Ob und inwieweit Änderungsbedarf auf Ebene der Zielbestimmungen besteht, lässt sich nur auf Grundlage einer genaueren Analyse des Ist-Zustands bestimmen. Wenn man nicht weiß, welches die Ziele sind, denen der Rechtsrahmen dient, und was sie bedeuten, verbietet sich eine Aussage darüber, ob er diese Ziele erreicht und welcher Änderungsbedarf ggf. besteht.
1. Zielkatalog
Die in Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Rahmenrichtlinie vorgegebenen Ziele beanspruchen grundsätzlich Geltung als finale Leitschnur für sämtliche Maßnahmen der nationalen Regulierungsbehörden, die diese auf Grundlage des Rechtsrahmens ergreifen.17 Denn nach Art. 8 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 der Rahmenrichtlinie sorgen die Mitgliedstaaten „dafür, dass die nationalen Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung der in dieser Richtlinie und den Einzelrichtlinien festgelegten regulatorischen Aufgaben alle angezeigten Maßnahmen treffen, die den in den Absätzen 2, 3 und 4 vorgegebenen Zielen dienen“.18 Mit einem solchen Verständnis als Leitschnur für sämtliche Maßnahmen der Regulierungsbehörden deckt es sich, dass die Zielvorgaben das Kapitel III der Rahmenrichtlinie über die „Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden“ einleiten, ohne auf ein bestimmtes Tätigkeitsgebiet beschränkt zu sein.
Zu klären ist aber des Weiteren durch eine Auslegung der (richtlinien-) rechtlichen Vorgaben, welche Zielvorstellungen im Einzelnen hinter den Regulierungszielen stehen. Dabei sind sowohl die richtlinienrechtliche Ausgestaltung als auch der jeweilige primärrechtliche Hintergrund in den Blick zu nehmen. Wichtiger Anhaltspunkt für die Bestimmung des Zielgehalts sind die Vorgaben in Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Rahmenrichtlinie. Sie beschränken sich gerade nicht darauf, die drei Ziele zu nennen, sondern 7 führen beispielhaft19 aus, wodurch die nationalen Regulierungsbehörden dem jeweiligen Ziel dienen.20 Das lässt interpretative Rückschlüsse auf die hinter dem betreffenden Ziel stehenden Vorstellungen des Richtliniengesetzgebers zu.
a) Wettbewerbsziel
Nach Art. 8 Abs. 2 der Rahmenrichtlinie dienen die Regulierungsbehörden dem Wettbewerbsziel, indem sie u.a.
– „sicherstellen, dass für die Nutzer, einschließlich behinderter Nutzer, älterer Menschen und Personen mit besonderen sozialen Bedürfnissen, der größtmögliche Nutzen in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität erbracht wird“ (lit. a),
– „gewährleisten, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen oder -beschränkungen im Bereich der elektronischen Kommunikation, einschließlich der Bereitstellung von Inhalten, gibt“ (lit. b), und
– „für eine effiziente Nutzung der Funkfrequenzen und der Nummerierungsressourcen sorgen und deren effiziente Verwaltung sicherstellen“ (lit. d).
Es wird also zunächst die Maximierung des Nutzens für die Nachfrager nach öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdiensten betont, auf einen unverzerrten und unbeschränkten Wettbewerbsprozess abgestellt und die Notwendigkeit eines effizienten Umgangs mit knappen Gütern von elementarer Bedeutung für das Angebot elektronischer Kommunikationsdienste hervorgehoben.
Zur Form des Wettbewerbs, den die Regulierungsbehörden fördern müssen, trifft Art. 8 Abs. 2 der Rahmenrichtlinie keine Aussage. Aus Erwägungsgrund 19 S. 5 der Zugangsrichtlinie ergibt sich lediglich, dass die Belebung zugangsbasierten (Dienste-) Wettbewerbs nicht dazu führen 8 sollte, dass die Anreize für Investitionen in Alternativeinrichtungen entfallen, die langfristig einen stärkeren (Infrastruktur-) Wettbewerb sichern. Hierin dürfte zwar die Einschätzung des Richtliniengesetzgebers zum Ausdruck kommen, dass infrastrukturbasierter Wettbewerb letzten Endes grundsätzlich nachhaltiger sein dürfte als lediglich dienstebasierter Wettbewerb.21
Zugleich wird jedoch deutlich, dass sich hieraus kein normatives Vorrangverhältnis einer der beiden Wettbewerbsformen ergibt, sondern die Regulierungsbehörden lediglich bei ihren Entscheidungen den (komplementären und substitutiven) Zusammenhang zwischen Dienste- und Infrastrukturwettbewerb im Blick behalten müssen. Denn gerade auch Dienstewettbewerb kann namentlich durch die Verbreiterung der Angebotspalette und die Belebung der Endnutzermärkte,22 aber auch durch die Ermöglichung von Infrastrukturwettbewerb (etwa auf Grundlage einer durch Dienstewettbewerb erreichten Marktpräsenz23 oder durch die landesweite Arrondierung einer zunächst regional begrenzten Infrastruktur24) dazu beitragen, die Regulierungsziele zu erreichen. Er ist damit im System des Rechtsrahmens nicht per se weniger wichtig als Infrastrukturwettbewerb.25 Damit in Einklang steht es, wenn der Regulierungsgrundsatz in Art. 8 Abs. 5 lit. c der Rahmenrichtlinie zwar einerseits (nur) die Förderung von „infrastrukturbasierte[m] Wettbewerb“ ausdrücklich hervorhebt, diese den Regulierungsbehörden andererseits aber auch nur „gegebenenfalls“ vorgibt.
