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ZFWG 2020, 301
Krüper 

Argumentationsstandards im Glücksspielrecht

Abbildung 1

Nach Wochen des Lockdowns ist die Bundesrepublik im Frühsommer zwar nicht zu einem normalen, aber doch normaleren Leben zurückgekehrt. Die Schließungen und dann die schrittweisen Öffnungen von Firmen und Einrichtungen haben lebhafte, auch juristische Kontroversen ausgelöst. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg sowie ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg geben dabei Anlass, an die Geltung rechtsstaatlicher Argumentationsstandards auch in Zeiten der Pandemie und darüber hinaus zu erinnern. Beide Entscheidungen hatten der Sache nach die Rechtmäßigkeit fortdauernder Spielhallenschließungen bei gleichzeitiger Öffnung gastronomischer Betriebe zum Gegenstand. Während der Kläger in Hamburg gewann, verlor der Antragsteller in Brandenburg. Was in den Verfahren an Argumenten zur fortdauernden Schließung der Spielhallen aufgeboten wurde, ist bemerkenswert. Einige Beispiele sollen dies zeigen:

Der beklagte Hamburger Senat als zuständige Glücksspielbehörde trug vor, die durch die Aufregung des Glücksspiels erhöhte Atemfrequenz der Spielerinnen und Spieler erhöhe die Aerosoldichte in den Spielhallen und damit die Infektionsgefahr – wie es sich im Fall alkoholisch beschwingter Gastronomiebesucher verhält, blieb demgegenüber offen. Auch sei, so der Hamburger Senat weiter, dem Personal in Spielhallen – offenbar anders als jenem in der Gastronomie – nicht zuzutrauen, vorgelegte Hygienekonzepte richtig umzusetzen. Das sah auch das OVG Berlin-Brandenburg so und urteilte weiter, das durch den Antragsteller vorgelegte und von einem Professor für Infektionsmedizin erstellte Hygienekonzept sei nicht glaubhaft, weil es zu lang sei und deswegen nicht befolgt werden würde. Zudem sei die Infektionsgefahr in Spielhallen wegen des (gesetzlich vorgeschriebenen) Bargeldzwangs höher als in der Gastronomie, in der Kartenzahlung möglich sei – aber natürlich weder gesetzlich verlangt noch durchweg üblich ist, vor allem im Bereich der Fast Food-Gastronomie. Und schließlich, so das OVG Berlin-Brandenburg, könne der Verordnungsgeber die Spielhallen anders als die Gastronomie länger geschlossen halten, weil mehr Menschen in die Gastronomie als in die Spielhalle strebten. Ginge es um die Auflösung von echten Verteilungskonflikten über knappe Ressourcen, mag ein solches Argument angängig sein, darum ging es aber in den Verfahren nicht. Dass es sich auf Seiten der Unternehmen hier wie dort um legale Formen gewerblicher Tätigkeit handelt und auf Seiten der Kunden um einen unterschiedslos geschützten Gebrauch ihrer Handlungsfreiheit, fällt in der Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg völlig unter den Tisch. Eine solche Unterscheidung zwischen wertvollem und weniger wertvollem Grundrechtsgebrauch ist schon dann problematisch, wenn der Gesetzgeber sie trifft, erst recht aber, wenn Verwaltung und Gerichte sie treffen.

Es entsteht der Eindruck, dass die Länder Hamburg und Brandenburg in den beiden genannten Verfahren versucht haben, eine Instrumentalisierung infektionsschutzrechtlicher Instrumente für glücksspielpolitische Zwecke zu erreichen, teils auch mit Erfolg. Dabei ist eine Reihe der in den Verfahren vorgebrachten Argumente offenkundig von einem Denken gekennzeichnet, nach dem der Zweck die Mittel heiligt. Selbstverständlich darf, wer es für geboten hält, politisch für eine strenge Regelung privater Glücksspielangebote streiten, wie es die Länder Hamburg und Brandenburg jüngst auch in den Beratungen über den GlüStV 2021 getan haben. Dieser Kampf muss aber mit offenem Visier und mit angemessenen Argumenten auf dem Forum der demokratischen Öffentlichkeit geführt werden. Wer nicht zuletzt aus Gründen des Grundrechtsschutzes der Berufsfreiheit auf staatsvertraglichem oder legislativem Wege ein Ziel nicht erreichen kann, darf es nicht durch Funktionalisierung und Überkorrektur des geltenden Rechts im Vollzug verwirklichen.

Juristische Argumentationsstandards gelten für alle gleich, für die rechtliche Regelung des Gastronomiebetriebs ebenso wie für jene von Spielhallen, für den Einzelhandel eben¬ZfWG 2020 S. 301 (302)so wie für Fitnessstudios und podologische Praxen. Nur auf dieser Grundlage ist eine politische Auseinandersetzung über Regelungsziele möglich. Die Einhaltung dieser Argumentationsstandards nicht nur unter den Bedingungen der Pandemie zu gewährleisten, ist deswegen Aufgabe aller am glücksspielrechtlichen Diskurs Beteiligten, unabhängig davon, für welches Regelungsmodell individuell gestritten wird.

Prof. Dr. Julian Krüper, Bochum*

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