Baustellen im Lauterkeitsrecht 2025: Mehr Barrieren oder Freiheiten?
RA Karl Hamacher
Die gute Nachricht ist, dass eine weitere Änderung unmittelbar im Gesetzestext des UWG in 2025 aller Voraussicht nach nicht ansteht. Der Diskussionsentwurf „Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“ vom 09.12.2024 ist zwar an diesem Tag veröffentlicht worden, wird aber voraussichtlich erst im Laufe des Jahres 2026 in Kraft treten (vgl. hierzu Alexander, Editorial WRP Heft 2/2025 und Alexander, WRP 2025, 265 ff., in diesem Heft). Entwicklungen werden sich dafür aber – wie schon so oft – durch außerhalb des UWG erfolgte gesetzliche Neuerungen ergeben.
Trotz des noch von der (noch im Amt befindlichen) Bundesregierung – das Erscheinen dieser Ausgabe fällt in den Zeitraum der Neuwahlen – angekündigten Bürokratieabbaus stehen im Jahr 2025 weitere neue, zum Teil kleinteilige Gesetze mit erheblichem bürokratischen Folgeaufwand an, die voraussichtlich über das Einfallstor des § 3a UWG als Marktverhaltensregeln (zum Teil womöglich auch über § 5a ff. UWG) ihren Weg in den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechtes finden und damit bei Nichteinhaltung zu den üblichen und bekannten Rechtsfolgen des UWG führen könnten (Unterlassung, Schadensersatz, Gewinnabschöpfung, unter Umständen Ordnungsgelder).
Eine zentrale Baustelle ist hierbei das ab dem 28.06.2025 in Kraft tretende Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das zu einer erheblichen Herausforderung für die meisten Unternehmen werden dürfte. Für die dort aufgeführten Produkte und Dienstleistungen fördert das BFSG – so das federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) – die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und älteren Menschen. Ziel ist deren barrierefreier Zugang zu entsprechenden digitalen Angeboten u. a. durch die Einbeziehung unterschiedlicher sinnlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten sowie durch die Erhöhung der Verständlichkeit. Das BFSG setzt die Richtlinie (EU) 2019/882 vom 17.04.2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen um.
Vom Anwendungsbereich des BFSG erfasst ist ausschließlich der Bereich B2C und sind ausschließlich die von dem Gesetz genannten Produkte (§ 1 Abs. 2 BFSG) und/oder Dienstleistungen (§ 1 Abs. 3 BFSG). Den Hauptanwendungsfall des Gesetzes dürften dabei voraussichtlich „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG bilden. Anders als für die in § 1 BFSG ansonsten zum ganz überwiegenden Teil enumerativ aufgeführten betroffenen Produkte und Dienstleistungen richtet sich – so nach Auffassung des Gesetzgebers – der allumfassende Tatbestand der Nr. 5 „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ an alle im B2C-Bereich tätigen Webshopbetreiber bis hin zu digitalen Anbietern von sich bloß anbahnenden – aber elektronisch buchbaren – Geschäften, wie z. B. einer elektronischen Terminbuchungsoption. Einige wenige und spezielle (teilweise zeitlich bedingte) sachliche Ausnahmen sind lediglich in § 1 Abs. 4 BFSG geregelt, zudem entfällt der persönliche Anwendungsbereich für „Kleinstunternehmen“ gemäß § 3 Abs. 3 BFSG. Kleinstunternehmen sind Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens zwei Millionen Euro Jahresumsatz oder Jahresbilanzsumme. Last but not least enthalten die §§ 16 ff. BFSG von einer noch einzurichtenden Marktüberwachungsbehörde zu beurteilende (aufwändige und durchaus komplexe) Befreiungstatbestände für den Fall, dass mit der Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtungen eine wesentliche Veränderung des Produktes oder der Dienstleistung oder eine unverhältnismäßige Belastung einhergehen würde.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur (vgl. hierzu Nickl/Heuser, GRUR-Prax 2024, 803) gehen erste Stimmen davon aus, dass es sich beim Kernbereich der BFSG-Vorschriften (z. B. §§ 6–14 BFSG) um Marktverhaltensregeln i. S. v. § 3a UWG handelt. Angesichts der weiten Rechtsprechung zu § 3a UWG ist das durchaus naheliegend. Aus Sicht des Verfassers wird sich allerdings die vorauslaufend zu beantwortende Frage stellen, ob es sich beim BFSG um ein Spezialgesetz mit abschließender behördlicher und verwaltungsgerichtlicher – das UWG womöglich ausschließender – Zuständigkeit handelt, wie man es zum Teil aus der Abgrenzung zum Kartellrecht und einigen, wenngleich wenigen anderen Gesetzen kennt, weil es in seinen Abschnitten 6–10 über ein dezidiertes eigenes Marktüberwachungs- und Sanktionssystem verfügt, einschließlich der Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeiten. Da ein Verstoß gegen das BFSG u. a. dazu führen könnte, dass z. B. Webshops von der zuständigen Marktüberwachungsbehörde gänzlich geschlossen werden, sieht das Gesetz in § 29 Abs. 1–3 BFSG im Rahmen der Verhältnismäßigkeit abgestufte Regelungen mit Aufforderungen und zweifacher Fristsetzung vor, bevor dies geschehen darf. Auch ist, wie beschrieben, die Marktüberwachungsbehörde zuständig für die Feststellung, ob gegebenenfalls Ausnahmen gemäß §§ 16 ff. BFSG greifen könnten. Dass sich dieses abgestufte System ohne Weiteres z. B. mit einer zivilrechtlichen Untersagungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz verträgt (dort läge eine Aufbrauchs- und Umstellungsfrist z. B. allein im Ermessen des Zivilgerichts), ist zumindest fraglich und sollte jedenfalls – mit Tiefgang und prononciert – Gegenstand einer jeden zukünftigen rechtlichen Verteidigungsstrategie sein.
Sicherlich verfolgt das BFSG einen gut gemeinten Zweck, es ist aber selbst insgesamt alles andere als „barrierefrei“ und aus sich heraus verständlich. Ganz im Gegenteil ist es unübersichtlich und enthält eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen und wenig verständlichen Definitionen (§ 2 BFSG). Zudem ist es – wieder einmal – ein weiteres wahrhaftiges „Bürokratiemonster“, das viele Unternehmen vor große personelle und sachliche Herausforderungen stellen wird.
RA Karl Hamacher, Köln