Aus primärrechtlicher Sicht dient der Wettbewerb nach der Rechtsprechung des EuGH dem öffentlichen Interesse, den einzelnen Unternehmen und den Verbrauchern.26 Gefordert werde dabei ein wirksamer Wettbe- 9 werb27.28 Ein solcher setze das Vorhandensein von so viel Wettbewerb voraus, dass die grundlegenden Forderungen des Vertrages erfüllt und seine Ziele, insbesondere die Bildung eines einzigen Marktes mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen, erreicht werden.29 Dabei beruhten die Wettbewerbsvorschriften des Primärrechts allerdings auf dem Grundgedanken, dass jeder Unternehmer seine Unternehmenspolitik, einschließlich der Bedingungen seines Angebots und des Kreises seiner Geschäftspartner, selbständig zu bestimmen hat.30 Dieses „Selbständigkeitspostulat“31 lässt darauf schließen, dass für den EuGH die Freiheit der Marktteilnehmer ein wesentlicher Bestandteil des Wettbewerbs ist.32 Dementsprechend betont der Gerichtshof, dass die Wettbewerbsregeln des Primärrechts nicht nur dazu bestimmt sind, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen.33 Das primärrechtliche Wettbewerbsrecht ist somit einerseits nicht allein auf die Konsumentenwohlfahrt bzw. auf die unmittelbaren Verbraucherinteressen ausgerichtet.34 Es schützt die Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs andererseits aber zu guter Letzt dann doch im mittelbaren Interesse der Verbraucher.35
10 Das Wettbewerbsziel umfasst somit die Sicherstellung eines unverfälschten und unbeschränkten Wettbewerbsprozesses, der letzten Endes dem öffentlichen Interesse, den einzelnen Unternehmen und den Verbrauchern dient, indem insbesondere den Nutzern der größtmögliche Nutzen in Bezug auf Auswahl, Qualität und Preise zukommt.
b) Binnenmarktziel
Dem Binnenmarktziel dienen die nationalen Regulierungsbehörden nach Art. 8 Abs. 3 der Rahmenrichtlinie, indem sie u.a.
– „verbleibende Hindernisse für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste sowie zugehöriger Einrichtungen und Dienste auf europäischer Ebene abbauen“ (lit. a),
– „den Aufbau und die Entwicklung transeuropäischer Netze und die Interoperabilität europaweiter Dienste sowie die durchgehende Konnektivität fördern“ (lit. b) und
– „untereinander sowie mit der Kommission und dem GEREK zusammenarbeiten, um die Entwicklung einer einheitlichen Regulierungspraxis und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie und der Einzelrichtlinien sicherzustellen“ (lit. d).
Dem Richtlinienrecht liegt also die Vorstellung zugrunde, dass es im Binnenmarkt keine Hindernisse für die unternehmerische Betätigung im Bereich der elektronischen Kommunikation gibt, dass grenzüberschreitende Netze und europaweite Dienste entstehen sowie eine durchgehende Konnektivität gegeben ist und dass durch prozedurale Vorkehrungen eine einheitliche Regulierungspraxis und Rechtsanwendung sichergestellt ist.
Das hierin zum Ausdruck kommende Leitbild weist enge Überschneidungen mit dem primärrechtlichen Hintergrund des Binnenmarktziels auf. Gemäß Art. 26 Abs. 2 AEUV umfasst der Binnenmarkt nämlich „einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Perso- 11 nen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“. Mit der Verwirklichung des Binnenmarktes sollen alle Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel beseitigt werden, um die nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt zu verschmelzen, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen.36 Ziel ist also die weitestgehende Beseitigung jedweder Binnengrenzen.37 Im Kern sollen durch die dauerhafte Etablierung eines solchen einheitlichen Marktes Kostenvorteile ausgenutzt und die vorhandenen Ressourcen optimal genutzt werden.38 Da zum Binnenmarkt auch ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt,39 umfasst das Binnenmarktziel überdies die Vermeidung bzw. Abschaffung verfälschter Wettbewerbsbedingungen.40
Ein besonders wichtiges Instrument zur dauerhaften Etablierung des Binnenmarktes ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten (Art. 114 AEUV).41 Unter dieser „Rechtsangleichung“ ist die Annäherung oder Anpassung an einen unionsrechtlich definierten Standard zu verstehen.42 Sie kann sich von einer Mindestharmonisierung über eine fakultative bzw. optionelle Anpassung bis zur vollständigen Angleichung (Totalharmonisierung) erstrecken.43 Die Rechtsangleichung ist als solche allerdings kein Selbstzweck, sondern auf das Binnenmarktziel 12 bezogen.44 Die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen reicht daher nicht aus, um die Harmonisierungskompetenz aus Art. 114 AEUV auszuüben.45 Erforderlich sind vielmehr Unterschiede zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die nicht lediglich abstrakt46 geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen oder den Wettbewerb spürbar47 zu verfälschen48 und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auszuwirken.49 Diesem Regelungsansatz liegt die – insbesondere im öko- 13 nomischen Schrifttum nicht unumstrittene50 – Vorstellung zugrunde, dass unterschiedliche mitgliedstaatliche Vorschriften Wettbewerbsverzerrungen51 und Hürden für die Ausübung der Grundfreiheiten zur Folge haben und dadurch das Binnenmarktziel beeinträchtigen.52 Durch die – wie gezeigt: in sehr unterschiedlichem Umfang denkbare – Harmonisierung sollen deshalb die rechtlichen Rahmenbedingungen in der EU so gestaltet werden, dass die Marktteilnehmer entweder überall gleiche Bedingungen vorfinden oder aber in ihren ökonomischen Entscheidungen durch bestehende Unterschiede nicht beeinflusst werden.53
Das Binnenmarktziel ist somit darauf gerichtet, u.a. durch die Herausbildung einer einheitlichen Regulierungspraxis und Rechtsanwendung54 alle Hindernisse für eine nicht an mitgliedstaatliche Grenzen gebundene Betätigung im Bereich der elektronischen Kommunikation zu beseitigen und die Entstehung grenzüberschreitender Netze und europaweiter Dienste sowie eine durchgehende Konnektivität zu fördern.
c) Bürgerziel
Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Rahmenrichtlinie dienen die nationalen Regulierungsbehörden schlussendlich dem Bürgerziel, indem sie u.a.
