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Georgine Kellermann
Er hat mich beleidigt und wurde freigesprochen
Die ehemalige ARD-Korrespondentin und WDR-Studioleiterin berichtet aus ihrem Alltag – als trans Frau nicht ganz unbeschwert. Manchmal auch von Verfahren geprägt, die nicht immer so ausgehen, wie man es sich wünschen würde. Und trotzdem manchmal zumindest etwas Genugtuung hervorrufen . . .
Vor ein paar Tagen bin ich zu einer Gerichtsverhandlung gefahren. In einem Amtsgericht in einer kleinen Stadt im Rheinland. Verhandelt wurde der Fall eines Mannes, dem vorgeworfen wurde, in einem sozialen Netzwerk einen Menschen heftig beleidigt zu haben.
Der Mensch war ich.
Ich hatte seinen Post als so gravierend empfunden, dass ich Anzeige erstattet hatte. Unterstützt von den Anwälten, die mir die gemeinnützige Menschenrechtsorganisation HateAid zur Seite gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft sah seinen Post auch als Beleidigung im juristischen Sinne an. Sie hatte ihm einen happigen Strafbefehl geschickt. Dagegen wehrte er sich.
Im Januar war der erste Verhandlungstag. Als Staatsanwältin und Richterin mich auf einem Zuhörerstuhl sahen, wollten sie mich als Zeugin hören. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich musste den Saal verlassen und warten, bis ich aufgerufen wurde. Sie wollten von mir vor allem wissen, was täglicher Hass und Hetze mit mir machen. Und was so alles in meine Timeline schwappt.
Ich erzählte von den “Verbrennungsöfen”, die für mich “vorgesehen” waren, vom “menschlichen Müll”, als den man mich bezeichnete, von der “Entsorgung”, die man für mich plante. Wäre ich auf meine Aussage vorbereitet gewesen, hätte ich noch einen ganzen Strauß ekelhafter Posts erzählen können. Was ich zu erzählen hatte, reichte allerdings schon.
Nach meiner Befragung gab die Richterin dem “Beleidiger” die Möglichkeit, den Vortrag, den er dem Gericht präsentiert hatte, in meiner Anwesenheit noch einmal zu halten. Er wollte nicht. Schade. Das hätte ich gerne gehört. In der Verteidigung ging sein Anwalt vor allem darauf ein, dass ich ja auch “gerne” austeile. Ja. Manchmal. Wenn es ganz arg wird, dann verliere ich schon einmal die Contenance. Dann schreibe ich ab und an sehr deutlich, was ich von der Person halte, die meint, mir die übelsten Dinge schreiben zu können.
Weil die Zeit vorangeschritten war, wurde ein zweiter Verhandlungstermin anberaumt.
Ich fuhr wieder hin.
Die Staatsanwältin begründete im Plädoyer noch einmal, warum sie den happigen Strafbefehl für angemessen hielt. Der Verteidiger machte seine Ansicht noch einmal deutlich, dass es sich bei dem Post nicht um eine Beleidigung handelte und warum das nicht so war.
Die Richterin hob den Strafbefehl auf.
In ihrer Begründung sagte sie, dass sie lange mit sich gehadert habe, sich am Ende aber für den Freispruch entschied, weil es in der Tat nicht zweifelsfrei eine Beleidigung im juristischen Sinne war.
Ich empfand keinen Groll. Keinen Frust. Ich konnte nachvollziehen, warum sie so entschieden hatte. Ich habe Vertrauen in unser Rechtssystem. Auch wenn es ein Urteil gibt, das ich mir nicht gewünscht habe. Nach der Begründung allerdings passierte etwas, das mir wichtiger war als jedes Urteil. Die Richterin hat dem “Beleidiger” einen Spiegel vorgehalten. Da saß er auf dem Stuhl des Angeklagten und musste sich anhören, wie wenig respektvoll sein Verhalten war. Der angezeigte Post war ja nicht der erste, den er gegen mich verfasst hatte. Im Gegenteil. In regelmäßigen Abständen lässt er sich über meine Identität aus. Und das häufig mit schlüpfrigen Worten. In seiner Blase findet er dafür immer begeisterte Claqueure.
Jetzt saß er hier im kleinen Saal des Amtsgerichts und bekam von einer Richterin eine mehr als deutliche Kritik an seinem Verhalten. Glauben Sie mir. Das hat sehr gutgetan.
Auf dem Nachhauseweg beschäftigte mich die Frage, die im Grunde genommen über allen widerlichen Social Media Posts steht. Was bewegt Menschen dazu, ihren Hass anderen in einer Form mitzuteilen, die sie im persönlichen Gespräch nie und nimmer wählen würden. Und die Frage, wie wir uns gegen diesen Hass und diese Hetze wehren können.
Ich habe keine Antwort gefunden.
Auch wenn es nahezu unmöglich erscheint, sollten wir nicht aufhören, es zu versuchen . . .
Georgine Kellermann ist Journalistin und ehemalige WDR-Studioleiterin. Sie berichtete unter anderem als Korrespondentin aus Washington und Paris. Arbeitete mit Claus Kleber, Tom Buhrow, Sabine Reifenberg und vielen weiteren zusammen. Ihr öffentliches Coming-out als Transfrau hatte sie 2019. Ein Jahr später wurde ihr personenstandsrechtlicher Eintrag geändert. Seitdem wird sie ganz offiziell als Frau geführt. Im Mai 2024 erschien ihr Buch “Georgine – Der lange Weg zu mir selbst” im Ullstein Verlag, Berlin.