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ZFWG 2024, 413
Hayer 

Das Spannungsverhältnis legaler vs. illegaler Glücksspielangebote: Mythen und Fakten

Abbildung 1

Erwartungsgemäß ist in Deutschland mit dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV 2021) ein öffentlicher Diskurs über die Sinnhaftigkeit zahlreicher Einzelmaßnahmen in Sachen Spielerschutz entfacht. Zwar gilt in diesem Kontext das Ziel der Ausdünnung unerlaubter Glücksspielangebote unter den verschiedenen Stakeholdern als unbestritten. Gleichwohl besteht große Uneinigkeit insbesondere über das Ausmaß des Schwarzmarktes, funktionale Zusammenhänge zwischen legalen und illegalen Glücksspielaktivitäten sowie geeignete Strategien der Schwarzmarktbekämpfung. Dies betrifft zum einen das Segment Online-Glücksspiel: Während die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) von einem Marktvolumen illegaler Websites in Höhe von 400 bis 600 Mio. EUR ausgeht (entspricht 3 % bis 4 % des gesamten erlaubten Marktes)1, liegen die Schätzungen der Branchenverbände um ein Vielfaches höher2. Eine ähnliche Kontroverse lässt sich in Bezug auf Geldspielautomaten im terrestrischen Bereich beobachten: Nahezu täglich sind der Presse Meldungen über das angeblich ausufernde illegale Automatenspiel in diversen Umgebungen zu entnehmen. Der Dachverband der Deutschen Automatenwirtschaft (DAW) warnte unlängst davor, dass hierzulande inzwischen ungefähr ein Drittel aller Geldspielgeräte illegal aufgestellt seien3. Aus Sicht der Glücksspielanbieter würde diese Fehlentwicklung im Kern an der Überregulierung der jeweiligen Marktsegmente liegen, die eine direkte Abwanderung zu illegalen Glücksspielmöglichkeiten hervorrufe. Als Problemlösung wird daher primär auf die Notwendigkeit verwiesen, das legale Spielangebot wieder attraktiver und kundenfreundlicher zu gestalten.

Erkenntnisse aus der Wissenschaft stützen diese Behauptungen zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass sich in Deutschland bislang keine unabhängig durchgeführte Forschungsstudie mit dem Ausmaß und den verschiedenartigen Ausprägungen illegaler Glücksspielaktivitäten (global wie segmentspezifisch) befasst hat. Zudem finden sich in der Fachliteratur keine empirischen Hinweise zu der Annahme, dass die Novellierung der Spielverordnung aus dem Jahr 2014 oder einzelne Regelungen des GlüStV 2021 in kausaler Weise die Stärkung illegaler Marktsegmente bedingen. Daten aus anderen Ländern verweisen, beispielsweise zur Verfügbarkeitsbeschränkung, in eine andere Richtung: Entgegen dem immer wieder vorgebrachten Narrativ der gewerblichen Automatenbranche führt eine mengenmäßige Angebotsreduktion zur Schadensminimierung und eben nicht zu einem massenhaften Wechsel in Schwarzmärkte oder zu anderen erlaubten Glücksspielangeboten4. Ohnehin impliziert die Beschreibung einer derartigen Migrationsbewegung als globales Phänomen, dass es sich um einen geschlossenen Personenkreis handelt, der ein Glücksspielangebot zwangsläufig durch ein anderes ersetzt. Während diese Hypothese bei der Aufstellung illegaler Spielgeräte (z. B. Fun Games oder Automaten ohne PTB-Zulassung) durch erlaubte Unternehmen (z. B. im Hinterzimmer einer Spielhalle) aufgrund ihrer strukturellen Nähe sowie bedingt bei Geräteaufstellungen in der Scheingastronomie noch plausibel klingt, erscheint die Er¬ZfWG 2024 S. 413 (414)schließung illegaler Automatenspiele im Dunstkreis von Organisierter Kriminalität durch Durchschnittsspielende unwahrscheinlich und realitätsfern. Einerseits sind somit zumindest Teile des illegalen Marktes vollkommen losgelöst von legalen Glücksspielangeboten zu sehen bzw. funktionale Bezüge zwischen diesen Märkten nicht erkennbar. Andererseits lassen sich Abwanderungen aufgrund der Stärkung des Spielerschutzes in einem spezifischen Marktsegment in Einzelfällen nicht ausschließen. Unter dem Strich wird deutlich, dass dringender Forschungsbedarf nicht nur zu der validen Bestimmung der Quantität illegaler Glücksspielaktivitäten existiert, sondern auch zu ihren unterschiedlichen Spielarten in der Praxis. Hinzu kommt die Überprüfung weiterer offener Forschungsfragen, die sich gemäß theoretischen Überlegungen auszugsweise wie folgt darstellen: (1) Sind es legale Spielanreize, die – als notwendige Bedingung – erst das Bedürfnis nach noch intensiveren Spielerlebnissen im illegalen Raum hervorrufen?; (2) Ist das vermeintliche Anwachsen der Schwarzmärkte (auch) auf ein verändertes Bewusstsein bzw. Anzeigeverhalten zurückzuführen (typische Divergenz zwischen Hell- und Dunkelfeldphänomenen)?; (3) Wie genau erfolgt der Zugang zu illegalen Glücksspielangeboten auf Seiten der Spielenden; (4) Auf welcher motivationalen Grundlage erfolgt der Zugriff auf illegale Angebote?

