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BB 2018, I
Haarmann 

Ist der Mantelkauf ein Missbrauch? Die Verlustnutzung muss möglich sein!

Abbildung 1

Die Nutzung von Verlusten einer Kapitalgesellschaft bei Anteilsübertragungen ist ein Thema mit Geschichte. Zunächst wertete die langjährig gefestigte Rechtsprechung des RFH, später des BFH, sog. Mantelkäufe als missbräuchlich. Erstmals 1966 stellte der BFH dabei auf den Verlust der wirtschaftlichen Identität des Unternehmens ab (15.2.1966 – I 112/63, BB 1966, 569). 1986 gab der BFH seine Rechtsprechung auf, indem er lediglich die rechtliche Identität unabhängig von der wirtschaftlichen als Voraussetzung für die Verlustnutzung heranzog (29.10.1986 – I R 202/82, BB 1987, 185; 29.10.1986 – I R 318-319/83, BB 1987, 183). Daraufhin nahm der Gesetzgeber in § 8 Abs. 4 KStG a. F. eine Regelung auf, die eine dort definierte wirtschaftliche Identität wiederum zur Voraussetzung machte. Diese Klausel führte wegen ihrer ungenauen Formulierung zu mehreren Urteilen des BFH, die nicht den Gefallen der Verwaltung fanden. Der Gesetzgeber verabschiedete dann mit § 8c KStG eine Radikallösung. Die Norm löste Proteste in der Wirtschaft aus, die schließlich zu einer erneuten gewissen Annäherung des § 8d KStG an den alten § 8 Abs. 4 KStG a. F. führten.

Glücklicherweise hat das BVerfG nunmehr § 8c KStG für verfassungswidrig erklärt, wenn es zu keiner mehrheitsbeschaffenden Anteilsübertragung kommt (29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BB 2017, 1173 Ls). Darüber hinaus wird sich das BVerfG nach einer Vorlage des FG Hamburg nun mit dem Fall des Mehrheitserwerbs beschäftigen müssen (29.8.2017 – 2 K 245/17, BB 2017, 2654). In seinem Vorlagebeschluss geht das FG Hamburg davon aus, dass ein Mantelkauf ein typischer Missbrauchsfall sei. Ein Mantelkauf sei gegeben, wenn eine Kapitalgesellschaft mit Verlustvorträgen, aber ohne Geschäftsbetrieb und nennenswertes Betriebsvermögen von einem Investor mit einer neuen gewinnträchtigen Aktivität gefüllt wird, um die Verluste nutzbar zu machen.

Es wird vor dem Hintergrund dieses Beschlusses Zeit, sich des Themas “Mantelkauf” vorbehaltlos anzunehmen. Der Bilanzverlust von Unternehmen mit aktivisch berücksichtigten Verlustvorträgen aufgrund der Steuersatzsenkung in den USA zeigt, dass Verlustvorträge einen Wert darstellen. Den Wert eines solchen Aktivums zu heben, ist eine vernünftige, nicht missbräuchliche Maßnahme. Verlustvorträge basieren auf wirtschaftlichen Verlusten. Da der Staat an Gewinnen von Unternehmen partizipiert, ist eine Teilhabe an Verlusten nur fair. Diese Fairness muss dazu führen, dass Maßnahmen, die Verluste steuerlich nutzbar machen, legitim sind. Nur so kommt es zur Gleichbehandlung von Gründern einer Ein-Produkt-GmbH und eines diversifizierten Großkonzerns. Während der Konzern Verluste aus einem Produkt in anderen, gewinnträchtigen Bereichen nutzen kann, kann dies der Gründer der Ein-Produkt-GmbH nicht. Die GmbH wird freiwillig oder zwangsweise liquidiert. Der steuerliche Verlust bleibt ungenutzt. Der Verkauf einer Gesellschaft mit Verlusten und die Nutzung der Verluste in der Hand des Erwerbers ist daher die faire Nutzung eines wirtschaftlichen Aktivums, ermöglicht durch die Veräußerung der Anteile der Gesellschaft.

Der Missbrauchseinwand der Politik hängt vorrangig mit den fiskalischen Interessen der öffentlichen Körperschaften zusammen, nicht an Verlusten partizipieren zu müssen. Eine Verlustnutzung davon abhängig zu machen, ob ein Geschäftsbetrieb noch besteht oder wer die Anteile hält, ist rational nicht zu begründen. Verluste sind keine Steuerschlupflöcher oder -vermeidungswerkzeuge, sie entstehen durch nicht erfolgreiches wirtschaftliches Handeln und werden finanziert.

Die Verlustvernichtungsbestimmungen bei Anteilsverkäufen sind, wie die Mindestbesteuerung, Instrumente, die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG, dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Prinzip der Folgerichtigkeit nicht in Einklang stehen.

In der BRD wurden – insbesondere in der Kohlewirtschaft und in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung – riesige Verlustvorträge aufgebaut. Durch die Mindeststeuer wurde der Abbau der Verlustvorträge gebremst. Es dürfte heute fiskalisch nicht machbar sein, Verluste der Vergangenheit auf einmal und ohne Differenzierung plötzlich ungebremst nutzen zu können. Ab einem Stichtag könnten aber neu entstehende Verluste einer Kapitalgesellschaft vollständig abzugsfähig sein. Ggf. könnte die Mindeststeuer über 20 Jahre schrittweise abgebaut werden. Vor dem Stichtag entstandene große Verluste können aus fiskalischen Gründen nur über einen langen Zeitraum langsam abgebaut werden.

Ohne Verlustvernichtungsbestimmungen bei Übertragung von Anteilen und ohne Mindeststeuer wird unternehmerisches Handeln in einer Kapitalgesellschaft fair, gleich und leistungsgerecht behandelt. Unternehmensgründungen werden gefördert, da der Staat sich an Gewinnen und Verlusten beteiligt. Vor diesem Hintergrund sind Mantelkäufe niemals missbräuchlich, sondern ein legitimes Mittel, um den Staat an erlittenen Verlusten zu beteiligen, wenn die Nutzung der Verluste anders wirtschaftlich unmöglich ist.

Wenn das BVerfG § 8c S. 2 KStG a. F. für verfassungswidrig erklären sollte, fallen wir auf den Zustand der BFH-Entscheidungen vom 29.10.1986 (s. o.) zurück, wonach es für die Verlustnutzung (richtigerweise) nur auf die rechtliche Identität ankommt. Selbst wenn das BVerfG anders entscheiden sollte, sollte der Gesetzgeber darüber nachdenken, im Sinne der Förderung des Unternehmertums und im Sinne der Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten und damit der Fairness gegenüber risikobereiten Unternehmern die Verlustnutzung durch Mantelkäufe ab einem Stichtag generell zu ermöglichen.

Prof. Dr. Wilhelm Haarmann, RA/WP/StB, ist Partner der Sozietät Linklaters LLP. Er ist spezialisiert auf Steuer- und Gesellschaftsrecht, M&A, Vorstands- und Aufsichtsratsberatung sowie Schiedsverfahren.

 
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