– „sicherstellen, dass alle Bürger gemäß der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie) Zugang zum Universaldienst erhalten“ (lit. a),
– „einen weit gehenden Verbraucherschutz in den Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern gewährleisten, insbesondere durch einfache, kostengünstige Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten; 14 diese Verfahren werden von einer von den Betroffenen unabhängigen Stelle durchgeführt“ (lit. b),
– „dazu beitragen, dass ein hohes Datenschutzniveau gewährleistet wird“ (lit. c),
– „für die Bereitstellung klarer Informationen sorgen, indem sie insbesondere transparente Tarife und Bedingungen für die Nutzung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste fordern“ (lit. d),
– „die Bedürfnisse bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere von behinderten Nutzern, älteren Menschen und Personen mit besonderen sozialen Bedürfnissen, berücksichtigen“ (lit. e),
– „sicherstellen, dass die Integrität und Sicherheit der öffentlichen Kommunikationsnetze gewährleistet sind“ (lit. f), und
– „die Endnutzer in die Lage versetzen, Informationen abzurufen und zu verbreiten oder beliebige Anwendungen und Dienste zu benutzen“ (lit. g).
Der Rechtsrahmen erfasst mit den Interessen der EU-Bürger also eine Vielzahl heterogener Abwehr- und Teilhabeanliegen, wobei neben Schutzinteressen wie den Verbraucherschutz, den Datenschutz und die Netzsicherheit insbesondere auch das Teilhabeinteresse an einer telekommunikativen Grundversorgung (Universaldienst) und das Interesse an einer Freiheit als – informierter – Nachfrager treten.
Bemerkenswert ist, dass zum Katalog von Art. 8 Abs. 4 der Rahmenrichtlinie nicht auch das Interesse an einem möglichst vielseitigen, möglichst preiswerten und möglichst hochwertigen Angebot gehört, das stattdessen in Art. 8 Abs. 2 lit. a der Richtlinie im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsziel genannt wird. Schon mit Blick auf den nicht abschließenden Charakter von Art. 8 Abs. 4 lit. a bis g der Rahmenrichtlinie („unter anderem“) kann allein hieraus jedoch nicht geschlossen werden, dass ein solches Interesse an attraktiven Angeboten zu niedrigen Preisen nicht auch 15 ein Interesse der EU-Bürger i.S.v. Art. 8 Abs. 4 ist.55 Vielmehr sind etwa niedrigere Preise regelmäßig für die betreffenden Leistungsabnehmer von Vorteil.56 Blickt man auf die Gesamtheit der EU-Bürger als zumindest potentielle Nachfrager nach Telekommunikationsdiensten liegt somit ein möglichst vielseitiges, möglichst preiswertes und möglichst hochwertiges Angebot auch im Bürgerinteresse.
Entsprechendes gilt für das Interesse der EU-Bürger an umfassenden Kommunikationsmöglichkeiten: Die Förderung einer durchgehenden Konnektivität wird lediglich in Art. 8 Abs. 3 lit. b der Rahmenrichtlinie als Handlungsvorgabe zur Erreichung des Binnenmarktziels genannt. Demgegenüber wird im Zusammenhang mit dem Bürgerziel allein die Möglichkeit einer Kommunikationsteilnahme explizit (in Art. 8 Abs. 4 lit. g) aufgeführt, die als solche auch dann gegeben wäre, wenn der einzelne Endnutzer nur mit einem Teil aller anderen Endnutzer kommunizieren könnte. Die Möglichkeit des einzelnen Endnutzers, (im Rahmen des technisch Möglichen) alle anderen Endnutzer telekommunikativ erreichen zu können (sog. „Ende-zu-Ende-Verbund“57), liegt aber nicht nur im objektiven (Binnenmarkt-) Interesse, sondern auch im Interesse der (End-) Nutzer. Der Nutzen, der für die Endnutzer mit einem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz verbunden ist, erhöht sich nämlich mit der eigenen Erreichbarkeit und der Erreichbarkeit anderer Endnutzer. Damit dient die Sicherstellung einer durchgehenden Konnektivität („Ende-zu-Ende-Verbund“) nicht nur dem Binnenmarkt-, sondern auch dem Bürgerziel, obwohl sie in Art. 8 Abs. 4 der Rahmenrichtlinie nicht genannt ist. Das wird bestätigt durch Erwägungsgrund 6 der Zugangsrichtlinie, wenn es 16 dort in S. 2 zunächst heißt, dass die nationalen Regulierungsbehörden befugt sein sollten, „den Zugang, die Zusammenschaltung und die Interoperabilität von Diensten im Interesse der Nutzer zu angemessenen Bedingungen sicherzustellen“,58 und S. 3 dann darauf abhebt, dass die Regulierungsbehörden durch die dort weiter bezeichneten Maßnahmen „insbesondere die Gewährleistung des End-zu-End-Verbunds“ sicherstellen können. Hierin kommt zum Ausdruck, dass auch nach Einschätzung des Richtliniengesetzgebers die Gewährleistung des Ende-zu-Ende-Verbunds im Interesse der Nutzer liegt. Sie dient damit auch dem Bürgerziel.
Im Gegensatz zum Wettbewerbs- und Binnenmarktziel fehlt dem Bürgerziel überdies eine unmittelbare Anknüpfung im Primärrecht. Im EUV und im AEUV finden sich zwar zahlreiche Regelungen zu den Bürgern der Union bzw. zu den Unionsbürgern, denen auch auf primärrechtlicher Ebene diverse Rechte eingeräumt werden. Hierbei handelt es sich allerdings um eher fundamentale Rechtspositionen, wie das Recht auf Freizügigkeit ( vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 20 Abs. 2 lit. a, Art. 21 AEUV), politische Mitbestimmung ( vgl. Art. 10 f. EUV, Art. 20 Abs. 2 lit. b, Art. 22 AEUV) und diplomatischen Schutz ( vgl. Art. 20 Abs. 2 lit. c, Art. 23 AEUV). Darüber hinaus wird bisweilen auch auf weitergehende Interessen der EU-Bürger Bezug genommen (siehe etwa Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 EUV), insbesondere auf das Interesse an den Vorteilen eines Raums (der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, siehe Art. 3 Abs. 2 EUV) ohne Binnengrenzen ( vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 170 Abs. 1 AEUV) und das Interesse an Gleichbehandlung ( vgl. Art. 9 S. 1 EUV).
