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DIVRUW 2024, 152
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Die letzte Seite

Christian Wulff

Unser Ziel muss sein, Diversitätsbemühungen überflüssig zu machen

Die Unterzeichnung des Grundgesetzes durch Bundeskanzler Konrad Adenauer jährt sich 2024 zum 75. Mal und damit auch die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Auf dieser Verfassung, auf Prinzipien wie dem Gleichheitsgrundsatz, dem Diskriminierungsverbot und der Religionsfreiheit fußt unsere Demokratie. Und doch haben auch 75 Jahre nach Festlegung dieser so wesentlichen Grundsätze zwar alle Menschen in Deutschland dieselben Grundrechte, jedoch noch immer nicht alle Menschen dieselben Chancen.

Abbildung 34

So zeigen aktuelle Erhebungen beispielsweise, dass sich Menschen mit Einwanderungsgeschichten bei gleicher Qualifikation häufiger bewerben müssen als ihre Mitbürger und Mitbürgerinnen ohne Zuwanderungsgeschichte; dass sie weniger verdienen und, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, deutlich seltener Führungspositionen in Unternehmen, Politik oder Wissenschaft bekleiden.

1960 – elf Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes – sprach der damalige Senator und Präsidentschaftskandidat John F. Kennedy in seiner Rede über seine Vision der Präsidentschaft am Wittenberg College in Springfield, Ohio, davon, dass Fragen der Herkunft oder der Religion keine Rolle dabei spielen dürften, ob jemand eingestellt wird. An dieser Vision müssen wir auch über 60 Jahre später noch intensiv arbeiten.

Derzeit erfahren rechtsextreme Parteien Auftrieb. Parteien wie die AfD, die zwischen dem Volkssouverän und dem Staatsvolk unterscheidet, die Grenzen wieder einführen möchte, die nicht in ihr Weltbild passende Menschen ausgrenzen möchte, setzen den gesellschaftlichen Zusammenhalt unter Druck.

Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, die Vorteile von Vielfalt zu veranschaulichen. Vielfalt in unserer Gesellschaft ist ein großer Gewinn. Sie ist ein menschlicher, aber auch wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. Unternehmen mit divers besetzten Team- und Führungsstrukturen sind erfolgreicher als homogene, Freundschaften über Herkunfts-, Religions- oder sexuelle Merkmale hinweg sind horizonterweiternd und inklusiv.

Dabei geht es zum einen darum, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, die bereits seit vielen Jahren in Deutschland leben oder hier geboren sind, ihre Fähigkeiten genauso nutzen und am Arbeitsmarkt einbringen können wie Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Zum anderen gehört dazu, Neuzugewanderten eine Perspektive in Deutschland zu bieten und auch bürokratische Hürden abzubauen.

Die aktuelle demografische Lage und die hohe Zahl an fehlenden Fachkräften in unterschiedlichen Branchen verlangt, das Potenzial von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu nutzen und sie für unser Land zu gewinnen.

Der häufig negativen Berichterstattung über zugewanderte Menschen und deren Nachkommen müssen Positivbeispiele entgegengesetzt werden. Menschen mit Migrationsbiografien sind Ärztinnen und Anwälte, arbeiten in der Pflege oder als Handwerker, spielen in der Fußballnationalmannschaft oder sind in der Wissenschaft tätig.

Aktuell haben 27 % der Menschen in Deutschland eine Zuwanderungsgeschichte. Bei den unter 18-Jährigen sind es bereits 39 %. Was manchen wie eine Drohung erscheinen mag, ist die Hoffnung dieses Landes. Die Hoffnung auf eine vielfältige Zukunft, auf ein Miteinander in einem Land, in dem Kennedys Worte Wirklichkeit werden und Menschen die gleichen Chancen haben – unabhängig von Religion oder kultureller Zugehörigkeit. Unser Anliegen muss sein, deutlich zu machen, wie bereichernd und fruchtbar Vielfalt in unserer Gesellschaft ist. Wir müssen gemeinsam den Zusammenhalt gegen antidemokratische Kräfte stärken und eine Gesellschaft gestalten, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft ihre Perspektiven und Ideen einbringen, Menschen unterschiedlicher politischer Haltungen konstruktiv miteinander streiten und Menschen unterschiedlicher Religionen in Dialog treten, alle fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes als freiheitlich-demokratischer Verfassung.

Christian Wulff war von 2010 bis 2012 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Als ehemaliges Staatsoberhaupt vertritt er die Bundesrepublik unter anderem bei Staatsakten im Ausland und ist als Anwalt in Hamburg tätig. Er setzt sich für Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein und ist Stiftungsratsvorsitzender der Deutschlandstiftung Integration.

 
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