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INTER 2020, 193
Gollrad 

Der lange Weg zum automatisierten Fahren

Abbildung 1

Der Autobauer Tesla hat seine US-Fangemeinde Ende Oktober 2020 mit einer neuen Version der Funktion „Full Self-Driving“, kurz FSD, in Aufregung versetzt. Das lediglich als Beta-Version vorliegende Software-Update soll die schon bisher als „Autopilot“ bezeichneten Fahrfunktionen noch erweitern und verspricht ein weitgehend automatisiertes Fahren sogar im städtischen Bereich. All das selbstverständlich weiterhin nur unter dauernder Beobachtung eines menschlichen Fahrers. Zahlreiche Demo-Videos begeisterter Fans dokumentieren die durch das „FSD“-Versionsupdate freigeschalteten Fähigkeiten der Fahrzeuge im Realverkehr. Die Videos dokumentieren aber auch, wie kleinteilig und mühsam sich die Entwicklung dieser Technologien auch für einen Vorreiter wie Tesla erweist. Was interessierte Laien, denen seit einigen Jahren die „baldige“ Ankunft der „Roboter-Autos“ versprochen wird, als bloße Selbstverständlichkeit erachten würden, löst bei den mit der Materie vertrauten Fans der ersten Stunde bereits blanken Jubel aus: das zuverlässige Einhalten des Abstands zur Bordsteinkante, die Anpassung der Geschwindigkeit bei Einmündungen, das Erkennen der Fahrspur trotz Fehlens von Markierungen oder das korrekte Abbiegen in weitgehend verkehrsberuhigten, weitläufigen Wohngebieten amerikanischer Vorstädte. Umgekehrt ist es für die Testpersonen eine Selbstverständlichkeit, dass nicht jede rote Ampel als solche erkannt werden kann und ein Zusammenstoß mit parkenden Autos durch Eingreifen verhindert werden muss – es geht schließlich nach wie vor um eine Beta-Version.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Gesetzgebung und die Rechtswissenschaft? Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag zu einer Förderung und Regelung des automatisierten Fahrens verpflichtet und versucht seither, dieses ehrgeizige Ziel umzusetzen. Bereits 2017 ist mit § 1a StVG eine Regelung für das „hoch- und vollautomatisierte“ Fahren in Kraft getreten, der bisher aber kaum praktische Bedeutung zukommt. Dies kann sich ändern, wenn die im April 2020 von der UNECE vorgeschlagene technische ECE-Regelung nach § 1a Abs. 3 StVG zum sog. „Automated Lane Keeping System“ in Kraft tritt, die zumindest automatisierte Spurhaltung bis 60 km/h ermöglicht. Im Frühjahr 2020 ist daneben ein vorläufiger Entwurf des Bundesverkehrsministeriums zu einer Regelung für fahrerlose Shuttles aufgetaucht, der allerdings auf ein geteiltes Echo gestoßen ist. Im Kern ging es darum, fahrerloses Fahren in bestimmten örtlichen Bereichen zu ermöglichen, sofern eine dauernde Kontrolle durch eine Leitzentrale sichergestellt ist. Ob und wie die Regelung, die doch mehr ferngesteuertes als automatisiertes Fahren zu betreffen scheint, letztlich Gesetz wird, ist offen.

Es zeigt sich, dass die Entwicklung geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen zur Regulierung automatisierter Fahrzeuge ähnlich komplex ist wie die technische Entwicklung der Fahrzeuge selbst. Technik und Recht stehen beim automatisierten Fahren in einer besonderen Abhängigkeit und Hersteller und Gesetzgeber sind aufeinander angewiesen: Einerseits bedürfen Hersteller klarer Regelungen und Rechtsicherheit, damit sie die kostspielige Entwicklung der Fahrzeuge mit ausreichend zeitlichem Vorlauf darauf abstimmen können. Andererseits muss der Gesetzgeber Regelungen schaffen, die mit der technischen Entwicklung und den Entwicklungsperspektiven möglichst langfristig korrespondieren. Dabei ist wesentlich, dass die Hersteller durch die Regulierung in ihrer Entwicklungsfreiheit nicht eingeschränkt werden und untereinander in einen Wettbewerb treten können, das Recht muss genügend Raum für unterschiedliche technische Umsetzungen lassen. Gleichzeitig müssen verlässliche Kriterien gefunden werden, um ein einheitliches Sicherheitsniveau der Fahrzeuge aller Hersteller zu gewährleisten, welches im Genehmigungsverfahren sowie bei einer späteren Marktüberwachung auch überprüfbar ist. Eine nachhaltige Regulierung muss somit für die Akteure im möglichst frühen Stadium Rechtsicherheit und Planbarkeit schaffen, eine Offenheit für die künftige technische InTeR 2020 S. 193 (194)Entwicklung bieten und trotz allem den Sicherheitserwartungen an die Technik gerecht werden.

Für die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung bedeutet dies, dass sie nicht auf Gesetzesentwürfe und Normen warten und sich mit deren Auslegung und Kommentierung begnügen darf, sondern aktiv zur Erarbeitung einer Grundlage für eine geeignete Regulierung beitragen muss. Die Herausforderung besteht darin, im engen Austausch mit der Ingenieurswissenschaft die technische Funktionsweise, die damit verbundenen technischen Herausforderungen und Risiken sowie den möglichen künftigen technischen Entwicklungsverlauf zu analysieren und für die juristische Bewertung aufzuarbeiten, um den genannten Anforderungen an die Regulierung genügen zu können. Auch bei dieser Entwicklung können vermeintliche Selbstverständlichkeiten schon ein Grund zum Jubeln sein.

Markus Gollrad*

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Mehr über den Autor erfahren Sie auf Seite III.

 
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