Wettbewerb auf den Postmärkten stärken, Chancen der Marktöffnung nutzen
Dr. Bernd Buchholz*
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Digitalisierung für grundlegende Veränderungen auf den Postmärkten sorgt. Schon vor der Corona-Pandemie ist die relative Bedeutung des Briefbereichs durch die zunehmende Nutzung von E-Mails einerseits und das steigende Paketaufkommen des Online-Handels andererseits in die Zange genommen worden. Die Corona-Pandemie hat diese Verschiebung der Nachfragemuster noch verstärkt. Postdienstleister mussten nicht nur die flächendeckende Versorgung in Phasen von Lockdown, Kontaktbeschränkungen und Quarantäne-Anordnungen aufrechterhalten, sondern angesichts geschlossener Läden sogar noch weiter steigende Paketmengen bewältigen. Die Unternehmen und Beschäftigten der Branche haben ihren Beitrag zur Daseinsvorsorge durchgehend sichergestellt; dafür gebührt ihnen große Anerkennung.
Gleichzeitig haben die zahlreichen Aufgaben zur Bewältigung der Pandemie dazu geführt, dass politische Prioritäten neu sortiert und andere Projekte zumindest temporär in den Hintergrund gedrängt wurden. Die geplante „große“ PostG-Novelle ist so gewissermaßen ein weiteres Corona-Opfer geworden. Eine grundlegende Modernisierung der Regulierung der Postmärkte, die seit der Marktöffnung weitgehend unverändert gilt, bleibt eine unerledigte Aufgabe, die von der künftigen Bundesregierung ebenso rasch wie dringend wieder aufgegriffen werden muss.
Dabei darf es nicht nur darum gehen, die Qualität der Dienstleistung sicherzustellen, Kundenrechte zu stärken und den Umfang des Universaldienstes zu prüfen. Im Mittelpunkt müssen vielmehr wettbewerbsfreundliche Regelungen stehen, denn hier besteht nach der formalen Liberalisierung der Postmärkte bis heute erheblicher Nachholbedarf. Insbesondere auf dem Briefmarkt hat sich nach wie vor kein flächendeckender funktionsfähiger Wettbewerb entwickelt; die Deutsche Post AG verteidigt gegen regionale Wettbewerber einen Marktanteil von rund 85 %. Auch im wachstumsträchtigen und stärker umkämpften Paketmarkt liegt ihr Marktanteil bei etwa 50 %.
Ein Hindernis auf dem Weg zu mehr effektivem Wettbewerb sehe ich in der Doppelrolle des Bundes als Anteilseigner des größten Unternehmens im Postmarkt und gleichzeitig als Regulierer, die zu einer politischen Bevorzugung der Deutschen Post AG verleitet. Der Interessenkonflikt war jüngst zu beobachten im Kontext der Entgeltregulierung, die aufgrund des bundesverwaltungsgerichtlichen Urteils vom 27. Mai 2020 im PostG verankert werden musste. Die Forderungen – u. a. der Monopolkommission –, die Genehmigung des Briefportos kostenorientiert zu gestalten und den Gewinnzuschlag am unternehmerischen Risiko zu bemessen, wurden dabei nicht aufgegriffen. Stattdessen wurde eine Grundlage für Wettbewerbsverzerrungen gesetzlich festgeschrieben: mit Gewinnmargen, die sich an vergleichbaren ausländischen Postdienstleistern orientieren (und die einem ähnlich geringen Wettbewerbsdruck unterliegen) und mit einer Lastenverteilung nach Tragfähigkeit, die eine Quersubventionierung im Rahmen der Verbundzustellung von Brief und Paket ermöglicht.
Um die ökonomischen Chancen der Marktöffnung zu verwirklichen, muss echter Wettbewerb her. Maßvoll reguliert, effektiv kontrolliert und im Falle von missbräuchlicher Gestaltung auch sanktioniert. Das, wie gesagt, muss ein zentrales Ziel der Bundesregierung für die Postmärkte sein – notfalls auch zulasten ihrer eigenen Gewinnbeteiligung.
* | Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein. |