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Omlor 

Libra – Geld im Zeichen der Waage

Abbildung 1

Eine Gesellschaft, die auf Arbeitsteilung basiert und Privateigentum zumindest rudimentär anerkennt, kommt nicht ohne die Nutzung von Geld aus. Geld ist ein schillerndes Phänomen, das nicht nur Juristen, sondern ebenso Ökonomen, Philosophen, Psychologen, Soziologen und Historiker seit Jahrhunderten intensiv beschäftigt. Auch die Erscheinungsformen des Geldes waren und sind vielfältig: Steingeld aus Aragonit (“Pálan”), Muscheln wie die berühmte Kaurimuschel (präzise: Kaurischnecke), sakrale Gegenstände, Münzen, Papiergeld, auf Konten verbuchte Forderungen (Buchgeld) und – zumindest perspektivisch – Datensätze in einer dezentralen Datenbank (Blockchain-Token). Letztere waren bis vor kurzer Zeit vor allem mit der Bitcoin-Blockchain verbunden.

Die Geldgeschichte könnte jedoch vor einem erneuten Wendepunkt stehen, welcher ähnlich umwälzend wirkt wie der Übergang vom Primitivgeld zur Münze, vom Metallismus zum Anti-Metallismus (Knapp) oder vom Bargeld zum Buchgeld. Ein Netzwerk von bis zu 100 Unternehmen und Organisationen hat sich unter der Führung von Facebook in der Libra Association mit Sitz in Genf zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, im kommenden Jahr eine neue “Währung” namens Libra auf Basis der Blockchain-Technologie zu erschaffen. Im Unterschied zu den bisherigen Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether soll Libra über reale Vermögenswerte, die sog. Libra-Reserve, abgesichert werden. In dieser Libra-Reserve sollen Bankeinlagen und kurzfristige Staatsanleihen aus einem Währungskorb enthalten sein. Im Libra-Whitepaper (abrufbar unter libra.org) wird zwar ein expliziter Bezug zum früheren Goldstandard hergestellt, von einem echten Anspruch des Libra-Inhabers auf Ausschüttung eines Teils der Libra-Reserve ist jedoch nicht die Rede. Im Ergebnis soll Libra eine “einfache, globale Währung und eine finanzielle Infrastruktur für Milliarden von Menschen bereitstellen” (Libra-Whitepaper). Zur Zielgruppe werden besonders die Teile der Weltbevölkerung gezählt, die bislang keinen Zugang zum Finanzsystem haben.

Anders als Bitcoins, denen ein gewisser anarchischer Zungenschlag eigen ist, dürfte Libra wegen der Marktmacht der dahinterstehenden Unternehmen ernsthafte Etablierungschancen aufweisen. Wer als China-Reisender die rasante Verbreitung von Alipay und WeChat Pay mitverfolgt hat, konnte einen Eindruck gewinnen, welche Zukunftsperspektiven einer Libra-Zahlung mittels WhatsApp und Facebook Messenger mit rund 2,7 Milliarden Nutzern weltweit offenstehen könnten. Bar- oder Kartenzahlungen wurden im chinesischen Alltag sehr weitgehend verdrängt; spätestens mit dem Anbieten solcher Zahlungsmittel am chinesischen Point-of-Sale offenbart man eine unzureichende Ortskunde. Ohne Zweifel ist mit diesem Siegeszug des App-basierten Mobile Payment ein sichtbares Datenschutzproblem verbunden. Die Abwägung von Privatsphäre gegen Komfort und Einfachheit im Alltag stellt sich jedoch als individuelle Wertung dar, die je nach Weltregion unterschiedliche Tendenzen aufweisen kann. Selbst die außergewöhnliche Bargeldliebe der Deutschen hat zuletzt Rückschläge beim Zahlverhalten an der Ladenkasse hinnehmen müssen.

Der Name “Libra” entspricht der lateinischen und auch im Englischen gebräuchlichen Bezeichnung des Sternzeichens Waage. Ob damit zugleich die horoskopischen Eigenschaften wie Ausgeglichenheit und Harmoniebedürftigkeit verbunden sein sollen, steht – auch im sprichwörtlichen Sinne – noch in den Sternen. Libra sieht sich jedoch schon jetzt weitgehender Kritik bis Ablehnung namentlich durch die bedeutendsten Zentralbanken dieser Welt ausgesetzt. Insbesondere Risiken für den Datenschutz, die Bekämpfung der Geldwäsche, die Effektivität der Geldpolitik sowie Demokratie und Rechtsstaat werden angeführt. In der Tat stehen wir am Beginn einer politischen, rechtspolitischen wie rechtswissenschaftlichen Debatte um private Zahlungsmittel ohne oder mit nur geringem staatlichem Einfluss.

Diese Debatte sollte ergebnisoffen geführt werden. Unsere Geldgeschichte von mehr als zwei Jahrtausenden ist geprägt durch die Leitmotive der Entmaterialisierung und zuletzt verstärkt auch der Privatisierung. Reflexartige Abwehrrhetorik gilt es zu vermeiden. Stattdessen erscheint es erwägenswert, auf mögliche Defizite des bestehenden Zahlungssystems konstruktiv mit der Entwicklung eines staatlichen Alternativmodells auf Blockchain-Basis oder eines privaten Konkurrenzangebots auf dem Boden des europäischen Datenschutzrechts zu reagieren. Benannt wird häufig der Wunsch, die Transaktionskosten bei grenzüberschreitenden Geldtransfers mit verschiedenen Währungen zu reduzieren oder mobile Zahlungen komfortabler wie effizienter zu gestalten. Die pseudonyme (nicht: anonyme) Blockchain könnte zeigen, dass bargeldlose Zahlungen nicht notwendig mit einer Totalaufgabe der eigenen Privatsphäre einhergehen müssen. Den Staaten kommt insofern eine Gestaltungsaufgabe zu. Gedankenspiele zu hoheitlichen Blockchains im Zahlungsverkehr (“Euro-Blockchain”) zirkulieren seit einiger Zeit nicht nur auf Seiten der Zentralbanken. Zudem sollte auf ein transnationales Phänomen, wie es Kryptowährungen darstellen, auch eine transnationale Antwort gefunden werden; ein UNCITRAL Modellgesetz, inspiriert durch G20-Richtlinien, wäre hierzu geeignet.

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur., Direktor des Instituts für das Recht der Digitalisierung (www.irdi.institute) an der Philipps-Universität Marburg. Bearbeiter u. a. des Geld- und Zahlungsdiensterechts im Staudinger, Mitherausgeber des FinTech-Handbuchs und der BKR.

 
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