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ZLR 2021, 165
Unland/Grube 

The Battle of Front of Pack

Die Europäische Kommission hat u. a. zur Frage der Einführung einer EU-weit harmonisierten und obligatorischen Nährwertinformation im Hauptsichtfeld (“Front-of-Pack”) eines vorverpackten Lebensmittels Anfang des Jahres 2021 “Anfängliche Folgenabschätzungen”1 durchgeführt und einen “Vorschlag für eine Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 über die Information der Verbraucher über Lebensmittel”2 vorgelegt.

Hintergrund der Gesetzgebungsinitiative ist der Auftrag nach Art. 35 Abs. 5 LMIV an die Europäische Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Verwendung zusätzlicher Formen der Angabe und Darstellung von Nährwertinformationen vorzulegen. Der Vorschlag soll dabei auch Aussagen über die möglichen Auswirkungen einer solchen Regelung auf den Europäischen Binnenmarkt treffen und eine Einschätzung zu der Frage enthalten, ob eine weitere Harmonisierung von Formen der Angabe und Darstellung von Nährwertinformationen empfehlenswert ist. Nachdem die Kommission am 20. Mai 2020 den entsprechenden Bericht vorgelegt hat3, macht sie nun von der Möglichkeit Gebrauch, Vorschläge einer gesetzlichen Regelung zu unterbreiten.

Die Kommission begründet ihre Initiative mit dem Hinweis, dass die Verbraucher die Nährwertangaben auf Lebensmittelverpackungen nicht immer verstünden und nicht immer klare und einfache Nährwertangaben vorfänden, was die Wahl gesunder Lebensmittel erschwere. Die Vielfalt der auf dem EU-Markt vorhandenen “Front-of-Pack”-Regelungen führe zu einem ungleichen Zugang der Verbraucher zu Informationen und könne auch zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes, zu Kosten für Unternehmen mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten sowie zu Verwirrung und mangelndem Vertrauen der Verbraucher führen.4

ZLR 2021 S. 165 (166)

Nach der Bestandsaufnahme der Europäischen Kommission existieren aktuell vier Arten von “Front-of-Pack”-Etiketten, die derzeit in der EU verwendet oder entwickelt werden. Diese bilden die Grundlage für die von der Kommission betrachteten Optionen für die Bereitstellung von spezifischen Nährwertinformationen auf der Vorderseite von Verpackungen, wobei auch eine “Option 0” einbezogen wird, nämlich die Beibehaltung des status quo:

Abbildung 1

Option 0: “Baseline” (“business as usual”): Die freiwillige Verwendung von “Front-of-Pack”-Nährwertinformationssystemen bleibt möglich. Verschiedene öffentliche und private “Front-of-Pack”-Kennzeichnungen, die nach den EU-Vorschriften zulässig sind, existieren weiterhin, wobei einige Mitgliedstaaten ein bestimmtes System empfehlen und andere nicht.

Option 1: Nährwertbezogene, rein “numerische” Information: In der gesamten EU wird eine harmonisierte Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite der Verpackung verwendet: Es handelt sich um eine nicht-interpretative, also nicht-wertende Information, die numerische Angaben über den Gehalt an vier Nährstoffen (Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz) und über den Brennwert sowie über den prozentualen Anteil an der täglichen Referenzzufuhr liefert.

Option 2: Nährwertbezogene “numerische” Information mit farblicher Kennzeichnung: In der gesamten EU wird eine harmonisierte Nährwertinformation auf der Vorderseite der Verpackung verwendet, wobei das Etikett neben numerischen Informationen über den Gehalt an vier Nährstoffen (Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz) und über den Brennwert sowie über den prozentualen Anteil an der täglichen Referenzzufuhr auch eine farbliche Kennzeichnung aufweist, um die Nährstoffgehalte als “niedrig” (grün), “mittel” (gelb) oder “hoch” (rot) zu klassifizieren.

Option 3: Zusammenfassende Bewertung unter Verwendung sogenannter “Bestätigungslogos” (“endorsement logos”): In der gesamten EU wird eine harmonisierte Nährwertinformation auf der Vorderseite der Verpackung verwendet, wobei die Einschätzung der Nährwerteigenschaften eines Produkts durch ein positives Bestätigungslogo zum Ausdruck gebracht wird, das nur auf Lebensmitteln angebracht wird, die die hinterlegten Nährwertkriterien erfüllen.