Mangels einer entsprechenden Engführung auf richtlinien- oder primärrechtlicher Ebene ist das Bürgerziel somit letzten Endes fast konturlos weit gefasst. Es umfasst alle denkbaren Interessen der EU-Bürger. Hieraus folgt, dass auch das allein im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsziel richtlinienrechtlich explizit adressierte Interesse an attraktiven Angeboten zu niedrigen Preisen genauso vom Bürgerziel umfasst ist wie das allein als Handlungsvorgabe des Binnenmarkziels ausdrücklich normierte Interesse an einer umfassenden Konnektivität.
17 2. Investitionsgrundsatz
Wie bereits einleitend ausgeführt, ist ein spezifisches Investitionsziel demgegenüber nicht Bestandteil des Zielkatalogs in Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Rahmenrichtlinie. In der ursprünglichen Fassung von Art. 8 der Rahmenrichtlinie war (in Abs. 2 lit. c) noch vorgesehen, dass die nationalen Regulierungsbehörden dem Wettbewerbsziel auch dienen, indem sie „effiziente Infrastrukturinvestitionen fördern und die Innovation unterstützen“. Schon damals handelte es sich also nicht um eine Zielvorgabe, sondern um eine Handlungsmaßgabe für Maßnahmen zur Erreichung eines Regulierungsziels (nämlich des Wettbewerbsziels). Diese Vorgabe wurde mit der Überarbeitung des Rechtsrahmens im Jahr 2009 gestrichen59 und die Förderung effizienter Investitionen stattdessen in den Katalog der neu geschaffenen Regulierungsgrundsätze in Art. 8 Abs. 5 der Rahmenrichtlinie verschoben.
Aus dessen lit. d lässt sich nun implizit ableiten, dass die nationalen Regulierungsbehörden generell bei der Verfolgung der drei Regulierungsziele (aus Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie) u.a. „effiziente Investitionen und Innovationen im Bereich neuer und verbesserter Infrastrukturen … fördern“ müssen. Das ist bereits im Wortlaut angelegt, wenn es dort heißt, dass solche Investitionen und Innovationen „auch“ durch die Berücksichtigung des Investitionsrisikos und durch Zulassung von Kooperationsvereinbarungen zu fördern sind.60 Und es wird durch Erwägungsgrund 8 der „Bessere Regulierung“-Richtlinie als der maßgeblichen Änderungsrichtlinie aus dem Jahr 2009 bestätigt, in dem ganz allgemein die „ausschlaggebende Bedeutung“ betont wird, die der Förderung nachhaltiger Investitionen in neue Hochgeschwindigkeitsnetze zukommt.
Es bleibt somit einerseits dabei, dass die Förderung von Investitionen nur bei der Verfolgung anderer Zielvorgaben relevant wird, also ihrerseits kein (eigenständiges) Ziel der Regulierung ist.61 Denn während die Regu- 18 lierungsziele das Ziel des Weges beschreiben, den die Regulierung beschreiten soll, beschreiben die Regulierungsgrundsätze ihrer Konzeption zufolge den Weg zu diesem Ziel.62 Andererseits ist die entsprechende Handlungsvorgabe seit 2009 nicht mehr auf das Wettbewerbsziel beschränkt. Vielmehr geht der Rechtsrahmen seitdem davon aus, dass auch bei der Verfolgung des Binnenmarkts- und des Bürgerziels effiziente Investitionen zu fördern sind, allerdings mit der gegenüber 2002 neuen Einschränkung, dass sich diese Investitionen auf den „Bereich neuer und verbesserter Infrastrukturen“ beziehen müssen.
Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass die Investitionsförderung nach dem geltenden Rechtsrahmen keine Zielbestimmung ist, an der sich Maßnahmen der Regulierungsbehörden auszurichten hätten. Ihr kommt dennoch beachtliches Gewicht zu, da der Rechtsrahmen pauschalierend unterstellt, dass der Investitionsförderung bei der Verfolgung aller drei Regulierungsziele Bedeutung zukommt.
3. Verhältnis der Ziele zueinander
Die politischen Ziele, die dem geltenden Rechtsrahmen zugrunde liegen, stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind auf komplexe Weise miteinander verknüpft. Das zeigt sich schon an dem bereits dargelegten Beispiel des größtmöglichen Nutzens in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität. Dieser wird einerseits von Art. 8 Abs. 2 lit. a der Rahmenrichtlinie ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsziel genannt, wird andererseits aber auch vom Bürgerziel umfasst, soweit es sich bei den Nutzern um Bürger der EU handelt. Maßnahmen, die einem der drei Ziele dienen, können damit zugleich auch einem anderen der drei Ziele 19 dienen. Auf diese Zusammenhänge wird an späterer Stelle63 noch weiter einzugehen sein.
Das Verhältnis der Ziele untereinander wirft jedoch auch die Frage nach etwaigen Zielkonflikten und – in einem nächsten Schritt – nach normativen Vorgaben zur Auflösung solcher Zielkonflikte auf. Denn aus einer etwaigen Rangfolge oder Schwerpunktvorgabe auf Ebene der Zielbestimmungen kann sich ein Maßstab ergeben, auf dessen Grundlage sich genauer beurteilen lässt, ob der Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation seine Ziele erreicht und ob bzw. inwieweit hier Änderungsbedarf besteht.
