Transparenz und Legitimität zu Lasten von Unabhängigkeit und Exzellenz?
Zur Reform der EFSA
Gleichzeitig mit der Verankerung des Prinzips der Risikoanalyse im Europäischen Lebensmittelrecht im Jahr 2002 wurde die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) errichtet; ihr wurde die Risikobewertung übertragen – getrennt und unabhängig vom Risikomanagement. Das Prinzip hat sich bewährt, auch auf nationaler Ebene wie das Beispiel des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in Deutschland zeigt; es leistet einen wesentlichen Beitrag zur Lebensmittelsicherheit, basiert das Risikomanagement (Gesetzgebung, Verwaltungsmaßnahmen) doch auf einer solideren wissenschaftlichen Grundlage.
Auch die EFSA hat sich bewährt; sie hat sich durch strikte Unabhängigkeit und wissenschaftliche Exzellenz ein anerkannt hohes Renomée erworben, sie ist ein unverzichtbarer Eckpfeiler des “System Lebensmittelrecht” der EU.
Trifft jedoch bei Themen wie grüne Gentechnik oder Glyphosat Wissenschaft auf gesellschaftliche/politische Vorbehalte und Ablehnung, so ist es rasch um die Achtung der Unabhängigkeit wissenschaftlicher Risikobewertung geschehen. Was politisch nicht sein soll, das darf (kann?) auch wissenschaftlich nicht sein! Sehr schnell werden Integrität und damit Legitimität der wissenschaftlichen Einrichtungen im Allgemeinen, z. B. der EFSA, und der verantwortlichen Wissenschaftlicher im Speziellen in Zweifel gezogen, oder gar diffamiert.
Diese zuletzt in der Glyphosat-Diskussion besonders offenkundig gewordene Entwicklung und die Anfang 2018 veröffentlichte REFIT-Evaluierung zum allgemeinen Lebensmittelrecht haben zu einem Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über “Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelkette” geführt; er sieht die Änderung einer Reihe von Verordnungen vor, so auch der “Basis”-Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Ziel ist, die Transparenz des Risikobewertungsprozesses zu erhöhen, um dadurch “die EFSA in den Augen der Verbraucher und der breiten Öffentlichkeit stärker” zu “legitimieren und das Vertrauen in ihre Arbeit” zu “stärken”. Durch eine Vielzahl von Änderungen des die EFSA regelnden Kapitels III der Basis-Verordnung soll dies erreicht werden.
Neben notwendigen oder zumindest nachvollziehbaren Regelungen zur Verbesserung der Abläufe und der Transparenz der wissenschaftlichen Risikobewertung finden sich Vorschläge, die die Gefahr einer Aufweichung der Unabhängigkeit der EFSA und damit einer Verwischung der Grenzlinien zwischen Risikobewertung und Risikomanagement nicht ausgeschlossen erscheinen lassen.
Ein heikles Thema ist stets die Risikokommunikation, die nur dann ihre Funktion erfüllt, wenn die Aussagen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und zu darauf basierenden Maßnahmen des Risikomanagements kohärent sind. Dass es insoweit Verbesserungsbedarf gibt, ist offensichtlich; allerdings darf dies nicht dazu führen, dass die Kommission, d. h. das Risikomanagement, inhaltliche Einflussmöglichkeiten auf die Kommunikation zu wissenschaftlichen Ergebnissen der Risikobewertung erhält.
Unzweifelhaft gestärkt wird der Einfluss des Risikomanagements auf die EFSA dadurch, dass künftig im “Verwaltungsrat” jeder EU-Mitgliedstaat vertreten ist. Damit soll eine Anpassung an das für andere Agenturen der Union verwendete Modell erfolgen. Inwieweit die Entsendung der Mitglieder durch die Regierungen der Mitgliedstaaten mit ihrer Verpflichtung, “im öffentlichen Interesse unabhängig zu handeln” zu vereinbaren ist, muss hinterfragt werden. Bisher wirkten die Mitgliedstaaten im “Beirat” mit, der sich aus Vertretern von Behörden zusammensetzt, die ähnliche Aufgaben wie die EFSA wahrnimmt, (z. B. BfR); es wird streng darauf zu achten sein, dass der Verwaltungsrat, in dem künftig die Mitgliedstaaten das Sagen haben, und der Beirat in der Ausübung ihrer Befugnisse nicht kollidieren.
Einen besonders großen Einfluss auf die EFSA sollen die Mitgliedstaaten dadurch erhalten, dass sie bei der Rekrutierung der Mitglieder der wissenschaftlichen Gremien eine entscheidende Rolle spielen. Jeder Mitgliedstaat muss mindestens 12 wissenschaftliche Sachverständige benennen, er muss gewährleisten, dass “seine” Mitglieder der wissenschaftlichen Gremien unabhängig handeln und frei von Interessenkonflikten sind, dass sie über die erforderliche Zeit und die Ressourcen verfügen, und dass sie “von keiner nationalen Ebene Anweisungen erhalten”. Abgesehen davon, dass es nicht jedem Mitgliedstaat möglich sein wird, die geforderte Anzahl von eigenen Experten zu benennen, legt der Aufgabenkatalog nahe, dass sich die Rekrutierung auf solche Institutionen fokussiert, auf die der Staat unmittelbaren Einfluss hat; Sachverständige von Universitäten können wohl kaum darunter erfasst werden, zumal in einem föderalen Staat.
Die Einbeziehung der Mitgliedstaaten scheint dem Umstand geschuldet zu sein, dass es in den vergangenen Jahren immer schwieriger wurde, hochqualifizierte Wissenschaftler für eine Mitarbeit in der EFSA zu gewinnen. Die Gründe dafür sind vielfältig; die Misere lässt sich aber kaum mit einer Renationalisierung der Rekrutierung beheben; denn dies lässt sich sicher nicht durchgehend mit dem berechtigten Anspruch der EFSA vereinbaren, nur die “Besten” zu gewinnen. Dem widerspricht auch, dass bei den endgültigen Ernennungen der Wissenschaftler durch den Verwaltungsrat eine “größtmögliche geografische Streuung” sichergestellt werden soll; nationaler Proporz vor wissenschaftlicher Qualität kann und darf nicht die Lösung sein.
Inhaltlich verknüpft mit der wünschenswerten größtmöglichen Transparenz der Risikobewertung ist der Umfang der Vertraulichkeit von Informationen, die aus Sicht der Unternehmen, die beispielsweise einen Antrag auf Zulassung eines Stoffes stel-
Es bleibt zu hoffen, dass der Verordnungsentwurf im Rat und im Europäischen Parlament einer sehr sorgfältigen Prüfung unterzogen wird, um zu verhindern, dass die Wesensmerkmale der EFSA, Unabhängigkeit und wissenschaftliche Exzellenz, bei allem Verständnis für inhaltliche und organisatorische Verbesserungen Schaden nehmen – dann wären die Änderungen ein Bärendienst für die Lebensmittelsicherheit in der EU!
Rechtsanwalt Prof. Dr. Matthias Horst, Berlin