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INTER 2019, 53
Ensthaler 

Freier Handel mit Ersatzteilen und Designschutz

Abbildung 1

Es wird vielfach von Verbraucherseite beklagt, dass die Ersatzteile für technische Geräte, insbesondere für Kraftfahrzeugen (z. B. Kotflügel, Windschutzscheiben, Stoßfänger), zu teuer sind. Der Grund liegt darin, dass die Hersteller des Ausgangsprodukts Schutzrechte auf die einzelnen Bauteile haben und die dadurch geschaffene Monopolsituation ausnutzen. Das europäische Geschmacksmusterrecht, anders als das deutsche Designschutzrecht, nimmt die Ersatzteile vom Schutzbereich aus; zum Vorteil der Verbraucher soll es auch bei diesen Produkten Wettbewerb und damit verbunden, eine marktgerechte Preisbildung geben. In zahlreichen Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Preise im Durchschnitt zwischen 30 bis 40% über den Preisen liegen, die unter Wettbewerbsbedingungen erzielt werden könnten.

Nun wurde die Novellierung des deutschen Designschutzrechts angekündigt. Auch das deutsche Recht soll die Reparaturklausel, also die Ausnahme vom Schutzbereich für die Ersatzteile, erhalten.

Die angekündigte Novellierung kommt zur rechten Zeit, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grundsatzentscheidung geklärt hat, welche Produkte unter die Ersatzteileregelung fallen (Urteil des EuGH vom 20.12.2017 (C-397/16 und C-435/16)).

Der EuGH hatte wegen der Vorlagebeschlüsse, unter anderem aus Deutschland vom BGH, darüber zu entscheiden, in welchem Umfang Reparaturteile vom Schutzbereich ausgenommen sind.

Die Kernfrage der beiden Verfahren war, ob die in Rede stehenden Felgen für PKW überhaupt Bauteile sind, die von der Reparaturklausel erfasst werden. In diesem Sinne hatte der EuGH zu beurteilen, ob die Reparaturklausel auf sog. formgebundene oder wie es englisch ausgedrückt wird, auf „must-match“-Teile beschränkt ist, also auf Teile, wie bspw. Kotflügel, Türen oder Motorhauben, durch die das Erscheinungsbild des Fahrzeugs unveränderlich vorgegeben ist. Das ist bei Felgen und zahlreichen weiteren Teilen von Fahrzeugen sicher nicht der Fall; häufig werden nicht einzelne Felgen ausgetauscht, sondern alle Felgen gegen andere getauscht.

Der EuGH sprach sich für eine weite Auslegung der Ersatzteilklausel aus.

Nach der Entscheidung ist die Reparaturklausel nicht auf „must-match“-Teile beschränkt. Vielmehr dürfen laut EuGH auch (eigentlich) designrechtsverletzende Replica-Teile zu Reparaturzwecken hergestellt und vertrieben werden, die nicht wie bspw. Kotflügel durch das Erscheinungsbild des Fahrzeugs unveränderlich vorgegeben sind. Allerdings werden den Herstellern von Replica-Teilen Sorgfaltspflichten auferlegt.

Die Anbieter trifft nach der Entscheidung eine Hinweispflicht. Sie müssen gegenüber den Benutzern offenlegen, dass ein Geschmacksmuster für das betreffende Teil besteht und sie nicht deren Inhaber sind. Ferner müssen sie darüber informieren, dass das Teil ausschließlich zu Reparaturzwecken verwendet werden darf. Die Informationen müssen mit einem klaren, gut sichtbaren Hinweis auf dem Teil selbst, auf dessen Verpackung, in den Katalogen oder in den Verkaufsunterlagen erfolgen.

Darüber hinaus müssen sie mit geeigneten Mitteln, insbesondere vertraglichen Vorgaben, dafür sorgen, dass die nachgelagerten Benutzer die Bauelemente nicht für eine Verwendung vorsehen, die mit den Voraussetzungen der Reparaturklausel unvereinbar wäre. Schließlich dürfen sie die Replica-Teile nicht verkaufen, wenn sie wissen oder vernünftigerweise wissen müssten, dass das Teil nicht diesen Voraussetzungen entsprechend verwendet werden wird.

Auch mit der Aufnahme der Reparaturklausel in das deutsche Designrecht wird der Streit über die freie Nutzung noch nicht beendet sein. Das Designrecht schließt für seinen Anwendungsbereich nicht das Urheberrecht aus. Der BGH hat mit einer Entscheidung jüngeren Datums die Anforderungen an den urheberrechtlichen Schutz deutlich abgesenkt. Der BGH hat seine Rechtsprechung aufgegeben, nach der die Anforderungen an den urheberrechtlichen Schutz höher lagen, wenn es ein untergeordnetes Leis¬InTeR 2019 S. 53 (54)tungsschutzrecht für den jeweiligen Bereich gibt – das Designrecht ist solch ein Leistungsschutzrecht. Nunmehr gelten auch für diesen Bereich für den urheberrechtlichen Schutz relativ geringe Anforderungen an Originalität. Es ist wohl zu erwarten, dass der BGH bei nächster Gelegenheit seine Rechtsprechung korrigiert, weil sie mit der Änderung des deutschen Designrechts nicht mehr dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

Univers.-Prof. Dr. jur. Dr. Jürgen Ensthaler*

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Mehr über den Autor erfahren Sie auf Seite III.

 
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