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ZLR 2017, 557
Hagenmeyer 

Lang ersehnt, heiß erfleht

Endlich ist sie da, die Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung – LMIDV! Dem Gesetzgeber kann man nur gratulieren zu dem, was er uns da ganz ohne Hopfen und Malz zusammengebraut hat. In mutmaßlich mehr als fünfjähriger Brauzeit, unter Einhaltung mehrerer Rasten zur Spaltung von Vorschriften der LMIV, nach sorgfältigem Läutern der Maische und Einsatz verschiedener Stellungnahmen interessierter Kreise als Nachguss, Zugabe erlesener europäischer Vorschriften zur Aromatisierung, intensivem Würzekochen unter regelmäßigem Rühren, zügiger Kühlung in der zuständigen Abteilung, Beigabe loser Allergenkennzeichnungsregeln sowie anschließender Gärung und Lagerung im Keller des Ministeriums ist ihm ein echtes Meisterstück gelungen, das sich mit allen herkömmlichen, handwerklich hergestellten Gesetzen messen kann. Jetzt sollte ganz schnell frisch angezapft werden, bevor das Mindesthaltbarkeitsdatum ablaufen und die Verordnung anfangen könnte, schal zu schmecken.

Wo sonst findet man hierzulande noch Gesetze, die unionsrechtliche Vorschriften ebenso detailgetreu wie nachhaltig durchführen? Da gibt es mehr als 100 verschiedene Verkehrsverbote unterschiedlichster Geschmacksrichtungen zu verkosten, garniert mit einer Handvoll zusätzlicher leckerer Abgabeverbote. Sogar die freiwillige Bereitstellung von Pflichtangaben wird bei Verstoß gegen die entsprechenden Verkehrsverbote mit Bußgeldern bis zu 50.000 € bedroht: das perlt! Bei intensivem Konsum des Gesetzes, der unbedingt empfohlen werden muss, kann man auf zahlreiche lebensmittelrechtlich Verantwortliche treffen, die man womöglich bisher noch gar nicht kannte – so werden intensive Rauschphantasien möglich. Langkettige Verweisungen auf Strafvorschriften des LFGB erlauben sogar, das Risiko echter Abstürze inklusive Filmriss deutlich zu verringern. Auch die schaumstabilen, wenngleich nicht ganz dem Reinheitsgebot entsprechenden Ergänzungen der LMIV tragen – jedenfalls optisch – zum normalem Glücksgefühl der Normadressaten bei.

Ja, Gesetzgeber müsste man sein. Gesetzgebung ist bekanntlich eine Kunst. Und hier waren, daran darf kein Zweifel aufkommen, große Künstler an der Arbeit. Sie beherrschen das Vollzitat ebenso wie den Bandwurmsatz auf ganzer Linie und bringen damit ungeahnt vollmundige Geschmackseindrücke hervor. Ihr Werk ist dabei gleichzeitig schlank und puristisch gehalten, frei von jeglicher störenden Eleganz. Vor allem haben sie es vermieden, ihre Vorschriften an einer gut sichtbaren Stelle deutlich, gut lesbar und dauerhaft anzubringen, das hätte dem Werk erheblichen Abbruch getan und womöglich zu mangelnder Aufmerksamkeit beim Konsumenten geführt.

Drei Normen sollen genügen, um hier zu einer eigenverantwortlichen Verkostung des neuen Gebräus anzuregen. Nach § 1 Abs. 2 LMIDV gilt die Verordnung nicht, soweit in besonderen Rechtsvorschriften Kennzeichnungsvorschriften geregelt sind. Köst¬ZLR 2017 S. 557 (558)lich, Vorschriften, die Vorschriften enthalten, das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen! Außerdem muss aufgrund von § 2 Abs. 2 LMIDV die Allergenkennzeichnung von Lebensmitteln, die im Flugverkehr in den Verkehr gebracht werden, stets in deutscher Sprache erfolgen, auch wenn sie sonst in einer anderen leicht verständlichen Sprache gekennzeichnet werden dürfen. Eine Kostprobe gefällig? Versuchen könnte man es hier mit einen Toast auf Zöliakie-Patienten mit dem deutschen Wort „Gerstenmalz“ in einem Zutatenverzeichnis auf belgischem Trappistenbier mit englischer Kennzeichnung beim letzten Air Berlin-Flug von Hamburg nach Nürnberg. Schließlich verordnet § 4 Abs. 5 S. 3 LMIDV: Die Nettofüllmenge ist auf der Verpackung des Lebensmittelsanzugeben. Wer jetzt meint, das sei papp-langweilig, schon immer so gewesen und nach Art. 12 Abs. 2 LMIV ohnehin europaweit vorgeschrieben, der hat den vorhergehenden Satz vielleicht verschluckt; er regelt nämlich unverpackte Backwaren und Brote. Das muss man erst einmal schaffen, die Füllmenge eines unverpackten Gebäcks auf dessen Verpackung anzugeben. Wem das gelingt, der hat seinen Mitmenschen etwas voraus.

Man soll bekanntlich nicht alles schlucken, was einem vorgesetzt wird. Doch im Fall der LMIDV kann vorsichtiges Nippen am Glas durchaus sinnvoll sein, nur bitte nicht zum Sturztrunk ansetzen. Manche Getränke entfalten ihre Wirkung ja auch je nach Anlass und Tagesform in unterschiedlicher Weise. Dalida, damals bereits zur „Miss Ägypten“ gewählt, besang einst den Tag, als der Regen kam – lang ersehnt, heiß erfleht. Ob wir dereinst auch ein gemeinsames Lied auf die LMIDV anstimmen werden, ist noch nicht genau abzusehen. Einstweilen darf jeder sich seinen eigenen, mehr oder weniger trunkenen Reim auf die neue Verordnung machen. Wer keine Regenlieder mag, dem sei in diesem Zusammenhang die Fledermaus von Johann Strauß empfohlen: Trinke, Liebchen, trinke schnell, trinken macht die Augen hell, heißt es da im Libretto von Karl Haffner und Richard Genée, und natürlich auch: glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. In diesem Sinne erhebe ich heute mein Glas auf Ihr Wohl, danke Ihnen, dass Sie sich bis hierher von mir haben unterhalten lassen, und bitte Sie, mir gelegentlich mitzuteilen, wie Ihnen der neue Gesetzestrunk mundet – irgendetwas praktisch Brauchbares muss ich zur LMIDV ja in der nächsten Kommentierung anmerken.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Moritz Hagenmeyer, Hamburg

 
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