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BB 2023, I
Probst 

Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfung - eine Symbiose für gute Governance, die keiner "Zeitenwende" bedarf

Abbildung 1

Der Wert einer guten Abschlussprüfung entsteht insbesondere im Zusammenspiel mit einem guten Aufsichtsrat – auch ohne Systemwechsel, aber in professioneller Zusammenarbeit.

Der Begriff “Zeitenwende” ist in den letzten zwei Jahren deutlich strapaziert worden. Dennoch ist er wirtschaftspolitisch berechtigt, leben wir doch in der Tat seit etwa Mitte 2021 in einer im Vergleich zu den “gemütlichen Merkel-Jahren” hoch volatilen und von Disruptionen gekennzeichneten Wirtschaftswelt, für die die erst kurz zuvor erfahrene Covid-Realität nur ein mittleres “Vor-Beben” war, quasi eine Art Warm-up. Und so ist auch Unternehmensführung mit gestiegenen Herausforderungen verbunden: Zu den bereits zuvor – stetig, aber vielleicht zu langsam – betriebenen Transformationen Digitalisierung und Nachhaltigkeit treten sehr herausfordernde geopolitische und wirtschaftspolitische Umbrüche: Lieferkettenprobleme, Energiepreissteigerungen, Inflation, späte und dann schnelle Zinserhöhungen, aktuelle politische Instabilitäten in vielen Ländern und Regionen, verbunden mit dem neuen Trend zur De-Globalisierung. Und: Derzeit ist kein Ende absehbar! Willkommen im New Normal, aber nicht im New Work im Sinne einer Wohlfühl-Arbeitswelt, sondern – im Gegenteil – Hard New Work für gute Unternehmensführung. Genau in diese Zeit kommen nun auch noch die schon sehr konkreten zusätzlichen Anforderungen durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung, mit allen Konsequenzen für eine kurzfristige unternehmerische Transformation – von der Strategie über Organisation und Interne-Kontroll-Systeme bis hin zum Reporting und der damit verbundenen Messbarkeit von Zielen aus Sicht von Share- wie Stakeholdern. Unternehmensführung im Sturm!

Operativ gefordert ist bekanntermaßen im zweigliedrigen deutschen Governance-System zunächst der Vorstand. Und siehe da: Er (oder zunehmend auch: Sie) macht seine (ihre) Arbeit – keep calm and carry on. Natürlich wird dabei auch kontrovers diskutiert (z. B. zum Umgang mit China), aber dabei geht es nicht um die eigene Rolle und Verantwortung – oder gar die eigene Überforderung. Anders ist es hingegen beim Aufsichtsrat: Nachdem bereits durch die mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FISG) verbundenen zusätzlichen Anforderungen nicht nur bei den Abschlussprüfern, sondern eben genau beim Aufsichtsrat (Prüfungsausschuss, Prüfungsexperte, angemessenes und wirksames Internes-Kontroll-System und Risiko-Management-System etc.) das Niveau und die Qualität der Überwachung (auch der Qualität der Abschlussprüfung) gehoben werden sollten, kamen mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex seit 2022 (z. B. Verankerung der Nachhaltigkeit in der Strategie, aber auch diesbezügliche Expertise im Prüfungsausschuss) – zusätzliche Anforderungen ins Spiel. Das Aufgabenkorsett scheint so eng geworden zu sein, dass nun verschiedentlich der Ruf nach “Entlastung” des Aufsichtsrats erklingt, der sich doch besser mit den “zukunftsorientierten Themen Strategie und Vorstandsbesetzung” beschäftigen solle, eine “grundlegende Klärung der Rolle des Aufsichtsrats und seiner Pflichten” sei nötig (HB vom 1.8.2023, 16). Nun, dies ist insofern zu bejahen, als im zweigliedrigen Governance-System die Überwachungsaufgaben auch leistbar sein müssen. Der Aufsichtsrat hat aber – auch nach dem FISG – eben nicht die rechtliche Kompetenz (und Aufgabe), nach persönlichem Ermessen eigenständig detaillierte Prüfungshandlungen vorzunehmen, Zeit und Vergütung sind auch nicht darauf ausgelegt.

Dies hatte auch der Gesetzgeber schon 1884 erkannt, als man mit Einführung des “besonderen Revisors” dem im Jahr 1870 eingeführten Aufsichtsrat einen externen Prüfer zur Seite stellte, wohl aus gutem Grund. Seitdem hat sich die Regulatorik rund um die Wirtschaftsprüfung stetig weiterentwickelt, bis hin zur Qualitätskontrolle durch die Abschlussprüferaufsichtsstelle. Beim Aufsichtsrat hat insbesondere das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (2009) die Überwachungsaufgaben konkretisiert, mit dem FISG sind dann 2021 die erwähnten Änderungen (und Haftungsverschärfungen) für Aufsichtsrat und Abschlussprüfer eingeführt worden, seitdem erfolgt auch die Bilanzkontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.

Spätestens mit dem FISG (und der zu vermutenden Governance-Realität des anlassgebenden Falls) wurde deutlich, wie wichtig ein “Ineinandergreifen” der Arbeit von Aufsichtsrat und Abschlussprüfer ist. Zwischen beiden besteht eine Art “Symbiose” (freilich rechtlich im Rahmen jeweils eigener gesetzlicher Verantwortung) als Teil der Idee einer guten Governance, auch im besten ES“G”-Sinne. Eine – rückwärtsgewandte – “Zeitenwende” im Sinne einer “Konzentration auf die Kernaufgaben” des AktG 1965 wird es für Aufsichtsräte nicht geben können, Ähnliches auch nicht für Wirtschaftsprüfer. Eine zukunftsgerichtete Arbeit des Aufsichtsrats (wie auch des Wirtschaftsprüfers) besteht gerade darin, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Dafür bedarf es auch keines Systemwechsels. Der Wert einer guten Wirtschaftsprüfung (im Sinne der Abschlussprüfung) entsteht im System der Corporate Governance, konkret: im Zusammenspiel mit einem guten Aufsichtsrat. Für beide – Aufsichtsrat wie Wirtschaftsprüfung – bedarf es insofern keiner “Zeitenwende”. Nur einer professionellen Zusammenarbeit.

Prof. Dr. Arno Probst ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei der Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Hamburg und leitet als Partner die Deloitte Board Programs und das Center for Corporate Governance in Deutschland. Er ist zudem Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg. Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.

 
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