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ZVglRWiss 122 (2023), 1-3
Hübner/Wiik 

Sicherung von Menschenrechten in transnationalen Lieferketten

Spätestens seit dem verheerenden Brand in einer Textilfabrik im pakistanischen Karachi, in der auch deutsche Unternehmen Kleidung für den heimischen Markt produzieren ließen, wächst in der breiten Bevölkerung ein Bewusstsein – und vielfach ein Unbehagen – über die Produktionsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Berichte über unternehmerisches Handeln, das die internationalen Menschenrechte verletzt, gibt es inzwischen aus fast jedem produzierenden Sektor. Der Druck, die Umstände nachhaltig zu verbessern, steigt. Zugleich ist es Kernbestandteil des globalisierten Wirtschaftssystems, dass Unternehmen aus Industriestaaten ihre Produktion ins Ausland verlagern, um von einem niedrigeren Lohnniveau, niedrigeren Produktionsstandards und – wenn auch unbeabsichtigt – von Schwächen in der lokalen Rechtsstaatlichkeit zu profitieren. Auf den globalen Absatzmärkten wirkt Staatsversagen in den Produktionsstaaten als ein Wettbewerbsvorteil, dem sich gewinnabhängige Unternehmen nur schwer entziehen können, sofern sie am Markt bestehen wollen.

Seit langem bestehen Bemühungen, die Situation durch einen völkerrechtlichen multilateralen Vertrag zu verbessern. Darin verpflichten sich die Staaten, die Erfüllung der menschenrechtlichen Verpflichtungen durch die Unternehmen in ihrem jeweiligen nationalen Recht sicherzustellen. Bislang fehlt jedoch dem Vorstoß die erforderliche Mehrheit in der Staatengemeinschaft. In Ermangelung einer globalen rechtsverbindlichen Lösung ist eine Vielzahl freiwilliger Initiativen geschaffen worden, in denen sich Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Grundsätze selbst verpflichten – teilweise unterstützt durch staatliche Stellen. Zugleich haben einige Industriestaaten nationale Gesetze erlassen, die heimische, im Ausland tätige Unternehmen zur Einhaltung bestimmter menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette anhalten. Deutschland gehört inzwischen dazu. Im Jahr 2021 hat der Bundestag nach langer politischer Kontroverse das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verabschiedet, das zum 1. 1. 2023 in Kraft getreten ist.

Aber kann ein nationales Gesetz die Problematik überhaupt auflösen? Wirkt sich ein solches Gesetz nicht vielmehr als Wettbewerbsnachteil für in Deutschland ansässige Unternehmen aus und behindert auf Grund seiner Pflichten zur Risikominderung und Berichterstattung effektive freiwillige (kostspielige) Maßnahmen? Können Unternehmen als Akteure vor Ort nichtZVglRWiss 122 (2023) S. 1 (2) viel besser einschätzen, welche Risikominderungs-, Transparenz- und Sorgfaltsmaßnahmen angezeigt und möglich sind?

Diesen grundlegenden Fragen widmete sich die am 25. und 26. 11. 2021 im Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg veranstaltete hybride Tagung, an der 28 WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen aus Industrie, Politik, Justiz und Zivilgesellschaft teilnahmen. Eine Auswahl der Beiträge kann dankenswerterweise mit diesem Doppelheft der Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft vorgelegt werden.1

Der erste Abschnitt widmet sich der Frage, ob in dem Bereich eine Regulierung oder Selbstregulierung das Mittel der Wahl darstellt. Zu diesem Zweck erfolgt eine interdisziplinäre Bedarfsanalyse. Maria Trombini und Markus Pohlmann untersuchen Vor- und Nachteile der Selbstregulierung im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte aus soziologischer Sicht. Stefan Korch nimmt sodann eine rechtsökonomische Analyse von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten für Unternehmen vor, während Rafael Harnos der Frage nachgeht, ob Unternehmenskommunikation dem Menschenrechtsschutz dienen kann.

Ein zweiter Block widmet sich den völkerrechtlichen Hintergründen und der Rechtslage in anderen Rechtsordnungen. Zu Ersteren erörtert Markus Krajewski die Regelungsgegenstände eines menschenrechtlichen Sorgfaltspflichtengesetzes aus völkerrechtlicher Perspektive. Demgegenüber beleuchtet Francesco Bordiga die bisher wenig reflektierte Perspektive des italienischen Rechts auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen.

Der dritte Abschnitt nimmt die Ausgestaltung des LkSG in den Blick. Zunächst behandelt Thomas Schröder die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts in grenzüberschreitenden Lieferketten. Julius Brackmann misst den vom Gesetzgeber im LkSG gewählten Ansatz der Auferlegung von Risikosteuerungspflichten gegenüber Unternehmen an den Vorgaben des Verfassungsrechts. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung erläutert zunächst Hannes Wais die Grenzen des AGB-Rechts für die Durchsetzung von Menschenrechten in Lieferketten. Jan Lieder und Sarah Meyer richten den Blick hingegen auf die Auswirkungen des LkSG auf die Corporate Governance der betroffenen Unternehmen. Anschließend betrachtet Michael Kubiciel die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette normentheoretisch und legt dar, dass die Normentheorie praktische Wirkungen zeitigt. Sodann widmen sich Wiebke Voß den zivilrechtlichen und Klaus-Peter Sommermann öffentlich-rechtlichen Implementierungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten.

Ergänzt werden die Beiträge aus der Tagung um zwei thematisch passende Beiträge zum LkSG. Maximilian Kühle und Marius Schulte-Hullern verhandeln das Zusammenspiel von Konzernrecht und LkSG. Demgegenüber geht Victor Habrich der Frage nach, welchen Einfluss das LkSG und ein möglicherweise anstehender europäischer Rechtsakt auf die Finanzwirtschaft haben.

ZVglRWiss 122 (2023) S. 1 (3)

In vielschichtigen Debatten, die sowohl das Völkerrecht, das Verfassungsrecht, das Strafrecht, das Öffentliche Recht, das Gesellschaftsrecht, das Prozessrecht und das allgemeine Zivilrecht umfassen, wird letztendlich deutlich, dass die Lösung des Sachproblems (Behebung menschenrechtlicher Defizite entlang der komplexen globalen Lieferketten) nicht allein dem nationalen Recht oder auch nicht allein einem Rechtsgebiet überlassen werden kann.

Leonhard Hübnerund Astrid Wiik

Osnabrück/Münster

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Verbunden mit einem Dank an die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, die die Tagung finanziell und organisatorisch unterstützt hat.

 
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