Schließlich bedarf es zur Bekämpfung des illegalen Glücksspiels zielführender Vollzugsinstrumente. Zu denken wäre unter anderem an die personelle Aufstockung und Qualifizierung von Mitarbeitenden der Ordnungsämter im terrestrischen Bereich oder an das Payment-Blocking sowie Netzsperren im digitalen Raum. Das Argument, darüber hinaus die Attraktivität des legalen Glücksspiels zu erhöhen, läuft indessen aus der Perspektive der Suchtprävention ins Leere. Die Dynamik in illegalen Märkten darf niemals als Treiber für die Entwicklung legaler Märkte dienen. Zentrale Merkmale des illegalen Glücksspiels bleiben immer massive Gewinn- und damit Verlustmöglichkeiten in Kombination mit fehlendem Spielerschutz. Die immer wiederkehrende Forderung eines Nachjustierens legaler Spielanreize – gleichzusetzen mit suchtpotenteren Glücksspielangeboten – hätte einen liberalen Aufschaukelungsprozess ohne Schranken zur Folge. Zusammenfassend ist folglich zu hoffen, dass die Debatten um illegale Glücksspielangebote in Zukunft faktenbasiert und wissenschaftlich fundiert erfolgen. Zumindest für digitale Angebote dürfte eine von der GGL in Auftrag gegebene Forschungsstudie zur „Untersuchung des Schwarzmarktes und der Kanalisierung von Glücksspielen im Internet“5 hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Dr. Tobias Hayer, Bremen*

1

https://www.gluecksspiel-behoerde.de/images/pdf/jahresberichte/20240801_Finale_Webversion_GGL-Taetigkeitsbericht-2023-WEB.pdf (S. 69; Zugriff am 12.8.2024).

2

Siehe exemplarisch Deutscher Sportwettenverband (DSWV): https://www.dswv.de/wachsender-schwarzmarkt-dswv-fordert-neuausrichtung-der-regulierung (Zugriff am 12.8.2024).

3

https://www.gamesundbusiness.de/ein-drittel-der-automaten-sindillegal (Zugriff am 12.8.2024).

4

Vgl. exemplarisch mit einer aktuellen australischen Studie zum terrestrischen Automatenspiel: „There was little evidence of substantial substitution of gambling behaviour to other harmful products. Consequently, this study indicates that restricting accessibility of harmful products can have a meaningful impact on decreasing the prevalence of gambling problems in the community […].“ (S. 728 f.); Russell et al., Journal of Behavioral Addictions 2023, 12, 721–732. Diese Publikation belegt mit einem hochwertigen Untersuchungsdesign abermals die Aussagen einer systematischen Übersichtsarbeit von Meyer/Kalke/Hayer, Sucht 2018, 64, 283–293.

5

S. Fußnote 1 (S. 51).

*

Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor.

 
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