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Cum-Ex-Geschäfte – der aktuelle Stand

Abbildung 1

Es ist gut acht Jahre her, seit die Cum-Ex-Geschäfte öffentliche Aufmerksamkeit erlangten. Im November 2012 sorgte die Durchsuchung der HypoVereinsbank (HVB) zum ersten Mal für großes mediales Interesse. Es folgten spektakuläre Fälle wie die Insolvenz der Maple Bank, zahllose Finanzinstitute und einige Anwaltskanzleien wurden im Zuge der Ermittlungen durchsucht. Der Bundestag untersuchte das Phänomen Cum-Ex auf über 800 Seiten. Im Jahr 2020, d. h. neun Jahre, nachdem Cum-Ex-Geschäfte durch die Änderung des Kapitalertragsteuerverfahrens obsolet geworden sind, bleibt die Lage höchst unübersichtlich.

Dabei ist der Aufwand, den die Behörden zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte betreiben, beispiellos. Schätzungen zufolge sind mittlerweile 600–750 Personen im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen. Betroffen sind auch Entscheidungsträger im In- und Ausland, bis hin zur Vorstandsebene. Das erste, vielbeachtete Verfahren vor dem LG Bonn, das sich gegen zwei ehemals in London tätige Banker richtet, steht kurz vor dem Abschluss. Beide sind kooperativ und haben umfangreich zur Aufklärung der Vorwürfe beigetragen. Der Ausgang des Verfahrens in Bonn wird daher nicht unbedingt Rückschlüsse darauf zulassen, wie Strafgerichte in Fällen entscheiden, in denen Angeklagte geltend machen, nach wie vor von der Legalität der Geschäfte überzeugt zu sein. Die demnächst beginnenden Verfahren in Wiesbaden (HVB) und Frankfurt (Maple Bank) dürften insoweit aufschlussreicher sein, auch weil dann erstmals steuerliche Berater mit auf der Anklagebank sitzen. Dass es sich bei deren Beratung – wie von den Staatsanwaltschaften behauptet – in den meisten Fällen um reine “Gefälligkeitsgutachten” oder “Feigenblätter” gehandelt haben soll, ist schwer vorstellbar.

Eine finale Klärung durch den BFH, ob Cum-Ex-Geschäfte steuerlich überhaupt illegal waren, steht immer noch aus. Bislang fielen aber alle finanzgerichtlichen Urteile zugunsten der Finanzverwaltung aus. Ob der BFH von dieser Linie abweicht, erscheint fraglich. Behörden und Gerichte loten derweil die Grenzen einer Haftung außerhalb des steuerlichen Verfahrensrechts mittels der jüngst verschärften Vorschriften zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung nach § 73b StGB aus. Am laufenden Strafverfahren beim LG Bonn wurden fünf Finanzinstitute zum Zweck der Vermögensabschöpfung von Steuererstattungen beteiligt und laut dem Vorsitzenden Richter könnte der Kreis durchaus noch weiter sein. Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht insoweit Fragen der steuerlichen Verjährung beurteilt und berücksichtigt, dass die Vorteile in den meisten Fällen schon konzeptionell nicht bei den betroffenen Instituten verbleiben konnten.

Ein weiterer, meines Erachtens bedenklicher Fokus der Finanzbehörden liegt darauf, zunehmend die an den Cum-Ex-Geschäften beteiligten Depotbanken in Haftung zu nehmen, insbesondere wenn die Gesellschaften oder Fonds, die die Steuererstattungen geltend gemacht hatten, im Ausland ansässig, vermögenslos oder bereits abgewickelt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Depotbanken seinerzeit in den meisten Fällen lediglich den Vorgaben der Verwaltung folgten. Auch hier ist zu hoffen, dass der BFH der ausufernden Haftungsinanspruchnahme durch die Verwaltung Grenzen setzt.

All dies führt zu zahlreichen komplexen Zivilprozessen, deren Anzahl in den nächsten Jahren deutlich zunehmen dürfte. Hierbei kann es sich um Schadensersatzforderungen der von Rückforderungen, Haftungsinanspruchnahme oder Vermögensabschöpfung betroffenen Gesellschaften gegen ihre Manager (z. B. Klage der HVB gegen frühere Vorstandsmitglieder) oder steuerlichen Berater (z. B. Vergleich Insolvenzverwalter Maple Bank mit Freshfields) oder zwischen den an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Parteien (vgl. die in der Berufungsinstanz beim OLG Frankfurt anhängige Klage der Helaba gegen Société Générale) handeln. Auch Investoren machten bereits erfolgreich Ansprüche geltend (z. B. Klage Erwin Müller gegen Sarasin Bank). Jüngst hat sich das LG München in einem von einem Investorenkonsortium angestrengten Schadensersatzprozess gegen eine in London ansässige Macquarie-Gesellschaft für unzuständig erklärt. Sollte der Rechtsstreit vor Gerichten in UK fortgeführt werden, bleibt abzuwarten, wie diese den Komplex – gegebenenfalls mit etwas mehr Distanz – beurteilen. Schließlich versuchen von der Finanzverwaltung in Haftung genommene Depotbanken, Rückgriff bei anderen an den Cum-Ex-Geschäften Beteiligten zu nehmen. Komplexe Fragen des Innenausgleichs zwischen mehreren Beteiligten werden die Gerichte noch auf viele Jahre beschäftigen.

Allein Politik und Verwaltung blieben bislang weitgehend unbehelligt. Die Tatsache, dass schlechte Gesetze und wenig taugliche Verwaltungsmaßnahmen die Geschäfte befeuerten, sollte insbesondere im Rahmen der oben genannten Strafverfahren stärker berücksichtigt werden.

Florian Lechner, RA, ist Partner im Fachbereich Steuerrecht bei Jones Day in Frankfurt a. M.

 
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