Editorial
In den vergangenen Jahren ist die Bundesrepublik mehrfach gerichtlich zu mehr Klimaschutz verpflichtet worden: Vor vier Jahren vom BVerfG, am 30. 11. 2023 noch einmal vor dem OVG Berlin-Brandenburg. Beide Male war der Editor als Rechtsvertreter beteiligt, beim BVerfG außerdem seit 2000 mit der wissenschaftlichen Vorbereitung. Deutschland hält nicht mal seine eigenen Klimaziele ein. Gegen diese Feststellung des OVG liegt nun eine Revision der Bundesregierung beim BVerwG. Das dortige Verfahren ist allerdings derzeit ausgesetzt. Denn wir haben im Spätsommer 2024 – erneut die Fachanwältin Franziska Heß und ich für BUND, SFV und Einzelbeschwerdeführende – eine Klima-Verfassungsbeschwerde 2.0 zum BVerfG erhoben. Parallel mit zwei anderen Teams machen wir geltend: Deutschland verfehlt nicht nur seine eigenen Ziele – diese Ziele sind ihrerseits grundrechtswidrig unambitioniert. Denn sie sind für die auch klimavölkerrechtlich nach dem Paris-Abkommen maßgebliche Temperaturgrenze von weit unter 2 Grad und möglichst 1,5 Grad Celsius bei weitem unzureichend. Für ein solches Ziel wäre das Treibhausgasbudget der Industriestaaten schon heute erschöpft.
Solche Prozesse, in denen im Zuge der Gewaltenteilung die Judikatur die parlamentarische Mehrheit an bestimmte äußere Grenzen erinnern kann, sind in diesen Tagen womöglich wichtiger denn je. Als Nachhaltigkeitsforscher treiben mich die Bundestagswahl und ihre Folgen zur Verzweiflung. Kaum jemand hat ganz und gar verstanden: Demokratie, Frieden, Umweltschutz und Wohlstand gelingen nur gemeinsam. Und sie gelingen nur, wenn unser Alltag und das Wirtschaften rasch und radikal postfossil werden. Postfossilität und Klimaschutz sind also nicht öko – sie sind vielmehr Voraussetzung auch für Frieden und Wohlstand.
Der fundamentale Irrglaube ist, Umwelt- und Klimaschutz seien wirtschaftsfeindlich. Wie ein Festhalten an fossil basierten Modellen die Wirtschaft ruiniert – und nicht umgekehrt –, kann man derzeit bei der deutschen Autoindustrie besichtigen. Die hat den Abschied vom Verbrenner, der in den anderen EU-Ländern oder China längst vollzogen wird, schlicht verschlafen. Und auch wenn man das Heizen dauerhaft bezahlbar halten will, ist eine noch raschere Energiewende gerade sinnvoll. Außerdem schaffen erneuerbare Energien und Wärmedämmung in der Summe mehr Arbeitsplätze und mehr Wertschöpfung, als es die Fossilen vermochten. Das ist wiederholt vorgerechnet worden, gerade für die Lausitz als Kohleregion.
Wissenschaftlich gesehen ist zudem unstrittig: Der Klimawandel wird beachtlich, in neueren Berechnungen gar um den Faktor zehn oder mehr, teuer werden als eine anständige Klimapolitik. Schon vermehrte Naturkatastrophen wie im Ahrtal kosten Abermilliarden. Noch schlimmer wird es, wenn wegen erwärmungsbedingter Nahrungs- und Wasserknappheit Klimakriege ausgefochten werden. Fossile Brennstoffe treiben zudem weitere Umweltprobleme wie das Artensterben, die ökonomisch und ökologisch noch verheerender werden könnten als der Klimawandel. Fatal ist auch, dass sich Bürgerinnen und Bürger, aber auch Politikerinnen und Politiker, vom Krieg in Europa und im Nahen Osten von der Postfossilität ablenken lassen – und glauben, man müsse das eine für das andere zurückstellen. Tatsache ist: Wer weiter auf die fossilen Brennstoffe setzt, fördert Russland und damit seine expansionistische Außenpolitik. Entweder direkt, indem Deutschland – ganz im Sinne rechts- und linkspopulistischer Strömungen – die Importe aus Russland wieder hochfährt und so über Staatskonzerne die Kriegskasse füllt – oder indirekt, indem ein anhaltender Verbrauch von Öl und Gas die Preise am Weltmarkt durch steigende Nachfrage hoch hält und perspektivisch weiter erhöht. Spätestens seit der fatalen Annäherung der Trump-USA an Putins Russland müssten deshalb alle politischen Strömungen an sich für zeitnahe und radikale Postfossilität eintreten. Bereits ohne ökologische Hintergedanken.
