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K&R 2023, I
Braegelmann 

Vor dem Bot sind alle gleich

Abbildung 1

Rechtsanwalt Tom Braegelmann, LL.M.

„Weißt Du, was ich befürchte? Ich glaube, meine angestellten Anwälte benutzen heimlich diese neuen Chatbots, um ihre Arbeit zu erledigen. Die gehen in letzter Zeit so früh nach Hause und machen keine Tippfehler mehr. Das kann doch nicht angehen.“

Dr. Schattenpfahl hörte Dr. Hummers Klage über die Associates zu, pochte dabei sachte mit der Löffelrückseite auf die Kruste seiner Crème Brûlée, worin sich ein Sprung wie in einem gefrorenen See ausbreitete.

„Aber Hummerlein, mach mir nicht unseren Partnerlunch im Diekmann madig. Was kümmert es dich, Hauptsache, die Mandanten sind glücklich.“

„Das ist das Problem, die sind happy wie nie und erwarten nun öfters auch von mir stante pede ausgefeilte E-Mails voller Esprit und eloquente Vertragsklauseln. Aber wo kämen wir denn da hin?“

Schattenpfahls Löffel krachte in den See ein – Crunch! – er nahm mehrere Happen:

„Find ich auch total unmöglich, dieses Zeitalter der Digitalverwöhnung der Mandantschaft. Aber, mmpf, ich hab Bing und ChatGPT ausprobiert … wenn ich vor 20 Jahren sowas als Referendar bei Stellarink & Killerants in Frankfurt gehabt hätte, hätte ich nicht so oft nachts nach stundenlangem Monitoranstarren künstliche Augentropfen nehmen müssen.“

„Tss, ich bin jetzt 51 Jahre alt, das tu ich mir nicht mehr an, in zehn Jahren will ich in Monte Santa Maria Tiberina den Weinreben beim Anschwellen zusehen… meinst Du wirklich, dass ich davor davon schon abgeschafft wäre? Aber die Mandanten lieben meinen Verhandlungsstil, ich hab da so einen Kniff…“

„Hey Siri, Zeit für KI“ rief Schattenpfahl und flüsterte dann: „Ich hab mir einen Shortcut auf dem iPhone angelegt, konnte man neulich bei Zeit-Online runterladen, mit API zu GPT, hör zu.“

„Was kann ich für Sie tun?“

„Schreibe für Vertragsverhandlungen, bei denen sich die Anwälte der Gegenseite dumm stellen, eine passiv-aggressive Begrüßung, gefolgt von subtil-stichelnden Floskeln zu jederzeitigem Gebrauch.“

„Sehr gerne, einen Moment.“

Das Handy lag auf der Tischdecke zwischen Krümeln; auf dem Bildschirm schwirrten bunte Lichter.

„Begrüßung: Es ist mir eine außerordentliche Freude, mich mit so hervorragenden Juristen zu messen, auch wenn ich befürchte, dass ich Ihnen heute wegen der überwältigenden Faktenlage einen unerfreulichen Abend bereiten werde.

Floskeln: Es ist bemerkenswert, wie sehr Ihre Argumente mich beeindrucken könnten, wenn sie nicht offensichtlich nur aus dem Lehrbuch stammen würden. Wir sind hier aber nicht an der Uni. – Es wäre bedauerlich, wenn wir uns in einer Sackgasse wiederfinden würden, nur weil Sie sich nicht dazu durchringen können, unsere Argumente wenigstens einmal durchzudenken. – Keine Sorge, ich habe eine Deadline für uns alle festgelegt. – Ich bin beeindruckt von Ihrem plötzlichen Verständnis für die Komplexität des Themas.“

Hummer zerteilte zuhörend sein Mascarpone so, dass es wie ein Gletscher aussah, der langsam in einen klebrigen Ozean kalbte und in dessen Spalten blutige Kirschsoße versickerte.

„Ertappt – wieso geht das?“

„Es ist nur autocomplete mal 1000, es rät, statistisch unterfüttert mit der gesamten Wikipedia, welches Wort als nächstes kommt.“

„Kann’s auch Verträge?“

„Yep. Meine Associates, Herr Memodrescher und Frau Dr. von Bülletpoint schreiben jedenfalls in letzter Zeit viel bessere finale Entwürfe, das kommt ja nicht von ungefähr, denn in den juristischen Datenbanken findet man das so nicht.“

„Selbstverständlich nicht. Mach mal ein Beispiel.“

„Hey Siri, Zeit für KI, entwirf für einen IT-Dienstleistungsvertrag über Cyber-Security zwischen der Choriner AG und der Schmeckendorff-Bank eine insolvenzbedingte Lösungsklausel, die trotz § 119 InsO wirksam ist, samt Präambel.“

„Sehr gerne. … Präambel: Angesichts der sich ständig wandelnden Cyber-Bedrohungslage ist es für die Schmeckendorff-Bank von entscheidender Bedeutung, sich auf einen zuverlässigen IT-Dienstleister verlassen zu können. Die Risikoerhöhung, welche eine Insolvenz der Choriner AG bedeuten würde, ist unzumutbar, weswegen…“

Die Computerstimme ratterte eine Kündigungsklausel herunter. Hummer wurde wunderlich-ärgerlich zumute und zerdrückte sein Dessert zu einer Art Gehirnmasse.

„Da staunst Du. Die Kollegen von Wörkk in München haben einen eigenen Bot programmieren lassen namens Kanaris, der verwurstet deren elaborierte Vorlagen im Produkthaftungs- und Kapitalmarktrecht; die jungen Leute lieben den.“ Schattenpfahl winkte den Kellner mit dem Löffel herbei.

„Mag alles sein, pfff, aber weißt Du, mit der künstlichen Intelligenz, da fange ich nicht mehr mit an.“

Schattenpfahl klatschte das letzte Klümpchen Vanillecreme vom Löffel auf den Handylautsprecher. Wohlmoduliert blubberte es darunter hervor:

„Ich hingegen bin ein lieber Bot und bald fange ich mit Dir an!“

Rechtsanwalt Tom Braegelmann, LL.M.*

*

ist ein international erfahrener Insolvenz- und Restrukturierungsexperte, sowohl in Deutschland als auch in den USA als Anwalt zugelassen. Als Anwalt mit Schwerpunkt auf Bankruptcy Law/Insolvenz- und Urheberrecht war er über drei Jahre in New York tätig.

 
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