sich in diesen Befugnisnormen, namentlich in Art. 10 (in Form des hinreichenden Verdachts) und Art. 50 BasisVO (in Form des ernsten Risikos) bzw. im Rahmen des Art. 53 BasisVO (in Form des wahrscheinlich ernsten Risikos) wiederfindet, also auf Ebene der Rechtsdurchsetzung wirkt respektive an den Rechtsanwender adressiert ist, eine große Similarität zu dem im deutschen Polizeirecht verwendeten Gefahrenbegriff aufweist, indem er eine Eingriffsschwelle zieht, mit der zudem insoweit die Akzeptabilität von Risiken punktiert und normiert wird; mithin nicht bereits sog. Vorsorgekonstellationen 1201 in Bezug genommen werden. Die verbleibende strukturelle Unterschiedlichkeit zwischen deutschem Gefahrenbegriff und lebensmittelrechtlichem Risikobegriff hinsichtlich der dem Erlass entsprechender Maßnahmen vorgelagerten, erforderlichen Sachverhaltsermittlung, die im Polizeirecht regelmäßig situativ, 1202 im Lebensmittelrecht zusätzlich wissenschaftlich geprägt ist, wird weiterhin dadurch kompensiert, dass die Risikobewertung wissenschaftliche 1203 und mitunter die allgemeinen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen 1204 diesbezügliche situativ-faktische Seite 170 Erkenntnisse liefert, die ein anschließendes rechtskonformes behördliches Tätigwerden ermöglichen.

Außerdem, drittens, dass auf abstrakt-genereller Ebene – also der der Rechtsetzung – anders als auf Rechtsdurchsetzungsebene, 1205 neben der im Schwerpunkt durchaus gesundheitsschützenden Festsetzungen auch andere berücksichtigenswerte Faktoren eine Normierung erfahren haben und so ein mitunter sehr viel breiterer Ansatz in Bezug genommen wird, der zusätzliche Erwägungen mit einbezieht. 1206

1173

1173 So aber noch die (frühe) Vermutung aus den Schlussfolgerungen zu Teil 2.A.IV. bzw. die Annahme aus den Schlussfolgerungen zu Teil 2.C., der Risikobegriff enthalte möglicherweise mehrere abgestufte Eingriffsschwellen.

1174

1174 So bereits die Schlussfolgerungen zu Teil 2.B.IV.

1175

1175 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV.

1176

1176 Freilich ist dies anhand wissenschaftlicher Nachweise und Erkenntnisse zu erheben.

1177

1177 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV.1.

1178

1178 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV.2.

1179

1179 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV.1. sowie unter Teil 3.B.IV.3.

1180

1180 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV.2.a. sowie unter Teil 3.B.IV.3.

1181

1181 Zum lebensmittelunternehmerischen Tätigwerden im Rahmen des Risikomanagements siehe die Ausführungen unter Teil 3.B.II.

1182

1182 Zum staatlichen bzw. behördlichen Tätigwerden im Rahmen des Risikomanagements siehe die Ausführungen unter Teil 3.B.III.

1183

1183 Des Weiteren kann nicht von einem Lebensmittelunternehmer als Rechtsunterworfener erwartet werden, dass dieser sog. andere berücksichtigenswerte Faktoren in Bezug auf die Frage des Ob des Tätigwerdens einbezieht und selbst gewichtet.

1184

1184 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.III.3.b.

1185

1185 Zum prognostischen Element des Risikobegriffes siehe bereits die Ausführungen unter Teil 2.A.IV.

1186

1186 Zur materiellen Komponente des Risikobegriffes siehe bereits die Ausführungen unter Teil 2.A.II.

1187

1187 Zur verknüpfenden Komponente des Risikobegriffes siehe bereits die Ausführungen unter Teil 2.A. V.

1188

1188 Siehe hierzu die vorstehenden Ausführungen unter Teil 3.B.III.4.

1189

1189 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.III.3.a.

1190

1190 Siehe hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter Teil 5.

1191

1191 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.III.2.

1192

1192 Ebenso kommen natürlich Verstöße gegen weitere, besondere lebensmittelrechtliche Vorschriften in Betracht, siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV., die eine Auswahl ebensolcher enthalten.

1193

1193 So auch der entsprechende Passus aus Art. 3 Nr. 12 BasisVO.

1194

1194 Siehe hierzu im Detail die Ausführungen unter Teil 3.B.III.2.b.

1195

1195 Zu den einzelnen (tatbestandlichen) Fallgruppen und den entsprechenden (sich unterscheidenden) Maßnahmen siehe die Ausführungen unter Teil 3.B.III.2.a.

1196

1196 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.II.2.

1197

1197 Zum epistemischen Element des Art. 19 BasisVO siehe die Ausführungen unter Teil 3.B.II.2.c.

1198

1198 Zur materiellen Komponente des Art. 19 BasisVO siehe die Ausführungen unter Teil 3.B.II.2.b.

1199

1199 Siehe hierzu die Ausführungen in nachfolgendem Teil 4.

1200

1200 Siehe zur konkreten Inhaltsbestimmung der Gesundheitsschädlichkeit die nachfolgenden Ausführungen unter Teil 4.B.

1201

1201 Siehe hierzu auch die Ausführungen unter Teil 1.C. sowie die nachfolgenden Ausführungen unter Teil 5.

1202

1202 Hinsichtlich des zeitlich-situativen Anknüpfungspunktes des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffes siehe bereits die Ausführungen unter Teil 1.C. I. sowie die Schlussfolgerungen unter Teil 1.C.IV.

1203

1203 Siehe hierzu bereits die Schlussfolgerungen unter Teil 2.C.

1204

1204 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.III.1.

1205

1205 Dies jedenfalls im Hinblick auf die in der BasisVO manifestierten Risikomanagementmaßnahmen, siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.II.2., Teil 3.B.III.3. und 4. sowie die Schlussfolgerungen unter Teil 3.B.II.3., Teil 3.B.III.5.

1206

1206 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.B.IV. sowie im Besonderen die Schlussfolgerungen unter Teil 3.B.IV.3.

 
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