Europäische Regeln für die digitale Plattformwirtschaft
Im Schatten der Auseinandersetzungen vor allem um die Online-Filter auf bestimmten Online-Tauschplattformen in der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (RL 2019/790) hat das Europäische Parlament am 17. April des Jahres die Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (kurz: P2B-VO, für: Platform-to-Business) beschlossen. Die praktischen Konsequenzen der ab 12.07.2020 geltenden P2B-VO dürften beträchtlich sein. Ihre Bedeutung erhellt ein Blick auf die Wirkungsweise der adressierten Plattformen: Heute sind viele kleine und mittlere Handelsunternehmen für ihren geschäftlichen Erfolg auf den Zugang zu und die Nutzung von digitalen Vermittlungsplattformen sowie Suchmaschinen angewiesen, da sie nur so ihre Kunden effektiv erreichen können. Die Plattform bildet einen Teil der notwendigen Handelsinfrastruktur, sie ist gatekeeper und match-maker, da sie den Aktionsradius der gewerblichen Anbieter erst eröffnet. Dementsprechend kann die plattformseitige Beschränkung oder gar Aufhebung des Zugangs existenzbedrohende Folgen für die Anbieter haben. Gleiches gilt, soweit die Plattform, über die bloße Vermittlerrolle hinaus, zugleich – dann meist über verbundene Unternehmen – den gewerblichen Plattformnutzern als weiterer Anbieter Konkurrenz macht. Denn hier ist der „vermittlereigene“ Anbieter häufig in der Lage, privilegiert auf aggregierte Daten des Vermittlers zu Kundenpräferenzen und Marktentwicklungen zurückzugreifen und dadurch kompetitive Vorteile auf vertikal integrierten Plattformen zu realisieren.
Herkömmlicherweise wird das Kartellrecht, in Gestalt der Marktmissbrauchsbekämpfung, als Mittel der Wahl zur Konfliktlösung angesehen. Doch entfaltet es seine Schlagkraft hier nicht unterhalb der Schwelle bestehender Marktmacht (selbst wenn im deutschen Recht die 9. GWB-Novelle Anknüpfungspunkte zur Erfassung der Besonderheiten digitaler Märkte geschaffen wurden), außerdem ist es vom Instrumentarium sehr einseitig gefasst. Mit der P2B-VO sollen Fairness und Transparenz auf digitalen (Vermittlungs-)Plattformen künftig frühzeitiger und anhand von Instrumenten des Vertragsrechts, des Lauterkeitsrechts sowie über Prozeduralisierungen (Beschwerdemanagement, Streitbelegung und Rechtsdurchsetzung) umgesetzt werden. Den Regulierungsbedarf belegen die gerichtliche und behördliche Spruchpraxis in Sachen Amazon, Google und Facebook aus jüngerer Zeit. Eine umfassende Würdigung der P2B-VO kann an dieser Stelle nicht geleistet werden (vgl. etwa Busch, GRUR 2019, 788 ff.). Adressiert werden Plattformbetreiber von online-Vermittlungsdiensten (sowie, weniger dicht reguliert, Suchmaschinendiensten), über welche sich gewerbliche Nutzer präsentieren können, deren Angebote sich jedenfalls auch an Verbraucher richten. Nicht erfasst werden indes Peer-to-Peer-Onlinevermittlungen ohne Beteiligung gewerblicher Anbieter (mithin zahlreiche Ausprägungen der digitalen sharing economy) sowie reine Business-to-Business-Onlinevermittlungsdienste ohne Ausrichtung auf Verbraucher. Im vertragsrechtlichen Regelungskomplex schafft die P2B-VO neben Transparenzanforderungen an die AGB der betroffenen Plattformbetreiber v. a. detaillierte Vorgaben zur plattformseitigen Einschränkung, Suspendierung bzw. Kündigung des Plattformnutzungsvertrags, um so Missbräuche beim Zugang zur Plattform einzudämmen. Da die Plattformen die Transaktionsentscheidung der Endnutzer über Tools wie etwa Rankings der Suchergebnisse maßgeblich beeinflussen, bestehen künftig Transparenzgebote hinsichtlich der wesentlichen eingesetzten Parametern und deren relativer Gewichtung sowie im Falle einer differenzierten Behandlung verschiedener gewerblicher Nutzer. Auch der in der Datenökonomie wesentliche Zugang zu Datenbeständen wird in der Verordnung geregelt, jedoch nicht durch Anerkennung individueller Datenzugangsrechte, sondern lediglich durch Informationspflichten darüber, ob und inwieweit die Plattform gewerblichen Nutzern Zugang zu plattformbezogenen Daten gewährt. Ein Recht auf Daten¬
Prof. Dr. Stefan Müller*
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