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CB 2022, I
Rothermel 

Auslegungsfragen mit großer Wirkung

„Der Hinweis auf die Referenzdokumente ist beinahe zynisch.“

Die Ziele des am 16. 7. 2021 veröffentlichten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zur Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage sind sicher tadellos. Deutschland ist damit wohl nun Tabellenführer im weltweiten Nachhaltigkeitsgesetzgebungsranking (in nur etwa zehn anderen Ländern gibt es ähnliches, und teilweise auch nur in Entwürfen); dafür muss man sich bestimmt nicht schämen. Auch ist der Paradigmenwechsel zu begrüßen: Anders als im Bereich der nichtfinanziellen Berichterstattung sind die in zwölf menschenrechtliche und drei umweltbezogene Risiken gruppierten Nachhaltigkeitsbezüge im LkSG auch relevant, wenn sie keine finanziellen Auswirkungen haben.

Aber das Gesetz, seine Anlagen und seine Begründung stellen den Rechtsanwender vor ganz beachtliche Herausforderungen. Zunächst verweist das LkSG auf eine große Menge an internationalen Übereinkommen, Protokollen sowie Pakte zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken in der Anlage zum Gesetz. Diese 300 Seiten in den 14 in Bezug genommenen Soft Law-Werken muss sich der Rechtsanwender erstmal beschaffen und in den Griff bekommen. Zudem benennt die Begründung des Gesetzes weitere 1.100 Seiten in 12 UN-Leitprinzipien, nationalen Aktionsplänen, OECD Leitfäden und ähnlichem – auch diese immense Fülle muss sich der Rechtsanwender erstmal beschaffen und dann irgendwie erfassen. Beinahe zynisch wirkt dabei der Hinweis des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im Dezember 20211 wonach diese Referenzdokumente, eine „zusätzliche Auslegungshilfe“ seien, die „gerade zum Einstieg in das Thema Sorgfaltspflichten geeignet“ wären.

Praktische Auslegungshilfen könnte man gut gebrauchen. Schon beim Anwendungsbereich ist vieles unklar; der zentrale Begriff des „Unternehmens“ etwa wird 70mal verwendet und es stellt sich vielfach die Frage, ob es jeweils das gleiche Unternehmen ist oder ob es mal Mutter, mal Tochter, mal Schwester, mal Enkel, mal mittelbarer und mal unmittelbarer Zulieferer sein kann; nur einmal taucht zudem der Begriff des Unternehmensziels auf und es wird wieder nicht klar, was das ist und wozu man den Begriff überhaupt benötigt. Hierfür wären weitere Definitionen nützlich gewesen.

Ähnliches gilt für den zentralen Begriff eines „erforderlichen“ Schrittes in der Lieferkette in Abgrenzung zum vermutlich engeren Begriff der „Notwendigkeit“ einer mittelbaren oder unmittelbaren Zulieferung (die Gesetzesbegründung scheint beides synonym zu verwenden, was eigentlich nicht sein kann). Die Hinweise das BMAS zur Konsequenz eines bestimmenden Einflusses auf die Prüfung von Lieferketten und Zulieferern von Tochtergesellschaften sind in diesem Kontext geradezu verstörend. Und: Die siebenmal im Gesetz erwähnte Lieferkette scheint vom Gesetzgeber vielleicht gutmeinend weit verstanden, ist aber an vielen Stellen schlicht nicht Gegenstand einer Subsumtion von Pflichten. Diese betreffen im Übrigen vor allem die Herstellung von Produkten und die Erbringung von Dienstleistungen; was aber ist mit dem Handel? Die Ausführungen des BMAS zu Eigen- und Fremdmarken wirken dazu etwas luftig.

Mühsam gestaltet sich auch die Suche nach einem Verständnis für die dreimal im Gesetz erwähnte Obergesellschaft und es ist schlicht offen ob, wenn man ein Verständnis dafür gefunden hat, dies an allen Stellen des Gesetzes gleichermaßen greift; die Antworten des BMAS dazu führen jedenfalls zu weiteren Fragen.

Das LkSG – so die Gesetzesbegründung – habe zudem „nur“ Bemühungspflichten und keine Erfolgspflichten; bei genauerem Hinsehen gibt es jedoch ganz klare Handlungspflichten und in bestimmten Fällen auch Erfolgspflichten (etwa die Beendigung von Rechtsverletzungen im eigenen Geschäftsbereich). Die im Gesetz 19mal verwendete Begrifflichkeit der „Angemessenheit“ und der fünfmal im Gesetz und oft in der Begründung zitierte risikobasierte Ansatz lassen hingegen allein oft nicht erkennen, was in welcher Intensität zu tun ist. In dem Zusammenhang bereitet dann auch die enge Bestimmung einer geschützten Rechtsposition Kopfzerbrechen und es ist nicht klar, wozu man diesen Begriff braucht, auch wenn er sich fünfmal im Gesetz findet.

Nicht ganz unverständlich sind nach all dem die bereits vielfach erhobenen Zweifel an der Bestimmtheit des LkSG als bußgeldbewehrtes Regelungswerk.

Den Rechtsanwender jedenfalls stellt das Gesetz vor anspruchsvolle Aufgaben. Der Umstand, dass deutsche Unternehmen bisweilen um die 100.000 Zulieferer haben, gibt kleinen Auslegungsfragen große Wirkung.

Abbildung 1

Dr. Martin Rothermel, RA, leitet die deutsche Practice Area Commercial Agreements & Distribution einer internationalen Wirtschaftskanzlei. Er ist Autor des Kommentars zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).

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„Fragen und Antworten“ des BMAS: https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/FAQ/faq-art.html.

 
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