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Sicherheit, Gefahr, Risiko und Vorsorge im Lebensmittelrecht: Ein Beitrag zur Klärung von Begrifflichkeiten und Konzeption in der BasisVO [Verordnung (EG) Nr. 178/2002] (2025), S. Seite 102, Seite 103 
III. Die Relevanz der sog. anderen … 
Alexander Thomas Lang 

III. Die Relevanz der sog. anderen Faktoren für die Bestimmung der Akzeptabilität

Soweit zu Beginn des hiesigen Abschnittes 687 die Frage nach der Akzeptabilität eines Risikos und einer damit einhergehenden Eingriffsschwelle für Risikomanagementmaßnahmen aufgeworfen bzw. im Rahmen der vorstehenden Ausführungen 688 der Versuch einer klärenden Darstellung in Bezug auf die dementsprechende Einbeziehung der Ergebnisse der Risikobewertung und der anderen berücksichtigenswerten Faktoren unternommen wurde, so erscheinen die Konturen einerseits zwar ein wenig klarer, andererseits aber doch noch verworrener als zuvor. Denn während ebenso in Anknüpfung an den Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 BasisVO wie auch an den des Erwägungsgrundes 19 BasisVO (zunächst) der Eindruck entstanden ist, dass auch die sog. anderen Faktoren Auswirkungen auf eben diese Frage der Akzeptabilität eines Risikos zeitigen, so stellt sich nun jedoch die Folgefrage, ob dies tatsächlich der Fall ist oder sein kann.

Berücksichtigt man nämlich die Konsequenzen, welche sich insbesondere aus den einschlägigen Grundrechten in ihrer schutzpflichtenrechtlichen Dimension zugunsten der Verbraucherschaft ergeben, 689 sowie die Evidenz des lebensmittelrechtlichen Primärziels eines hohen Gesundheitsschutzniveaus, unterstreichen beiderlei gleichermaßen nicht nur das Primat der Erstrangigkeit der Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobewertung, sondern deuten mitunter sogar darauf hin, dass allein diese Bewertungen entscheidend sind, um das Ob – und somit eine Eingriffsschwelle – für weitergehende Risikomanagemententscheidungen zu begründen und die sog. anderen Faktoren lediglich im Zusammenhang mit dem Wie des Risikomanagements zum Tragen kommen. Dem einschlägigen Schrifttum, welches sich mit solchen oder ähnlichen Fragen der lebensmittelrechtlichen Risikobewältigung auseinandergesetzt hat, lässt sich jedenfalls eine Tendenz entnehmen, die stark auf Seite 102 jene letztgenannte Stoßrichtung hindeutet, 690 ohne dies jedoch stets so klar zu benennen. 691

Vor dem Hintergrund dieses Ansatzes lohnt sich dementsprechend ein erneuter Blick in die relevanten Wortlaute des Erwägungsgrundes 19 und des Art. 6 Abs. 3 BasisVO. Entscheidend im Rahmen des Erwägungsgrundes 19 ist hierbei die Textstelle zu Anfang, die lautet:

Es wird allgemein anerkannt, dass die wissenschaftliche Risikobewertung allein in manchen Fällen nicht alle Informationen liefert, auf die sich eine Risikomanagemententscheidung gründen sollte (…)

und den Passus „gründen sollte 692 verwendet, insoweit also weder die Lesart, dass die sog. anderen Faktoren bereits für die Frage der Akzeptabilität eine Rolle spielen, noch die Stoßrichtung ausschließt, dass ebendiese lediglich die Auswahl der Handlungsmöglichkeiten betrifft.

Unter neuerlicher Betrachtung erscheint hingegen möglicherweise der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 BasisVO ergiebiger, der am Ende doch klarstellt, dass Risikomanagementmaßnahmen dem Zweck dienen, „die allgemeinen Ziele des Lebensmittelrechts gemäß Art. 5 zu erreichen“, welche eben primär ein hohes Maß an Schutz für das Leben und die Gesundheit und der Verbraucherinteressen darstellen sowie sekundär auch den Schutz der Tiergesundheit, des Tierschutzes, des Pflanzenschutzes und der Umwelt einbeziehen, 693 hierbei aber Seite 103 nur partielle Überschneidungen mit den in Erwägungsgrund 19 bezeichneten sog. anderen Faktoren aufweisen. 694 Mitunter könnte dies darauf hindeuten, dass tatsächlich für die Frage des Ob des Tätigwerdens vorrangig die jeweiligen Ergebnisse der Risikobewertung heranzuziehen sind, da gerade diese das in Rede stehende Risiko wissenschaftlich fundiert beschreiben bzw. eine abgestufte Aussage darüber treffen, inwieweit die menschliche Gesundheit überhaupt berührt ist 695 und die anderen berücksichtigenswerten Faktoren sodann abhängig von dem konstatierten Risikograd und der wissenschaftlichen Gewissheit respektive Ungewissheit 696 entweder, nämlich dann, wenn diese ein Tätigwerden erfordern, einzig für das Wie, also die Auswahl und die konkrete Ausgestaltung der Risikomanagementmaßnahmen eine Rolle spielen, um den unterschiedlichen Wahrnehmungen in und aus der Verbraucherschaft gerecht zu werden bzw. die Durchführung der Maßnahmen auf eine breite Akzeptanz 697 zu stellen oder eben, wenn diese – der Risikograd oder die wissenschaftliche Gewissheit – so gering sind, als dass nach dem Untermaßverbot ein Tätigwerden gerade nicht zwingend erforderlich erscheint, auch eine weitergehende Berücksichtigung erfahren können. 698 Gleichwohl bedarf es hierfür konkretisierter Vorgaben, die sich nicht allein in Art. 6 Abs. 3 BasisVO bzw. dem Risikobegriff aus Art. 3 Nr. 9 BasisVO erblicken lassen. 699

687

687 Siehe hierzu die einleitenden Ausführungen unter Teil 3.A.

688

688 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.A. I. und II.

689

689 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 3.A.II.1. und 3.

690

690 So bspw. Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 113; Roth, Die allgemeine Lebensmittelüberwachung als Instrument des Verbraucherschutzes, S. 70; Thilo Ortgies, Rechtliches Risikomanagement im Lebensmittelrecht, S. 272.

691

691 Roth, Die allgemeine Lebensmittelüberwachung als Instrument des Verbraucherschutzes, S. 70 erkennt zwar die Vorrangigkeit der Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse klar an und verweist in Bezug auf die anderen Faktoren auf die „Entwicklung und Abwägung der Handlungsalternativen“, vermischt dies aber wiederum mit Fragen der Akzeptabilität und bezeichnet „das jeweils anzustrebende Schutzniveau bzw. die noch tolerierbaren Restrisiken“ als „politische Wertungsentscheidung“; sehr viel klarer Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, S. 113, der die anderen Faktoren bei der „Auswahlentscheidung“, also dem Wie verortet; weniger eindeutig Thilo Ortgies, Rechtliches Risikomanagement im Lebensmittelrecht, S. 272 und 453, der vertritt, das „’richtige‘ Verbraucherschutzniveau [müsse] politisch gewonnen werden“; diese Frage offen lassend Meisterernst, Lebensmittelrecht, S. 30; eher pauschal Meisterernst, in: Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, Art. 3 BasisVO, Rn. 53; sehr eindeutig hingegen, ohne das jedoch näher auszuführen Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (ehem. Zipfel/Rathke), Art. 6 BasisVO, Rn. 79a.

692

692 Im Vergleich zu anderen Sprachfassungen: should be based , englisch: sollte basieren (https://www.deepl.com/de/translator#en/de/should%20be%20based%0A [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]); doit se fonder , französisch: basieren sollte (https://www.deepl.com/de/translator#fr/de/lesquelles%20une%20d%C3%A9cision%20de%20gestion%20des%20risques%20%0Adoit%20se%20fonder%20%0A [zuletzt abgerufen, am: 11.03.2024]).

693

693 Siehe zur Rangfolge der allgemeinen Ziele des Lebensmittelrechts aus Art. 5 Abs. 1 BasisVO bereits die Ausführungen unter Teil 3.A. I.2.

694

694 Siehe hierzu ebenfalls bereits die Ausführungen unter Teil 3.A. I.2.

695

695 Siehe hierzu die Ausführungen unter Teil 2.B.II.

696

696 Zur Einbeziehung anderer Faktoren im Falle wissenschaftlicher Unsicherheit siehe unter Teil 5.B.II.

697

697 Siehe hierzu bereits die Ausführungen unter Teil 3.A. I.1.

698

698 Zu dieser Verdichtung der staatlichen Schutzpflichten siehe insbesondere Frenz, ZG 2002, 226, 228; Bauschke, Verbraucherschutz im öffentlichen Recht aus Sicht des Lebensmittelrechts, S. 97.

699

699 Siehe hierzu bereits die vorstehenden Ausführungen unter Teil 3.A.II.3. a.E.

 
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