Option 4: Zusammenfassende Bewertung mit abgestuften Indikatoren: In der gesamten EU wird eine harmonisierte Nährwertinformation auf der Vorderseite der Verpa-ZLR 2021 S. 165 (167)ckung verwendet, wobei die Einschätzung der Nährwerteigenschaften eines Produkts durch “abgestufte Indikatoren” erfolgt, welche Informationen über die ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Lebensmitteln vermitteln.

Damit ist nun der Kampf um den Platz auf der “Front of Pack” eröffnet, in welchem die verschiedenen nationalen Nährwertinformationssysteme gegeneinander antreten, um die begehrte und prominente Platzierung zu bekommen.

Die Diskussion um die “Front-of-Pack”-Informationen macht auch deutlich, dass es sich bei dem Hauptsichtfeld nicht um irgendeine Verpackungsfläche handelt. Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass die Entscheidung der Verbraucher zum Kauf eines Lebensmittels häufig “auf den ersten Blick” – und dies ist der Blick auf das Hauptsichtfeld – fällt. Lebensmitteljuristen haben in der Vergangenheit die Frage, ob der Schauseite einer Verpackung eine besondere Bedeutung zukommen könnte, eher defensiv betrachtet, obwohl umfangreiche allgemeine wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung zum sogenannten Blickfang vorlag, und sich an der – rückblickend vielleicht etwas praxisfremden – Rechtsprechungslinie des Europäischen Gerichtshofs der Neunziger Jahre orientiert, wonach die an einer beliebigen Stelle der Verpackung vorhandene Zutatenliste zur primären Informationsquelle für die Verbraucher erhoben wurde. Insbesondere mit seiner Entscheidung vom 26. Oktober 1995 in Sachen “Sauce Hollandaise”5 postulierte der EuGH den Gedanken, “dass Verbraucher, die sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung der Erzeugnisse richten, zunächst das Zutatenverzeichnis lesen”. Diese Sichtweise wurde in der Welt des Lebensmittelrechts als Fanal aufgefasst, auch dem Kleingedruckten einer Verpackungsgestaltung den Rang einer erstklassigen Informationsquelle zuzusprechen.

Erst mit der LMIV wurde dann erstmals das “Hauptsichtfeld” einer Vorverpackung als eigenständiger Verpackungsbereich identifiziert und legaldefiniert als “das Sichtfeld einer Verpackung, das vom Verbraucher beim Kauf höchstwahrscheinlich auf den ersten Blick wahrgenommen wird und ihm ermöglicht, die Beschaffenheit oder die Art und gegebenenfalls die Handelsmarke eines Produkts sofort zu erkennen”. Mit seiner Entscheidung in Sachen “Teekanne”6 hat der EuGH schließlich ausdrücklich anerkannt, dass die Organisation der Verpackungs- und Informationsgestaltung insgesamt eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Verständnis- und Irreführungsfragen spielt.

Damit ist das Hauptsichtfeld als wichtigstes Terrain für kaufentscheidende Angaben wie “Schlüssellöcher” oder den Nutri-Score anerkannt. Welches der Modelle einer EU-weit harmonisierten und obligatorischen Nährwertinformation im Hauptsichtfeld eines vorverpackten Lebensmittels sich durchsetzen wird, ist ungewiss. Eine harmonisierte Regelung würde bedeuten, dass nur ein Modell gewinnen kann.

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Abbildung 2

Dr. Petra Alina Unland, Bielefeld, Dr. Markus Grube, Gummersbach

1

“Inception Impact Assessments” sollen die Bürger und Interessenvertreter über die Pläne der Kommission informieren, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Rückmeldungen zu geplanten regulatorischen Initiativen zu geben und “sich effektiv an zukünftigen Konsultationsaktivitäten zu beteiligen”. Bürger und Interessenvertreter sind dabei insbesondere aufgefordert, “sich zum Problemverständnis der Kommission und zu möglichen Lösungen zu äußern und alle ihnen vorliegenden relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen, auch zu möglichen Auswirkungen verschiedener Optionen der geplanten gesetzgeberischen Maßnahme, vgl. https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12749-Revision-of-food-information-to-consumers.

2

Dokumenten-Nummer: Ref. Ares(2020)7905364 – 23/12/2020, vgl. https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12749-Revision-of-food-information-to-consumers.

3

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Verwendung zusätzlicher Formen der Angabe und Darstellung der Nährwertdeklaration, Brüssel, den 20.5.2020, COM(2020) 207 final, vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52020DC0207&from=GA.

4

Ref. Ares(2020)7905364 – 23/12/2020, vgl. https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12749-Revision-of-food-information-to-consumers.

5

Urteil des EuGH vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-51/94.

6

Urteil des EuGH vom 4. Juni 2015 in der Rechtssache C-195/14.

 
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