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CB 2023, I
Rudkowski 

CB 2023, Heft 10, Umschlagteil S. I (I)

LkSG: Viel Bemühen gleich viel Wirkung?

Wesentliche Grundannahmen halten einem Praxistest nicht uneingeschränkt Stand

Am 1. 6. 2023 legte das EU-Parlament seine Position für den Trilog zur Verhandlung der EU-Richtlinie über Sorgfaltspflichten in den Lieferketten fest. Nachdem das deutsche LkSG Unternehmen mit in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmern und Sitz im Inland verpflichtet, die Geschäftstätigkeit so zu organisieren, dass menschenrechtliche Risiken für Dritte möglichst vermieden werden, und nachdem diese Grenze ab Januar 2024 auf 1.000 Arbeitnehmer sinkt, soll künftig nach dem Willen des EU-Parlaments die Lieferkettenregulierung bereits Unternehmen ab 250 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. EUR erfassen. Dabei nimmt Lieferkettenregulierung umfassend Einfluss auf die Unternehmensorganisation. Es ist nicht nur ein eigenes Risikomanagement zu implementieren, das menschenrechtliche und Umwelt-Risiken in der Lieferkette bewältigt, sondern es sind auch neue Organisationseinheiten zu schaffen, etwa ein Beschwerdemechanismus und ein spezielles Berichtssystem. Und nicht zuletzt sind mit allen unmittelbaren Lieferanten Vereinbarungen über die von ihnen einzuhaltenden LkSG-Standards zu treffen.

Was heißt dies für Compliance? Die Antwort hierauf überlässt der Gesetzgeber den Unternehmen. Compliance kann sich weiter auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und etwa auf die Umsetzung einzelner Elemente der Lieferkettenregulierung achten, z. B. den Beschwerdemechanismus betreuen, oder sich in die Aufklärung von Rechtsverstößen einbringen. Compliance kann aber auch Verantwortung übernehmen für die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards, soweit die ursprünglich eigentlich ethischen Themen nunmehr auch mit rechtlichen Risiken für das Unternehmen einhergehen. Und schließlich könnte sich Compliance, unter dem Eindruck der immer stärker ausdifferenzierten Gesetzgebung zur Förderung von Nachhaltigkeit und der daraus folgenden weitreichenden rechtlichen Risiken für Unternehmen, völlig neu definieren: So wie ESG (Environment, Social, Governance) Einzug in alle Unternehmensbereiche hält, kann Compliance mitwachsen und sich zu einer Art umfassender ESG-Compliance fortentwickeln. Fest steht in jedem Fall: Die Compliance-Funktion wird sich Gedanken machen müssen, wie ihre Rolle zukünftig aussehen soll.

Was aber bedeutet Lieferkettenregulierung, wenn wir den Fokus hin zu den Menschen in den Lieferketten lenken, deren Arbeits- und Lebensbedingungen dringend verbessert werden müssten? Der mit der Lieferkettenregulierung verbundene Aufwand für die Unternehmen wäre nicht zu hoch, wenn sich die Situation der Menschen im globalen Süden spürbar verbessern ließe. Gerade in Ländern mit besonders schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen ist dies aber problematisch. Das Konzept der Lieferkettenregulierung, durch die Markt- und Verhandlungsmacht des Abnehmers den jeweils nächsten Zulieferer vertraglich auf bestimmte Mindestarbeitsbedingungen festzulegen, in einer Reihe von Vereinbarungen bis zum Beginn der Lieferkette, funktioniert nur, wenn der Abnehmer tatsächlich auch über hinreichende Marktmacht verfügt. Dass aber Rohstoffabhängigkeiten deutscher Unternehmen bestehen, die eine solche Marktmacht spürbar einschränken können, ist im öffentlichen Bewusstsein spätestens seit dem Ukraine-Krieg präsent. Zudem helfen die auf Arbeitnehmer konzentrierten Mindestarbeitsbedingungen der Lieferkettenregulierung in solchen Volkswirtschaften nicht weiter, in denen – wie typischerweise gerade im globalen Süden – „informelle Beschäftigung“ dominiert, ohne realistische Möglichkeit für die Betroffenen, ihre Arbeitnehmereigenschaft rechtlich verbindlich klären zu lassen. Und auch das beste Beschwerdesystem eines deutschen Unternehmens stößt an seine Grenzen in Ländern, in denen ein nennenswerter Teil der erwachsenen Bevölkerung weder über einen Internetzugang verfügt noch auch nur hinreichend alphabetisiert ist. Wesentliche Grundannahmen von deutscher und europäischer Lieferkettenregulierung halten daher einem Praxistest gerade unter den Bedingungen des globalen Südens nicht uneingeschränkt Stand. Der Gesetzgeber muss sich dies eingestehen und nach Alternativen suchen – viel Bemühen heißt nicht auch viel Wirkung.

Abbildung 1

Prof. Dr. Lena Rudkowski ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Co-Sprecherin des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Instituts für Compliance (DICO e. V.) und Mitglied im DIN-Ausschuss für Governance und Compliance-Management.

 
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