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INTER 2022, 93
Müller 

Die „pflichtenbezogene“ Regulierung digitaler Märkte in der EU – der neue Digital Markets Act

Abbildung 1

Der Digital Markets Act wird kommen. Das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben sich am 25. März 2022 auf die Inhalte einer Verordnung über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor (sog. Gesetz über digitale Märkte in Rechtsform einer Verordnung nach EU-Recht, besser bekannt nach der englischen Sprachfassung als Digital Markets Act, kurz: DMA) geeinigt. Die Kommission hatte im Dezember 2020 einen Vorschlag über eine solche Verordnung unterbreitet, seit dem 11. Mai 2022 liegt eine voraussichtlich finale Version eines Texts vor, welcher das Europäische Parlament am 5. Juli 2022 und der Europäische Rat am 18. Juli 2022 zugestimmt hat. Die Veröffentlichung im Amtsblatt steht unmittelbar bevor, der DMA soll am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung dort in Kraft treten (Art. 54 DMA).

Der DMA stellt die Regulierung der Plattformökonomie zum Teil auf neue Füße. Unter Berücksichtigung der hohen Konzentrationswirkung auf digitalen Märken einerseits und der essenziellen Bedeutung von Daten für Wirtschaft und Wettbewerb andererseits adressiert der Rechtsakt die marktbezogene Stellung sog. Gatekeeper („Torwächter“), die angesichts uneinheitlicher nationaler Rechtsvorschriften einer unionsweiten Regelsetzung bedürfe. Art. 3 des DMA definiert i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und 2 DMA den Adressaten des Rechtsakts, den Gatekeeper, im Wesentlichen über eine Verbindung sowohl qualitativer als auch quantitativer Kriterien: In qualitativer Hinsicht wird gem. Art. 3 Abs. 1 DMA jeder Betreiber eines Zentralen Plattformdienstes (Art. 1 Abs. 2 DMA) erfasst, der erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt hat, der einen Dienst betreibt, welcher gewerblichen Nutzern als Zugangstor zu Endnutzern dient, und der hinsichtlich seiner Tätigkeiten eine gefestigte und dauerhafte Position innehat oder soweit absehbar ist, dass er eine solche Position in Kürze erlangen wird. Die in Art. 3 Abs. 2 DMA niedergelegten quantitativen Parameter zu Jahresumsatz bzw. Marktkapitalisierung, Nutzerzahlen (45 Millionen Endnutzer bzw. 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU) sowie die Perpetuierung dieser Kriterien (Vorliegen über drei Jahre in Folge) begründen die Vermutung der Erfüllung der qualitativen Merkmale des Abs. 1. Eine marktbeherrschende Stellung im Sinne kartellrechtlicher Regulierung ist dabei weder erforderlich noch maßgebend. Denn der Rechtsakt nimmt die vorgefundenen Besonderheiten mehrseitiger (digitaler) Märkte zum Anlass, um die Existenz fairer und bestreitbarer Märkte mittels einer pflichtenbasierten Steuerung sog. zentraler Plattformdienste (im Sinne des Art. 2 Abs. 2 DMA) abzusichern.

Der Regulierungsansatz führt daher weg vom verfahrensmäßig häufig als zu langwierig bzw. schwerfällig ausgemachten Kartellrecht hin zu konkreten Pflichtenstrukturen zu Lasten der Gatekeeper, er erfolgt über im DMA abschließend geregelte achtzehn Verhaltenspflichten nach Art. 5 bis 7 DMA, wobei die Kommission gem. Art. 10 und 17 DMA berechtigt ist, die Pflichten künftig anzupassen. In der Regelungsstruktur dieser als per-se-Regeln konzipierten, durchaus entlang kartellrechtlicher Problemstellungen definierten Vorgaben unterscheiden sich die einschlägigen Vorschriften zu den von Gatekeepern im Sinne des Rechtsakts abverlangten Verhaltensweisen. Die in Art. 5 DMA niedergelegten Verhaltenspflichten (Ge- und Verbote) sind ohne weitere Konkretisierung unmittelbar anwendbar. Demgegenüber enthält Art. 6 DMA unmittelbar geltende Verhaltenspflichten, die der Konkretisierung, grundsätzlich durch den Gatekeeper selbst, gegebenenfalls jedoch im „regulatorischen Dialog“ mit der Kommission nach Art. 8 DMA bedürfen, während Art. 7 DMA spezifische Pflichten solcher Gatekeeper, die Messenger-Dienste anbieten, hin¬InTeR 2022 S. 93 (94)sichtlich Interoperabilität nummernabhängiger interpersoneller Kommunikationsdienste vorsieht. Die Zusammenstellung der – zumeist datenbezogenen – Pflichten wirkt etwas unsystematisch: In Art. 5 DMA werden eine Reihe von bekannten Problembereichen aufgegriffen (z. B. Verbot der Nutzung von Meistbegünstigungsklauseln, die Ermöglichung der unmittelbaren Kommunikation zwischen gewerblichen Nutzern und Endnutzern etc.), die Pflichten aus Art. 6 beziehen sich zumeist auf Facetten der informationstechnischen Umsetzung (z. B. Ermöglichung des Side Loading, Verbot der Selbstbevorzugung bei Ranking, Indexierung und Crawling).

Die zum Teil an Kartellverfahrensregelungen angelehnten Befugnisse der Rechtsdurchsetzung werden unionsweit bei der Kommission gebündelt (Art. 14 ff. DMA), Instrumente des private enforcement sind im Rechtsakt allenfalls angedeutet (Art. 39 DMA, zum Zusammenspiel von Kommission und nationalen Gerichten), ohne dass materielle Grundlagen sowie Einzelheiten der prozessualen Geltendmachung privater Durchsetzung im DMA geklärt sind. Diese Unklarheiten zur Enforcement-Situation sind indes nicht die einzigen offenen Baustellen hinsichtlich des DMA – aus deutschem Blickwinkel wird namentlich auf Friktionen zum Geltungsbereich und materiellen Zuschnitt des nationalen Kartellrechts in Gestalt des 19 a GWB hingewiesen, ferner ist der Anwendungsbereich des DMA nicht deckungsgleich mit den Vorgaben des parallel auf EU-Ebene entwickelten Digital Services Act (DSA), welcher „eher große Online-Plattformen“ in ihrer Eigenschaft als Diensteanbieter adressiert. Das in Herausbildung befindliche europäische Datenwirtschaftsrecht bedarf daher zu seiner Festigung weiter – horizontal – der systematischen Durchdringung sowie – vertikal – der Abgrenzung im europäischen Mehrebenensystem.

Prof. Dr. Stefan Müller*

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Mehr über den Verfasser erfahren Sie auf Seite III.

 
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