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WRP 2022, I
Klett 

EuGH: Der Verwirkungseinwand im Kennzeichenrecht ist ernst zu nehmen!

Zwei Urteile aus Luxemburg bringen erfreuliche Klärung

Abbildung 1

RA Dr. Alexander R. Klett, LL.M.

Der EuGH hat jüngst in zwei Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage des BGH (19.05.2022 – C-466/20, WRP 2022, 840 – HEITEC/HEITECH Promotion u. a.) und des Hoge Raad der Nederlanden (02.06.2022 – C-112/21, WRP 2022, 836 – X/Classic Coach Company u. a.) zur Auslegung der RL 2008/95/EG entschieden, wobei in beiden Fällen zeitlich gestaffelte Kennzeichenrechte und Fragen der Verwirkung in Rede standen.

1. Die Vorlage des BGH betraf einen Sachverhalt, der Fragen der hinreichend zügigen Anspruchsdurchsetzung und anwaltlicher Sorgfalt aufwirft. Dabei hatte die Inhaberin der älteren Kennzeichenrechte, Heitec, von Heitech, die jüngere Rechte besitzt, im November 2004 eine Anfrage zum Abschluss einer Koexistenzvereinbarung erhalten. Im Juli 2008 erfuhr Heitec von der Anmeldung einer Unionsmarke durch Heitech. Im April 2009 mahnte Heitec Heitech ab. An Silvester 2012 hat Heitec Klage erhoben, aber trotz Aufforderungen durch das Gericht keine Gerichtskosten eingezahlt, weshalb die Klage nicht zugestellt wurde. Erst ein Jahr später, am 30.12.2013, hat Heitec Gerichtskosten bezahlt und eine weitere Klageschrift eingereicht. Allerdings stimmten die Anträge der beiden Klageschriften nicht überein. Die Widersprüche konnte die Klägerin erst Mitte Mai 2014 ausräumen. Erst am 16.05.2014 veranlasste das Gericht die Zustellung der Klageschrift vom Dezember 2012 an Heitech. Heitec verlangte Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz, Vernichtung und Zahlung von Abmahnkosten. Das LG Nürnberg-Fürth erkannte nur die Abmahnkosten zu. Das OLG Nürnberg hat die Klage wegen Verwirkung abgewiesen. Im Revisionsverfahren hat der BGH dem EuGH vorgelegt, um zu klären, ob Art. 9 RL 2008/95/EG die für die Verwirkung erforderliche Duldung der Benutzung durch einen Dritten nur ausschließt, wenn der Inhaber des älteren Rechts ein Verfahren anstrengt oder ob eine Abmahnung genügt. Zudem fragte der BGH, ob bei Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens vor Ablauf der Verwirkungsfrist auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage oder auf die Zustellung abzustellen sei, zumal wenn Letztere durch Verschulden des Klägers erst nach Ablauf der fünf Jahre erfolgt.

Der EuGH hat sich deutlich positioniert. Eine Duldung liegt vor, wenn der Inhaber des älteren Rechts von Handlungen absieht, die klar seinen Willen zum Ausdruck bringen, sich der Benutzung des Zeichens durch den Dritten zu widersetzen und der Verletzung seiner Rechte abzuhelfen. Die Abmahnung, so der EuGH, kann hierfür geeignet sein, aber nur, wenn der Rechtsinhaber nach Zurückweisung der Abmahnung durch den Verletzer weiterhin erkennen lässt, dass er seine Rechte durchsetzt (Rn. 54 der Entscheidung). Veranlasst er dies nicht zeitnah, verliert die bloße Abmahnung ihren verwirkungshindernden Effekt. Sonst könnte, so der EuGH zu Recht, der Inhaber einer älteren Marke die Verwirkung dadurch vermeiden, dass er alle knapp fünf Jahre abmahnt, aber nichts weiter unternimmt. Im zu entscheidenden Fall stammte die Abmahnung vom April 2009, Klage wurde erst im Dezember 2012 erhoben. Damit wären die fünf Jahre noch unterschritten gewesen. Dann kam es aber zu weiteren Verzögerungen, die dazu geführt haben, dass die Ende Dezember 2012 eingereichte Klageschrift erst am 16.05.2014, und damit ein paar Wochen nach Ablauf der Fünfjahresfrist gerechnet ab dem 22.04.2009, zur Zustellung gegeben wurde. Mit dem EuGH kann Verwirkung eintreten, wenn die Verzögerung bei der Zustellung der Klägerin anzulasten ist: Dies gilt auch, wenn die Klage rechtzeitig eingereicht wird, die Zustellung aber erst nach Ablauf der fünf Jahre erfolgt ist. Die Verwirkung betrifft mit dem EuGH sämtliche Haupt- und Nebenansprüche.

Moral von der Geschicht’: Abmahnung verhindert Verwirkung nicht. Es muss zeitnah eine behördliche oder gerichtliche Rechtsdurchsetzung erfolgen, bei der auch keine von Klägerseite verschuldete Zustellungsverzögerung entstehen darf; sonst tritt dennoch Verwirkung ein.

2. In der zweiten, aus den Niederlanden stammenden Vorlage musste der EuGH in einem familiären Kennzeichenstreit Fragen zur Auslegung des Begriffs „älteres Recht“ in Art. 6 Abs. 2 RL 2008/95/EG entscheiden. Auch hier ging es um Verwirkung. Zwei Zweige einer Familie haben Busunternehmen in den Niederlanden, wobei beide längere Zeit koexistierten. Eines der Unternehmen ließ 2008 eine Benelux-Marke für sich eintragen und berief sich zudem auf ältere Rechte aus seinem Handelsnamen. Der andere Zweig, von der Markeninhaberin verklagt, verteidigte sich mit Verweis auf einen im Vergleich zur Klagemarke älteren Handelsnamen, der allerdings jünger war als der noch ältere Handelsname der Klägerin. Dabei stellten sich zwei Fragen: Reicht es nach Art. 6 Abs. 2 RL 2008/95/EG, dass ein gegenüber der klägerischen Marke älteres Recht, etwa ein Handelsname, nach nationalem Recht anerkannt ist, oder ist es erforderlich, dass der Inhaber dieses Rechts die Benutzung der jüngeren Marke verhindern kann? Und spielt es eine Rolle, ob Rechte aus einem noch älteren Handelsnamen der Klägerin gegenüber der Beklagten verwirkt waren. Auch hier hat der EuGH beide Fragen stringent und folgerichtig beantwortet: Art. 6 Abs. 2 RL 2008/95/EG verlangt nur, dass die Beklagte ein älteres nationales Recht von örtlicher Bedeutung ins Feld führen kann, aber nicht, dass sie dem Inhaber der jüngeren Marke deren Nutzung verbieten kann. Hat der Markeninhaber ein noch älteres nationales Recht, dessen Durchsetzung gegenüber der Beklagten durch Duldung verwirkt ist, kann der Beklagte sein älteres Recht aus einem Handelsnamen dem Inhaber der Marke entgegenhalten und die Untersagung vermeiden (Rn. 63 ff. der Entscheidung).

Moral von der Geschicht’: Auch in Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen in einer Großfamilie ist zügige Rechtsverfolgung und die Prüfung des Bestehens (nicht eingetragener) nationaler Kennzeichenrechte der Gegenseite Pflicht.

RA Dr. Alexander R. Klett, LL.M., München

 
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