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BB 2022, I
Kredel/Kresken 

Ein Kartellrecht “mit Klauen und Zähnen” – mehr Schaden als Nutzen?

Abbildung 1

Abbildung 2

Ein verschärftes Kartellrecht – jedenfalls in Bezug auf die Tankstellenpreise wohl eher in “zahnloser Papiertiger”.

Ungeachtet des Tankrabatts steigen die Tankpreise weiter und damit der Druck auf die Politik. Nachdem sich Idee der Übergewinnsteuer mangels politischer Mehrheit nicht durchsetzen ließ, soll nun das Kartellrecht verschärft werden. Dem Eckpunktepapier des Bundeswirtschaftsministeriums, das Mitte Juni 2022 veröffentlicht wurde, liegen drei Maßnahmen zugrunde.

Primär fällt die Entflechtungsmöglichkeit ins Auge. Das Bundeskartellamt soll in Zukunft die Möglichkeit erhalten, als ultima ratio in konzentrierten Märkten eine Entflechtung (oder “Zerschlagung”) marktbeherrschender Unternehmen vornehmen zu können. Auf diese Weise könnten u. a. bestimmte Geschäftsbereiche eines Unternehmens oder bestimmte Tochtergesellschaften abgespalten werden.

Die Idee ist nicht neu, sondern war bereits Gegenstand des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und FDP im Jahr 2009. Sie ist damals zu Recht gescheitert. Denn neben marktwirtschaftlichen Bedenken bestehen vor allem verfassungsrechtliche Vorbehalte: Eine Entflechtung stellt einen gravierenden Eingriff in das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG dar. Unabhängig von der Frage, ob eine Entflechtung als Enteignung oder als Inhalts- und Schrankenbestimmung anzusehen ist, wäre in jedem Fall eine Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 GG (analog) zu gewähren. Eine Entflechtung wäre daher mit hohen Kosten für die Staatskasse verbunden. Darüber hinaus wäre ein Entflechtungsprozess langwierig.

Ferner stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Entflechtung zur europäischen Fusionskontrolle, für die ein Anwendungsvorrang gegenüber dem Kartellrecht der Mitgliedstaaten besteht. Die europäische Fusionskontrolle sieht vor, dass eine marktbeherrschende Stellung nur beseitigt werden darf, wenn sie durch einen Zusammenschluss verursacht wird.

Schließlich bleibt die Frage nach der Durchsetzbarkeit einer Entflechtungsanordnung, insbesondere wenn das betroffene Unternehmen außerhalb Deutschlands ansässig ist. Denn eine vergleichbare Regelung gibt es auf europäischer Ebene nicht.

Daneben sieht das Eckpunktepapier vor, dass die Vorteilsabschöpfung für das Bundeskartellamt leichter anwendbar sein soll. Bisher ist eine Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB nur möglich, wenn das Bundeskartellamt einen vorsätzlich oder fahrlässig begangenen Kartellverstoß oder Marktmachtmissbrauch nachweisen kann. Nach der Neuregelung soll schon beim Vorliegen von Indizien, die eine Kartellabsprache oder einen Marktmachtmissbrauch nahelegen, vom Vorliegen eines schuldhaften Kartellrechtsverstoßes ausgegangenen werden, ohne dass es eines konkreten Nachweises bedarf. Es soll vielmehr eine “Beweislastumkehr” (so Habeck im DLF) stattfinden, wonach das Unternehmen nachweisen muss, keinen Kartellrechtsverstoß begangen zu haben. Wie dieser Nachweis in der Praxis geführt werden soll, ist unklar.

Auf diese Weise würde der eigentliche Zweck der Vorteilsabschöpfung – die Verhütung von Kartellrechtsverstößen – konterkariert. Unternehmen, die sich nicht entlasten können, würden allein aufgrund ihres erfolgreichen Wirtschaftens sanktioniert, ohne einen Kartellrechtsverstoß begangen zu haben. Darüber hinaus würde dies zu einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit für eine Vielzahl von Unternehmen führen.

Schließlich soll auch ein Verschulden seitens der Unternehmen nicht mehr erforderlich sein. Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis zu anderen höher und gleichrangingen Normen wie § 33 EnWG auf – einer vergleichbaren Regelung zur Vorteilsabschöpfung im Energiewirtschaftsgesetz. Denn diese erlaubt eine Vorteilsabschöpfung nur, wenn ein Verschulden der Unternehmen vorliegt. Liegt hingegen ein Kartellrechtsverstoß als Anknüpfungstat vor, existiert mit § 29a OWiG bereits die Möglichkeit, Geldbeträge einzuziehen, ohne dass Verschulden vorliegt.

Die dritte geplante Maßnahme betrifft die Sektorenuntersuchung nach § 32e GWB. Diese kann derzeit durchgeführt werden, wenn starre Preise oder andere Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht wird. Wird eine solche negative Wirkung auf den Markt nachgewiesen, kann sich ein Kartellverfahren oder Missbrauchsverfahren anschließen.

Nach der Neuregelung sollen anscheinend schon unmittelbar aus der Sektorenuntersuchung selbst Maßnahmen wie die missbrauchsunabhängige Entflechtung abgeleitet werden können. Auf diese Weise könnte unmittelbar nach der Sektorenuntersuchung ein Entflechtungsverfahren gegen die Unternehmen durchgeführt werden, selbst wenn gegen die Unternehmen mangels Verdachts kein Missbrauchsverfahren eingeleitet wurde. Auch diese angedachte Verknüpfung wirft verfassungsrechtliche Bedenken auf.

Der Bundeswirtschaftsminister möchte ein “Kartellrecht mit Klauen und Zähnen” (so Habeck im DLF) – der Gesetzesentwurf darf somit mit Spannung erwartet werden. Es bleibt zu hoffen, dass er den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung trägt und die gravierenden Folgen für die Unternehmen in der Praxis berücksichtigt. Die derzeitige Situation an den Tankstellen wird er in jedem Fall nicht verbessern, da die Umsetzung der angedachten Maßnahmen Monate dauern wird. Jedenfalls in Bezug auf die Tankstellenpreise handelt es sich bei den angedachten Maßnahmen wohl eher um einen “zahnlosen Papiertiger”.

Dr. Nicolas Kredel (li.), LL.M., RA, ist Partner bei Baker McKenzie am Standort Düsseldorf. Er leitet die EMEA Antitrust & Competition Practice Group von Baker McKenzie sowie die globale Future Mobility Group der Kanzlei. Er berät Mandanten in Angelegenheiten des EU- und deutschen Kartellrechts, einschließlich nationaler und internationaler Kartelluntersuchungen, Fusionskontrollverfahren und Fälle von Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.

Jan Kresken (re.), LL.M., RA, ist Counsel im Bereich Kartellrecht bei Baker McKenzie am Standort Düsseldorf. Er berät regelmäßig im europäischen und deutschen Fusionskontroll- und Kartellrecht sowie in Missbrauchsverfahren.

 
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