Dabei wird verbreitet davon ausgegangen, dass es zwischen den einzelnen Zielbestimmungen zu Zielkonflikten kommen kann.64 Insbesondere zwischen dem Wettbewerbsziel und dem Bürgerziel in seinen unterschiedlichen Ausprägungen (etwa hinsichtlich der Verfügbarkeit eines Universaldienstes oder des Verbraucherschutzes) werden solche Konflikte für relevant erachtet.65 Die Zusammenhänge sind jedoch alles andere als unterkomplex. Für die Zwecke der vorliegenden Studie soll es daher mit dem Befund sein Bewenden haben, dass verbreitet Zielkonflikte zwischen den einzelnen Zielbestimmungen für möglich gehalten werden.
a) Allgemeine Vorgaben für das Zusammenspiel der Regulierungsziele
Ausdrückliche Aussagen zu einer etwaigen Gewichtung oder Priorisierung einzelner Regulierungsziele im Falle eines solchen Konflikts sind dem Rechtsrahmen nicht zu entnehmen.66 Selbst wenn man hinsichtlich der jeweiligen Umsetzungsmaßgaben bzw. Unterziele in den sprachlich abweichenden Vorgaben („sicherstellen“, „fördern“, „gewährleisten“, „dazu beitragen“, „berücksichtigen“ uzw.) implizite Gewichtungen erkennen 20 wollte,67 führt das jedenfalls für die drei Regulierungsziele selbst nicht weiter. Denn sowohl das Wettbewerbs- als auch das Bürgerziel verlangen von den nationalen Regulierungsbehörden, den jeweiligen Aspekt „zu fördern“, weisen insoweit also gerade keine Unterschiede auf. Und das Binnenmarktziel ist zwar sprachlich abweichend formuliert, indem es dazu auffordert, zur Entwicklung des Binnenmarktes beizutragen. Inwieweit sich hieraus eine stärkere oder schwächere Gewichtung ergeben könnte als aus einer Verpflichtung zur Förderung, ist jedoch nicht ersichtlich.68 Mit dem Befund fehlender Gewichtungsvorgaben steht denn auch im Einklang, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Abwägung zwischen den Zielen den nationalen Regulierungsbehörden zusteht,69 womit – zumindest mit Blick auf entsprechende Vorgaben des mitgliedstaatlichen Rechts – der generelle Vorrang eines dieser Ziele nicht vereinbar sei.70
Bisweilen wird allerdings darauf abgestellt, dass dem Binnenmarktziel ein besonderes Gewicht zukomme.71 In diese Richtung weist auch Art. 1 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, der unter der Artikelüberschrift „Geltungsbereich und Zielsetzung“ die Errichtung eines harmonisierten Rahmens für die Regulierung der elektronischen Kommunikation und die gemeinschaftsweit harmonisierte Anwendung des Rechtsrahmens hervorhebt. Für eine besondere Bedeutung des Binnenmarktziels könnte überdies sprechen, dass die Richtlinien des Rechtsrahmens vorrangig auf Art. 95 EG gestützt sind, also auf die Vorgängervorschrift zu Art. 114 AEUV und damit auf die Ermächtigungsgrundlage für Binnenmarktharmonisierungsrechtsakte.
Das lenkt allerdings den Blick auf eine Besonderheit des Binnenmarktziels: Während das Wettbewerbs- und das Bürgerziel materielle Handlungsvorgaben umfassen (also z.B. die Sicherstellung größtmöglichen Nutzens für die Nutzer, die Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen 21 oder die Schaffung von Kommunikationsmöglichkeiten für die Endnutzer), trifft das auf das Binnenmarktziel nur z.T. zu. Zwar umfasst es mit der Beseitigung von Hindernissen für die Bereitstellung von Angeboten im Bereich der elektronischen Kommunikation und mit der Förderung europaweiter Kommunikationsmöglichkeiten in Art. 8 Abs. 3 lit. a und b der Rahmenrichtlinie ebenfalls materielle Handlungsvorgaben. Die ausweislich Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie und ihrer primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage besonderes relevante Vorgabe der Schaffung und harmonisierten Anwendung eines einheitlichen Rechtsrahmens ( vgl. Art. 8 Abs. 3 lit. d der Rahmenrichtlinie) ist demgegenüber keine solche materielle Handlungsvorgabe. Sie besagt lediglich, dass die geltenden Regeln harmonisiert sein sollen. Sie besagt aber wie auch das Binnenmarktziel selbst nichts dazu, wie solche harmonisierten Regeln auszugestalten sind. Hierzu können sich normative Vorgaben ausschließlich aus den anderen Zielvorgaben des Rechtsrahmens ergeben. Mit anderen Worten: Das Binnenmarktziel ist insoweit auf die Ausgestaltungsvorgabe durch materielle Zielbestimmungen angewiesen.72 Es ist als Harmonisierungsziel selbst materiell weitgehend indifferent und fordert lediglich eine harmonisierte Verwirklichung materieller Zielvorgaben. Insoweit könnte man auch von einer modalen Zielvorgabe sprechen. Das Binnenmarktziel hält insoweit lediglich dazu an, das Wettbewerbs- und/oder Bürgerziel durch eine harmonisierte Anwendung eines einheitlichen Rechtsrahmens zu erreichen. Das Binnenmarktziel beansprucht demzufolge auch insoweit nicht Vorrang vor den beiden anderen Zielsetzungen, sondern zielt darauf ab, diese Zielsetzungen auf binnenmarktkompatiblem Weg zu erreichen.
Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass dem Rechtsrahmen keine belastbare Vorgabe für eine Gewichtung der drei primären Zielbestimmungen zu entnehmen ist, die allgemein zu beachten wäre, also bei allen Maßnahmen im Anwendungsbereich des Rechtsrahmens,73 neben der Marktregulierung somit auch z.B. bei Maßnahmen im Bereich des Verbraucher- und Datenschutzes, der Frequenz- und Nummernverwaltung und des Universaldienstes. Das Wettbewerbs-, das Binnenmarkt- und das Bürgerziel sind somit prinzipiell gleichrangig, so dass etwaige Zielkon- 22 flikte grundsätzlich durch Abwägung im Einzelfall aufzulösen sind, in deren Rahmen ein optimaler Ausgleich der einzelnen Ziele (im Sinne größtmöglicher praktischer Konkordanz) anzustreben ist.74 Ein Vorrang einzelner Ziele ergibt sich auch nicht, soweit das Binnenmarktziel u.a. auf die Herausbildung einer einheitlichen Regulierungspraxis und Rechtsanwendung gerichtet ist. Denn auch hieraus ergibt sich keine Vorrangregelung, sondern lediglich die Maßgabe einer binnenmarktkompatiblen Zielverwirklichung.
b) Besondere Vorgaben für das Zusammenspiel der Regulierungsziele im Bereich der wettbewerbsfördernden Marktregulierung?