Bereits 2022 – 2024 hat die ZNER solchen Fragen einigen Raum gegeben. Sie wird das sicher auch weiterhin tun, dabei aber – als Organ gerade auch von und für Praktiker/innen – handfeste Rechtsanwendungsfragen ebenso stark fokussieren. Der erste Aufsatz im vorliegenden Heft (vom Editor) greift folgerichtig das Problem der Postfossilität und seine Operationalisierung durch Verfassungsbeschwerden auf. Konkret geht es um die meist unbeachtete Genese des BVerfG-Klima-Beschlusses seit 2000 bzw. 2010. Eine zentrale Rolle spielte dabei der langjährige SFV-Geschäftsführer Wolf von Fabeck, der in diesen Wochen sein 90. Lebensjahr vollendet. Deshalb kommt hier gerade auch seine Rolle in den Blick. Es wird aber auch ein Blick darauf geworfen, dass der Klimawandel in Wechselwirkung steht (und ähnlichen Treibern folgt) mit einem eher noch größeren Umweltproblem: dem eben erwähnten Biodiversitätsverlust. Auch dazu liegt nunmehr nämlich eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG.
Der zweite Aufsatz von Jörg B. Soetebeer und Christina Wockel liefert eine Einordnung zum Vorlagebeschluss des KG Berlin an den EuGH von Ende 2024. Das KG hat in einem anhängigen Verfahren über die Rechtsfolgen der Unwirksamkeit einer Preisänderungsklausel in einem seit 2012 bestehenden zivilrechtlichen Fernwärmelieferungsvertrag erhebliche Zweifel an der europarechtlichen Konformität der BGH-Rechtsprechung zur sogenannten Drei-Jahres-Lösung geäußert. Letztere besteht darin, bei Wegfall einer missbräuchlichen Preisänderungsklausel in einem langjährigen Energielieferungsverträgen diesen Vertrag ergänzend dahin auszulegen, dass der drei Jahre vor der ersten Beanstandung durch den Verbraucher durch Preiserhöhungen aufgrund der missbräuchlichen Klausel erreichte Preis an die Stelle des vertraglich vereinbarten Ausgangspreises treten soll, mit ihnen vereinbar ist. Alle damit zusammenhängenden Fragen sind angesichts der absehbar zunehmenden Bedeutung der Fernwärme von hoher Relevanz.
Das Heft wird durch eine Vielzahl wichtiger Judikate abgerundet. Darunter befindet sich die BVerfG-Entscheidung zur Strompreisbremse im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Diese wird vom Gericht als mit Art. 12 GG vereinbar eingestuft, obwohl hohe Gewinne der Energieerzeuger damit eingebremst werden. Es ist ein wenig bezeichnend für die bisherige, mit dem BVerfG-Klima-Beschluss allerdings herausgeforderte deutsche, aber auch allgemein klassisch-liberale Grundrechtstradition, dass die Strompreisbremse hier nur im Lichte der wirtschaftlichen Freiheit überprüft wird. Die größere Frage ist eigentlich, ob eine neuerliche fossile Subvention wie die Strompreisbremse mit den verfassungsrechtlichen Klimaschutzanforderungen konform gehen kann. Eine weitere Entscheidung – des BVerwG – beschäftigt sich mit Anforderungen an naturschutzrechtliche Kompensationen für Windenergieanlagen.
Wir wünschen wie immer viel Freude und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre – bleiben Sie uns auch dieses Jahr gewogen!
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A.