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Das Fusionsverbot für Siemens/Alstom – ein Grund für eine Reform des Wettbewerbsrechts?

Abbildung 1

Die Europäische Kommission hat am 6. Februar 2019 die von Siemens und Alstom geplante Zusammenlegung ihrer Bahntechnik-Sparten untersagt. Vor und nach dieser Entscheidung sind Rufe nach einer Reform des Wettbewerbsrechts laut geworden. Siemens-Chef Joe Kaeser hatte das sich abzeichnende Verbot schon zuvor via Twitter als “rückwärtsgerichtet” kritisiert. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier beklagte bei der Vorstellung einer neuen “Industriestrategie”, oft scheiterten “deutsche oder europäische Fusionen, die mit Blick auf den Weltmarkt sinnvoll und notwendig sind, an der Fokussierung auf nationale und regionale Märkte im geltenden Recht”.

Diese Äußerungen suggerieren, Zusammenschlüsse scheiterten in wichtigen Fällen an einer kleinräumigen und nicht zeitgemäßen Abgrenzung von Märkten. Wer freilich die fusionskontrollrechtliche Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission kennt, weiß, dass diese von Weltmärkten ausgeht, wo sie solche antrifft. “Markets define themselves” hat Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Kritikern entgegengehalten. Wo Angebot und Nachfrage nicht an den Grenzen der Kontinente Halt machen, ist von großräumigeren – bis hin zu globalen – Märkten auszugehen. So ist die Europäische Kommission in ihrer Entscheidungspraxis im Hinblick auf zahlreiche Produkte vom Bestehen von Weltmärkten ausgegangen. Als Beispiele seien hier Rohöl, Computer-Betriebssysteme, Navigationssoftware, Rückversicherungen, Flugzeuge und Hubschrauber genannt.

In jüngerer Zeit ist die Forderung nach einer großzügigeren Fusionskontrollpraxis vermehrt auf den Wunsch gestützt worden, auf diesem Wege die Bildung “europäischer Champions” zu fördern, die die für eine erfolgreiche internationale Wirtschaftstätigkeit erforderliche Größe aufwiesen. Freilich wird eine Fusion ohnehin nur untersagt, wenn sie erhebliche Wettbewerbsprobleme – insbesondere in Gestalt einer marktbeherrschenden Stellung – hervorbringt. Wer demgegenüber für eine großzügigere Fusionskontrollpraxis plädiert, wünscht offenbar die Genehmigung von Zusammenschlüssen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs, etwa zur Entstehung marktbeherrschender Stellungen, führen. Der Zweck – Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit – soll offenbar dieses Mittel heiligen.

Nun können Zweifel daran bestehen, dass Unternehmen wettbewerbsfähiger werden, wenn man sie durch Zulassung einer Fusion mit Konkurrenten vor heimischem Wettbewerb schützt. Die herkömmliche Wettbewerbstheorie geht von einem umgekehrten Zusammenhang aus: Unternehmen werden wettbewerbsfähiger, wenn sie im Wettbewerb stehen.

Der Forderung nach großzügigerer Zulassung von Fusionen zu “europäischen Champions” scheint unausgesprochen die Vorstellung zugrunde zu liegen, dass die so entstehenden Einheiten genügend Stärke haben, um Giganten aus Übersee – immer wieder ist von China, gelegentlich von den USA die Rede – Paroli bieten zu können. Unternehmen, die auf heimischen Märkten unter vermindertem Wettbewerbsdruck stehen, können – dieser Gedanke scheint dem Argument zugrunde zu liegen – Ressourcen bilden, um ihren Konkurrenten aus anderen Weltregionen auf überseeischen Märkten wirksam Kunden abzujagen. Eine solche Strategie erscheint freilich aus wettbewerbspolitischer Sicht fragwürdig: Sollen Gewinne, die aus einer marktmachtbedingten Ausbeutung von Verbrauchern auf Heimatmärkten resultieren, zur Quersubventionierung von Absatzoffensiven auf anderen Märkten eingesetzt werden? Wenn Unternehmen aus anderen Regionen solche Praktiken einsetzen, wird dies oft als unfair empfunden. Von Marktbeherrschern praktizierte Quersubventionspraktiken gelten im europäischen Kartellrecht als Marktmachtmissbrauch.

Der deutsche und der französische Wirtschaftsminister haben schließlich die Schaffung der Möglichkeit einer “europäischen Ministererlaubnis” ins Spiel gebracht. Tatsächlich ist nach deutschem Kartellrecht der Bundeswirtschaftsminister zur ausnahmsweisen Genehmigung eines zuvor vom Bundeskartellamt untersagten Zusammenschlusses befugt, wenn die Wettbewerbsbeschränkung “von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist” (§ 42 Abs. 1 S. 1 GWB). Allerdings bildet die Ministererlaubnis im deutschen Recht die Möglichkeit zur Korrektur einer von einer unabhängigen Wettbewerbsbehörde, d. h. von Beamten getroffenen Entscheidung. Im Verfahren der europäischen Fusionskontrolle entscheidet demgegenüber die Kommission als Kollegialorgan. Es sind also anders als im deutschen Recht bereits Politiker – die europäischen Kommissarinnen und Kommissare –, die die verbindliche Entscheidung über die Freigabe oder Untersagung eines Zusammenschlusses treffen. Die politische Besetzung des Entscheidungsgremiums könnte eine Erklärung dafür bieten, dass es außerordentlich selten zur Untersagung von Zusammenschlüssen kommt. Im Durchschnitt der letzten Jahre ist es zu nicht mehr als einer Untersagung pro Jahr – bei jährlich deutlich über 300 angemeldeten Zusammenschlüssen – gekommen. Auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass manche der zahlreichen Freigabeentscheidungen nur unter Auflagen oder Bedingungen ergehen, ergibt sich im Ganzen nicht das Bild einer übermäßig strengen Verbotspraxis der Kommission. Ein Bedürfnis für eine Korrektur der Kommissionspraxis durch eine zusätzlich einzuführende “Ministererlaubnis” ist daher vom hier eingenommenen Standpunkt aus nicht zu konstatieren.

Prof. Dr. Daniel Zimmer ist Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn. Von 2012 bis 2016 war er Vorsitzender der Monopolkommission.

 
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