Der allgemeine Geltungsanspruch von Art. 8 der Rahmenrichtlinie spricht des Weiteren dafür, dass insbesondere auch die im Fokus der vorliegenden Studie stehenden Maßnahmen der wettbewerbsfördernden Marktregulierung gleichermaßen der Wettbewerbsförderung, der Entwicklung des Binnenmarktes und den Interessen der Unionsbürger dienen müssen. Die nationalen Regulierungsbehörden müssten sich also bei der Entscheidung über eine Maßnahme der wettbewerbsfördernden Marktregulierung nicht alleine an der Frage orientieren, wie hierdurch der Wettbewerb am besten gefördert werden kann. Sondern sie müssten zugleich und ggf. mit selbem Gewicht berücksichtigen, welche Maßnahmen der Entwicklung des Binnenmarktes, den Interessen der Unionsbürger und ggf. auch dem Netzausbau am besten dienen würden. Damit ist auch im Bereich der wettbewerbsfördernden Marktregulierung die Problematik entsprechender Zielkonflikte angesprochen. Wie soeben dargelegt, ist die Frage, ob solche Zielkonflikte tatsächlich bestehen, generell überaus komplex und kann daher im Rahmen der vorliegenden Studie nicht vertieft werden.75 Das gilt gerade auch in Bezug auf den Bereich der wettbewerbsfördernden Marktregulierung. Mit Blick auf einen etwaigen Reformbedarf des Rechtsrahmens soll es deshalb insoweit ebenfalls mit dem rein empirischen Befund sein Bewenden haben, dass in der Regulierungspraxis ganz verbreitet von entsprechenden Zielkonflikten ausgegangen wird.76
23 aa) Primäre Ausrichtung am Wettbewerbsziel?
Fraglich ist jedoch, ob diese Prämisse zutrifft, ob die politischen Ziele des Rechtsrahmens also wirklich als allgemeingültige Entscheidungsvorgaben auch für Maßnahmen der wettbewerbsfördernden Marktregulierung prinzipiell gleichrangig zu beachten sind oder ob dem Wettbewerbsziel in diesem Bereich besondere Bedeutung zukommt. Denn bereits in Art. 8 Abs. 1 UAbs. 2 der Rahmenrichtlinie wird – wenn auch im spezifischen Kontext der Technologieneutralität – auf „Aufgaben, die der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs dienen“, Bezug genommen. Hieraus ergibt sich, dass bestimmte Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden spezifisch der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs dienen. Zugleich wird ihnen durch die ausdrückliche Nennung in der Grundsatznorm des Art. 8 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie eine hervorgehobene Bedeutung eingeräumt. Das könnte dafür sprechen, dass die betreffenden Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden zumindest unmittelbar allein oder jedenfalls in allererster Linie dem Wettbewerbsziel dienen und nicht gleichermaßen den im Weiteren entfalteten Zielsetzungen.
Dieses Verständnis wird durch die Entstehungsgeschichte des Rechtsrahmens unterlegt: Im Kommunikationsbericht 1999 als der zentralen Grundlage des Rechtsetzungsverfahrens hatte die Kommission betont, dass der seinerzeit bestehende Rechtsrahmen für die Telekommunikation in erster Linie darauf ausgerichtet war, den Übergang von den ehemaligen Fernmeldemonopolen zum Wettbewerb zu steuern, mit einem sich daraus ergebenden Fokus auf die Schaffung eines wettbewerbsorientierten Marktes und auf die Rechte neuer Marktteilnehmer.77 Der 1999 angestoßene Reformprozess, der in den jetzigen Rechtsrahmen des Jahres 2002 mündete, sollte den Wettbewerb in allen Marktsegmenten verstärken.78 Mit zunehmender Wettbewerbsorientierung sollte dabei die als Ersatz für den Wettbewerb eingeführte Regulierung allmählich reduziert werden, so dass sich die Regulierung nach und nach auf diejenigen Bereiche beschränken kön- 24 ne, in denen die politischen Ziele durch Wettbewerb allein nicht erreicht werden können.79 Diesbezügliche Regulierung sei erforderlich, weil der Wettbewerb und ein freier Markt nicht gewährleisten könnten, dass alle politischen Ziele erreicht werden.80
In diesen grundsätzlichen Überlegungen zur damaligen Reform des Rechtsrahmens kommen sehr deutlich zwei Aspekte zum Ausdruck: Zum einen wurde die Regulierung jedenfalls im Wesentlichen als „Ersatz für den Wettbewerb“ eingeführt.81 Und zum anderen sollten die politischen Ziele zumindest grundsätzlich durch Wettbewerb allein erreicht werden, so dass es nach Erreichung des Wettbewerbsziels nur noch einer auf bestimmte Bereiche beschränkten Regulierung (etwa zum Daten- und Verbraucherschutz) bedürfte. Die Förderung von Wettbewerb erweist sich insoweit also nicht nur als (auf einer ersten Stufe) zu erreichendes Ziel der Regulierung, sondern auch (auf einer zweiten Stufe) als Vehikel zu Erreichung der weitergehenden politischen Ziele.
