Insolvenz im Spannungsfeld zwischen nachhaltiger Sanierung und vermeintlichem Kalkül
Eine Sanierung ermöglicht – wenn sie rechtlich durchführbar ist – nur unter bestimmten Voraussetzungen den nachhaltigen Neustart eines kriselnden Unternehmens.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt und in einzelnen Branchen gerät die Insolvenz – vor allem das Schutzschirmverfahren – in den Verdacht, als Wettbewerbsvorteil missbraucht zu werden. Doch auch wenn sich Unternehmen mit Hilfe des Insolvenzrechts von Verbindlichkeiten und Altlasten befreien können, schafft eine Sanierung – wenn sie rechtlich möglich ist – nur unter bestimmten Voraussetzungen die Basis für den nachhaltigen Neustart eines kriselnden Unternehmens.
Es wirkt fast so, als ob Insolvenzen derzeit groß in Mode sind – zumindest, wenn man sich die Liste der Unternehmen aus dem Textilhandel anschaut, die in diesem und dem vergangenen Jahr ein Insolvenz- oder Sanierungsverfahren beantragt haben. Darunter sind zahlreiche prominente Namen, von denen sich einige – wie etwa Peek & Cloppenburg – zum ersten Mal mit Hilfe der Instrumente des Insolvenzrechts neu aufstellen. Es gibt aber auch Händler wie Gerry Weber, Hallhuber oder Galeria Karstadt Kaufhof, die nach einer eigentlich abgeschlossenen Sanierung in einem ersten Verfahren nun eine sogenannte Zweitinsolvenz durchlaufen.
Oder anders formuliert: Die erste Sanierung war allem Anschein nach nicht so nachhaltig, dass die Unternehmen danach den erneuten Gang zum Insolvenzgericht vermeiden konnten. Oder steckt doch – wie von Einzelnen gemutmaßt – hinter so mancher Insolvenz ein Kalkül? Nach dem Motto: Wenn die ganze Branche in die Insolvenz geht, kann ich das ja ohne Reputationsverlust mit meinem Unternehmen auch tun?
Grund genug also, sich mit den Möglichkeiten des Insolvenzrechts und der Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen zu befassen. Das haben wir als Kanzlei im Rahmen einer großangelegten Untersuchung im Frühjahr des Jahres 2022 getan (www.nachhaltige-unternehmenssanierung.de). Aus den Erkenntnissen lassen sich auch Rückschlüsse auf die heutige Situation ziehen.
Wirtschaftliche Notwendigkeit
Bevor wir dazu kommen, wollen wir uns aber dem vermeintlichen Insolvenz-Kalkül widmen. Fakt ist: Ein Insolvenzverfahren setzt voraus, dass das Unternehmen entweder (drohend) zahlungsunfähig und/oder aber überschuldet ist. Das heißt: Ein prosperierendes Unternehmen kann niemals sagen: Ich gehe in ein Insolvenzverfahren – etwa, weil das jetzt alle machen und ich ansonsten ins Hintertreffen gerate. Eine Sanierung mit Hilfe des Insolvenzrechts ist nur dann sinnvoll und möglich, wenn eine wirtschaftliche Notwendigkeit besteht.
Unsere Untersuchung zeigt klar, dass in einem solchen Fall sowohl das Regelinsolvenzverfahren als auch die Eigenverwaltung mit und ohne Schutzschirmverfahren für nachhaltige Unternehmenssanierungen stehen. Auch wenn die Auswertung der Daten für den Zeitraum bis Ende 2022 erst im zweiten Halbjahr 2023 erfolgen kann, gibt es trotz prominenter Zweitinsolvenzen keine Anzeichen dafür, dass sich das grundsätzlich geändert hat.
Strategie für den Neustart
Allerdings ist und bleibt eine Unternehmenssanierung auch mit den Möglichkeiten des Insolvenzrechts alles andere als ein Selbstläufer und auch kein Allheilmittel. Kriselnde Unternehmen können sich damit zwar von Verbindlichkeiten und Altlasten befreien, aber wenn die Strategie für den Neustart fehlt, steht man wirtschaftlich gesehen bald wieder mit dem Rücken zur Wand.
Das bestätigt auch eine weitere wichtige Erkenntnis unserer Untersuchung: Der überwiegende Anteil der identifizierten Zweitinsolvenzen ist innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Erstinsolvenz erfolgt. Es zeigt sich also relativ schnell, ob ein Unternehmen nachhaltig saniert und durch das Insolvenz-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren die Krisenursachen beseitigt wurden. Sind nach einer Sanierung mehr als fünf Jahre vergangen, sind bei einem sanierten Unternehmen in der Regel die Ursachen überwunden, die zur Erstinsolvenz geführt haben.
Zweite Chance beim ersten Mal nutzen
Es ist wichtig und richtig, dass Unternehmen die Sanierung mit Hilfe eines Regelinsolvenz- oder Eigenverwaltungsverfahrens mit und ohne Schutzschirmverfahren als zweite Chance sehen und ergreifen. Die Tatsache, dass in vielen Bereichen inzwischen eine Insolvenz genauso – also als zweite Chance – und nicht mehr als das automatische und zwangsläufige Ende einer Unternehmensgeschichte wahrgenommen wird, ist eine positive Entwicklung. Es ist jedoch immer wichtig, in einer Sanierung die Ursachen anzugehen, die zur Insolvenz geführt haben und dass man die zweite Chance beim ersten Mal nutzt. Denn – und auch das zeigt unsere Untersuchung: Unternehmen, die innerhalb von fünf Jahren nach der Erstinsolvenz erneut einen Insolvenzantrag stellen müssen, werden in dieser Zweitinsolvenz fast 1,5-mal häufiger abgewickelt als saniert.
Das belegt auch, wie bedeutend es ist, dass Unternehmen eine Sanierung besser direkt angehen, wenn sich eine Krise abzeichnet, als abzuwarten und weiterzumachen wie bisher. So hart es klingt: Zu spät kann in diesen Zeiten das “totale Aus” bedeuten! Die Devise lautet in jeden Fall: Im Krisenfall schnell handeln und keine Zeit verlieren!
Fazit
Eine Sanierung mit Hilfe der Instrumente des Insolvenzrechts kann Unternehmen in einer wirtschaftlichen Schieflage die Chance für einen nachhaltigen Neustart bieten. Jedoch ist eine Sanierung alles andere als ein Selbstläufer und auch kein Allheilmittel – gerade dann nicht, wenn die notwendige Strategie für den Neustart fehlt.
Tobias Hartwig, (li.), MBA, ist Diplom-Wirtschaftsjurist (FH) und leitet bei Schultze & Braun die Standorte Hannover und Braunschweig. Er wird regelmäßig von Gerichten in Niedersachsen, Brandenburg und Berlin als Insolvenzverwalter bestellt und hat mit seinem Team bereits zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe erfolgreich bei ihren Sanierungsverfahren begleitet.
Michael Böhner, (re.), RA, ist bei Schultze & Braun in den Bereichen Restrukturierung und Rechtsberatung tätig. Er ist spezialisiert auf Restrukturierungsverfahren in Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren.