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WRP 2022, I
Hertfelder 

Kartellrecht mit „Wumms“

Abbildung 1

Dr. Johannes Hertfelder, LL.M.

Finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen wurden in letzter Zeit häufiger mit markigen Bezeichnungen wie „Bazooka“ oder „Doppelwumms“ versehen. Eher nüchtern klingt dagegen der als „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ bezeichnete Referentenentwurf einer 11. GWB-Novelle. Dabei hat es der Entwurf durchaus in sich.

Worum geht es? Im Schwerpunkt soll ein neues kartellrechtliches Instrumentarium geschaffen werden. Der Entwurf schärft zunächst das bereits bislang bestehende Instrument der Sektoruntersuchung. Im Rahmen von Sektoruntersuchungen kann das Bundeskartellamt bestimmte Wirtschaftszweige analysieren. Davon hat das Amt bereits in 20 Fällen Gebrauch gemacht. Die nun geplante Regeldauer von maximal 18 Monaten für eine Sektoruntersuchung soll das Verfahren beschleunigen. Zeigt sich dann in einer Sektoruntersuchung eine „erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs“, soll das Bundeskartellamt gemäß einem neu zu schaffenden § 32f Abs. 3 GWB verschiedene „Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art“ gegen Unternehmen anordnen dürfen. Dazu gehören unter anderem die Zugangsgewährung zu Daten, Belieferungsverpflichtungen und Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen. Als ultima ratio sollen auch Entflechtungen möglich sein. Diese Befugnisse soll das Bundeskartellamt auch und gerade dann erhalten, wenn kein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten nach § 1 GWB und kein missbräuchliches Verhalten gemäß den §§ 18 ff. GWB vorliegt oder nachgewiesen werden kann. Das Bundeskartellamt soll also die Befugnis zu Markteingriffen ohne ein zugrundeliegendes Fehlverhalten von Unternehmen erhalten.

Begründet wird die Erweiterung der Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts mit einer Regelungslücke. Mit den bereits bestehenden kartellrechtlichen Instrumenten kann das Bundeskartellamt gegen Unternehmen nur im Fall von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und missbräuchlichen Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen sowie im Rahmen der Fusionskontrolle vorgehen. Märkte können laut der Begründung des Referentenentwurfs aber auch dann erheblich gestört sein, wenn keine Kartellrechtsverstöße vorliegen. Die Begründung verweist hierzu auf eine zunehmende Vermachtung der Wirtschaft und nennt insbesondere die USA als Negativbeispiel für eine zu hohe Unternehmenskonzentration. Andere Länder, wie etwa Großbritannien, hätten mit vergleichbaren Instrumenten wie den nun geplanten positive Erfahrungen gemacht. Es wird zudem die Brücke geschlagen zum ordoliberalen Leitbild des Schutzes des Wettbewerbs an sich und der Offenhaltung der Märkte.

Mit dem Referentenentwurf folgt Deutschland einem internationalen Trend. Über mehrere Jahrzehnte war die Wettbewerbspolitik von einer Zurückhaltung gegenüber staatlichen Eingriffen geprägt. Das galt für die USA noch viel stärker als für Europa. Dieser Ansatz hat sich massiv gewandelt. Die Kartellrechtsanwendung und die Wettbewerbspolitik in den USA erleben unter der Biden-Regierung gerade einen regelrechten Kulturbruch. Sinnbildlich dafür steht die Vorsitzende der Federal Trade Commission Lina Khan, die insbesondere gegen die großen Tech-Unternehmen rigoros vorgehen will. Die Europäische Kommission hat mit dem Digital Markets Act (DMA) jüngst neue Eingriffsbefugnisse gegen sogenannte Gatekeeper, d. h. Anbieter bestimmter digitaler (Plattform-)Dienste, erhalten (vgl. hierzu auch Lettl, WRP 2022, 1453 ff., in diesem Heft). In Deutschland selbst war im Zuge der 10. GWB-Novelle bereits mit § 19a GWB die Möglichkeit geschaffen worden, gegen die großen Digitalkonzerne auch dann vorzugehen, wenn sie auf einem Markt nicht beherrschend sind, aber eine überragende marktübergreifende Bedeutung haben.

Eine erhebliche Konzentration in einzelnen Bereichen der Wirtschaft, insbesondere bei den großen Tech-Unternehmen, ist unbestreitbar. Ob das die nun in der 11. GWB-Novelle angedachte allgemeine Eingriffsbefugnis in Märkte unabhängig von individuellem Fehlverhalten von Unternehmen und sogar unabhängig vom Vorliegen einer hervorgehobenen Marktposition der betreffenden Unternehmen rechtfertigt, muss aber sorgfältig abgewogen werden. Der Referentenentwurf geht von der Grundannahme aus, dass durch gezielte Eingriffe der Kartellbehörden Märkte effizienter werden und die gesamtwirtschaftliche Ressourcenallokation besser funktioniert als ohne Eingriff. Das ist selbst für eine zu Recht sehr geschätzte Behörde wie das Bundeskartellamt eine große Aufgabe. Es besteht das Risiko, dass Unternehmen Investitionen scheuen, weil sie befürchten müssen, im Erfolgsfall auch bei kartellrechtskonformem Verhalten zum Ziel von Abhilfemaßnahmen zu werden. Für die naheliegenden Anwendungsfälle der großen Digitalunternehmen bestehen zudem mit dem DMA und § 19a GWB bereits wirksame Instrumente. Ob weiter gehende Befugnisse erforderlich sind, erscheint fraglich. Angesichts der politischen Dynamik ist aber davon auszugehen, dass die Novelle kommt. Es liegt dann am Bundeskartellamt, mit den neuen Befugnissen verantwortungsvoll umzugehen.

RA Dr. Johannes Hertfelder, LL.M. (Berkeley), Stuttgart

 
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