Weiter bestätigt die Entstehungsgeschichte, dass diese „Zwitternatur“ des Wettbewerbsziels für einen – wesentlichen – Teil der durch den Rechtsrahmen etablierten Regulierung relevant ist, der sich dadurch von den anderen Regulierungsaufgaben unterscheidet. Ausdrücklich heißt es dazu im Kommunikationsbericht 1999:
„Der bestehende Rechtsrahmen für Telekommunikation enthält zwei unterschiedliche Arten der Regulierung. Die erste – Bestimmungen zur Erreichung von Zielen allgemeinen Interesses – wird bestehen bleiben und adaptiert werden, um ihre Wirksamkeit auf einem in Entwicklung befindlichen Sektor sicherzustellen. Die zweite – die primär auf eine Steuerung des Übergangs zum Wettbewerb ausgerichtete Regulierung – konzentrierte sich auf das Verhalten der etablierten Anbieter und die Rechte von neuen Mitbewerbern. In dem neuen Rechtsrahmen wird die letztgenannte Art der Regulierung der Akteure in dem Maße, in dem 25 die Märkte wettbewerbsorientierter werden, nach und nach reduziert.“82
Auch an anderer Stelle wird darauf Bezug genommen, dass der seinerzeit geltende Rechtsrahmen „zu einem Großteil mit der Notwendigkeit befaßt [sei], einen Wettbewerbsmarkt zu schaffen“, wohingegen „viele dieser Bestimmungen nicht mehr erforderlich“ seien, „[w]enn ein wettbewerbsorientierter Markt einmal effektiv besteht“, so dass im „neuen Rechtsrahmen ... Mechanismen ( z.B. beschränkte Geltungsdauern) vorgesehen sein [sollten], nach denen bestimmte Grundregeln regelmäßig auf ihre weitere Notwendigkeit hin überprüft werden“.83
Dieser Regulierungsansatz wurde zuletzt durch die Überarbeitung des Rechtsrahmens im Jahr 2009 explizit bestätigt. So heißt es in Erwägungsgrund 5 S. 1 der „Bessere Regulierung“-Richtlinie:
„Das Ziel besteht darin, die sektorspezifische Vorabregulierung je nach der Wettbewerbsentwicklung auf den Märkten schrittweise abzubauen und letztendlich die elektronische Kommunikation nur durch das Wettbewerbsrecht zu regeln.“
Bei dieser wettbewerbsfördernden Regulierung, die regelmäßig auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen und mit zunehmendem Wettbewerb zurückzuführen ist, handelt es sich offensichtlich um die wettbewerbsfördernde Marktregulierung nach Art. 15, 16 der Rahmenrichtlinie i.V.m. Art. 8 ff. der Zugangsrichtlinie und Art. 17 der Universaldienstrichtlinie. Mit der Pflicht zur turnusmäßigen Überprüfung seiner Anwendungsvoraussetzungen (Marktdefinition und Marktanalyse) trägt dieser Teil der Marktregulierung dem genannten Ziel einer automatischen Anpassung des Regulierungsumfangs an den Stand des erreichten Wettbewerbs Rechnung. In der systematischen Ausgestaltung dieser Vorschriften ist der bei Schaffung des Rechtsrahmens im Jahr 2002 und seiner Reform im Jahr 2009 verfolgte Regulierungsansatz somit letzten Endes auch erkennbar normativ verankert und für den überarbeiteten Rechtsrahmen bestätigt worden: Sobald 26 auf einem Markt wirksamer Wettbewerb geschaffen wurde, fehlt es an der zentralen Voraussetzung für die Auferlegung von Maßnahmen der wettbewerbsfördernden Marktregulierung (Art. 16 Abs. 3 der Rahmenrichtlinie, Art. 8 Abs. 3 UAbs. 1 der Zugangsrichtlinie, Art. 17 Abs. 5 der Universaldienstrichtlinie). Entsprechende Regulierungseingriffe (auf der Grundlage von Art. 8 bis 13 der Zugangsrichtlinie und Art. 17 der Universaldienstrichtlinie) sind in diesem Fall nicht mehr möglich, selbst wenn sie mit Blick auf das Binnenmarkt- oder Bürgerziel für wünschenswert gehalten würden (etwa weil sich im freien Wettbewerbsprozess in einem Mitgliedstaat andere Zugangsbedingungen herausgebildet haben sollten als in einem anderem Mitgliedstaat). Vereinfacht formuliert: Hat die wettbewerbsfördernde Marktregulierung einen Wettbewerbsmarkt hervorgebracht, ist sie nicht mehr erforderlich und infolgedessen auch schlichtweg nicht mehr anwendbar (da der Drei-Kriterien-Test keinen Regulierungsbedarf mehr anzeigt und/oder wirksamer Wettbewerb besteht). Das spricht deutlich dafür, dass sie damit auch ihr primäres Ziel erreicht hat, will man dem Richtliniengesetzgeber keinen dysfunktionalen Regulierungsansatz unterstellen.
Die wettbewerbsfördernde Marktregulierung ist somit jedenfalls in allererster Linie auf die Schaffung von Wettbewerb gerichtet und in dieser funktionalen Ausrichtung explizit von den anderen Regulierungsmaßnahmen zu unterscheiden, die der Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation vorsieht. Hierzu zählen auch sonstige Aufgaben der Marktregulierung, wie insbesondere die allgemeine Zugangs- und Zusammenschaltungsregulierung nach Art. 4 und 5 der Zugangsrichtlinie, da diese normativ nicht vom Stand des erreichten Wettbewerbs abhängig ist und insoweit auch keiner automatischen Anpassung unterliegt.
Von ihrer konzeptionellen Ausrichtung war und ist die wettbewerbsfördernde Marktregulierung daher gerade nicht gleichermaßen offen für die Verwirklichung der weitergehenden Zielsetzungen, wie sie sich aus Art. 8 Abs. 3 und 4 der Rahmenrichtlinie und zukünftig einem evtl. weiteren Investitionsziel ergeben. Sie ist vielmehr allein oder zumindest primär auf die Schaffung von Wettbewerb gerichtet. Das wurde im Kommunikationsbericht 1999 besonders pointiert in Bezug auf die Regulierung von Zugangsentgelten formuliert: 27
„Hinsichtlich der Zusammenschaltung und des Zugangs sollte jeder Regulierungseingriff in die Preisgestaltung eine Reihe von Signalen zur Förderung des Wettbewerbs vorsehen, um tatsächlich vom Markt bestimmte Ergebnisse zu gewährleisten.“84
Der Regulierungseingriff soll also den Wettbewerb fördern, damit Wettbewerbsergebnisse erzielt werden. Es wird demgegenüber nicht darauf abgehoben, ob diese Ergebnisse auch den Interessen der EU-Bürger, dem Binnenmarkt oder einem etwaigen Investitionsziel dienen. Das belegt deutlich die teleologische Fokussierung der wettbewerbsfördernden Marktregulierung auf das Wettbewerbsziel. Angesichts der Entstehungsgeschichte des Rechtsrahmens, der sie bestätigenden Richtlinienerwägung aus dem Jahr 2009 und der systematischen Ausgestaltung der Vorschriften zur wettbewerbsfördernden Marktregulierung spricht daher viel dafür, dass sich entsprechende Regulierungsmaßnahmen de lege lata zumindest in allererster Linie an diesem Regulierungsziel auszurichten haben, also an der Förderung des Wettbewerbs.
bb) Regulierungspraxis
Die Regulierungspraxis greift demgegenüber auch im Bereich der wettbewerbsfördernden Marktregulierung auf die Gesamtheit der (drei) Regulierungsziele aus Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Rahmenrichtlinie zurück. So ist der EuGH etwa ohne weiteres davon ausgegangen, dass die in Art. 8 Abs. 1 (S. 1) der Rahmenrichtlinie vorgesehene Verpflichtung der nationalen Regulierungsbehörden auf die Regulierungsziele nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie auch bei der Marktdefinition und -analyse85 und bei der Auferlegung von Vorabverpflichtungen im Zugangsbereich86 zum Tragen kommt. Entsprechend hat er entschieden, dass auch eine Zugangsverpflichtung nach Art. 12 der Zugangsrichtlinie „unter Berücksichtigung der in Art. 8 der Rahmenrichtlinie genannten Ziele festgesetzt werden“87 28 müsse.88 Und die Kommission hat im Rahmen der Konsolidierungs- und Koordinierungsverfahren nach Art. 7, 7a der Rahmenrichtlinie immer wieder insbesondere auch das Binnenmarktziel nach Art. 8 Abs. 3 der Rahmenrichtlinie belastet.89 Diese Regulierungspraxis steht im Einklang mit der herkömmlichen Sichtweise im wissenschaftlichen Schrifttum.
Das ihr zugrundeliegende Verständnis kann sich zum einen darauf stützen, dass die in Art. 8 Abs. 2 bis 4 der Rahmenrichtlinie ausdifferenzierten Ziele nach dem systematischen Ansatz von Art. 8 Abs. 1 UAbs. 1 der Rahmenrichtlinie zunächst einmal Geltung für alle Maßnahmen der nationalen Regulierungsbehörden beanspruchen.90 Auch ist in Art. 8 Abs. 1 UAbs. 2 der Rahmenrichtlinie nicht davon die Rede, dass es Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden gibt, die nur der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs dienen. Das lässt Raum für ein Verständnis, dem zufolge es dort lediglich um Aufgaben geht, die auch der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs dienen.
Und zum anderen nehmen mit Art. 8 der Zugangsrichtlinie und Art. 17 der Universaldienstrichtlinie die maßgeblichen Vorschriften zur wettbewerbsfördernden Marktregulierung ausdrücklich auf die Ziele nach Art. 8 der Rahmenrichtlinie Bezug91, beziehen sich also zumindest dem Wortlaut nach auf alle dort vorgegebenen Regulierungsziele und nicht allein auf das Wettbewerbsziel.92 Entsprechendes gilt für die Vorschriften in Art. 7, 7a der Rahmenrichtlinie, in denen auch die in Art. 8 der Rahmenrichtlinie genannten Ziele als materieller Maßstab für das Konsolidierungs- bzw. Koordinierungsverfahren genannt werden.93
Vor diesem Hintergrund ist mit Blick auf die praktische Anwendung des Rechtsrahmens davon auszugehen, dass auch die wettbewerbsfördernde 29 Marktregulierung am gesamten Zielkatalog des Art. 8 der Rahmenrichtlinie auszurichten ist.
4. Zwischenergebnis
Dem geltenden Rechtsrahmen liegen damit insgesamt drei Zielbestimmungen zugrunde:
– Das Wettbewerbsziel umfasst die Sicherstellung eines unverfälschten und unbeschränkten Wettbewerbsprozesses, der letzten Endes dem öffentlichen Interesse, den einzelnen Unternehmen und den Verbrauchern dient, indem insbesondere den Nutzern der größtmögliche Nutzen in Bezug auf Auswahl, Qualität und Preise zukommt.
– Das Binnenmarktziel ist insbesondere darauf gerichtet, die Entstehung grenzüberschreitender Netze und europaweiter Dienste sowie eine durchgehende Konnektivität zu fördern und u.a. durch die Herausbildung einer einheitlichen Regulierungspraxis und Rechtsanwendung alle Hindernisse für eine nicht an mitgliedstaatliche Grenzen gebundene Betätigung im Bereich der elektronischen Kommunikation zu beseitigen.
– Das Bürgerziel umfasst alle denkbaren Interessen der EU-Bürger, wobei für die Zwecke der hiesigen Untersuchung insbesondere das Interesse an einer telekommunikativen Grundversorgung (Universaldienst), das Interesse an einer Freiheit als – informierter – Nachfrager, das Interesse an einem möglichst attraktiven Angebot zu möglichst niedrigen Preisen und das Interesse an einer umfassenden Konnektivität (Ende-zu-Ende-Verbund) zu nennen sind.
Diese Ziele sind grundsätzlich gleichwertig. Das gilt auch für das Binnenmarktziel. Dieses ist zwar u.a. auf die Schaffung und harmonisierte Anwendung eines einheitlichen Rechtsrahmens gerichtet. Auch hieraus ergibt sich allerdings keine Vorrangregelung, sondern lediglich die Maßgabe einer binnenmarktkompatiblen Zielverwirklichung.
Demgegenüber sprechen sowohl die legislatorischen Erwägungen bei der Schaffung des Rechtsrahmens, die bei seiner Reform im Jahr 2009 ausdrücklich bestätigt wurden, als auch der gewählte Regulierungsansatz da- 30 für, dass die Regulierung im Bereich der wettbewerbsfördernden Marktregulierung zumindest in allererster Linie an dem Wettbewerbsziel auszurichten ist. Die Regulierungspraxis einschließlich der Rechtsprechung des EuGH gehen allerdings auch in diesem Bereich bislang von der Geltung aller drei Regulierungsziele aus, ohne dem Wettbewerbsziel insoweit besonderes Gewicht einzuräumen.
Zu guter Letzt ist ein Investitionsziel im aktuellen Rechtsrahmen nicht vorgesehen. Die Förderung effizienter Investitionen (in neue und verbesserte Infrastrukturen) ist jedoch in Form eines Regulierungsgrundsatzes als Mittel zur Erreichung aller drei Regulierungsziele bereits jetzt vorgegeben.