20 Jahre Euro: Herausforderungen der Europäischen Währungsunion
2019 begehen wir den 20. Geburtstag des Euro. In diesen zwei Jahrzehnten hat sich der geldpolitische Handlungsrahmen des Euro als erfolgreich erwiesen, und das Gründungsversprechen einer stabilen Währung wurde eingelöst: Die jahresdurchschnittlich realisierte Inflationsrate im Euroraum seit 1999 beträgt 1,7 Prozent. Damit ist der Euro stabiler als all seine Vorgängerwährungen, die D-Mark eingeschlossen.
Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass in diese Zeit auch die Jahre der Finanz- und Staatsschuldenkrise gefallen sind. Sie haben die Währungsunion mehrfach auf die Probe gestellt. Man könnte also sagen, der Euro hatte eine unbeschwerte Kindheit, aber eine schwierige Jugend. Wenn die Krise etwas Gutes mit sich gebracht hat, dann, dass sie uns die Augen für die Schwachstellen im institutionellen Rahmen der Währungsunion geöffnet hat.
Die bisherigen Schwierigkeiten haben einen Lernprozess in Gang gesetzt, und es sind auf institutioneller Ebene etliche Fortschritte erzielt worden. So haben der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Europäische Bankenunion im Zusammenwirken mit einer strengeren Finanzmarktregulierung die Währungsunion zweifellos stabiler gemacht. Käme es zu neuen Verwerfungen im Finanzsystem oder in einzelnen Mitgliedstaaten, wären wir heute deutlich besser darauf vorbereitet als in den Hochphasen der europäischen Finanz- und Schuldenkrise. Nachhaltig krisenfest ist der Ordnungsrahmen der Währungsunion aber noch nicht. Und deswegen sind weitere Reformschritte nötig.
Die Leitlinie muss dabei sein, dass Handeln und Haften zueinanderpassen. Das ergibt sich aus der Architektur der Währungsunion. Es gibt zwar eine gemeinsame Geldpolitik im Euroraum, aber die Finanz- und Wirtschaftspolitik liegt weiterhin in der nationalen Kompetenz der einzelnen Eurostaaten. In dieser Konstruktion sind verantwortungsvolle Entscheidungen nur zu erwarten, wenn derjenige, der entscheidet, auch für die wirtschaftlichen Folgen dieser Entscheidung einstehen muss – und nicht im Zweifel andere.
Diese Logik war im EU-Vertrag ursprünglich klar unterlegt. Der Vertrag von Maastricht sah für die Finanzpolitik nationale Eigenverantwortung vor. Mit der No-Bailout-Klausel (Art. 125 AEUV) wurde eine gegenseitige Haftung sogar explizit ausgeschlossen. Handeln und Haften wurden also auf der nationalen Ebene verortet. Wie wir alle feststellen mussten, wurden ungeachtet dessen in der Krise zunehmend Haftungsrisiken – explizit und implizit – vergemeinschaftet.
Damit der nach wie vor gültige “Maastricht-Rahmen” wieder besser funktioniert, ist die No-Bailout-Regel glaubwürdig zu reaktivieren. Konkret heißt das, dass in letzter Konsequenz eine Umschuldung oder Restrukturierung von Staatsschulden möglich sein muss, ohne das Finanzsystem dadurch in die Knie zu zwingen.
Maßnahmen, die hier ansetzen würden, sind automatische Laufzeitverlängerungen von ausstehenden Anleihen eines “Problemstaates” in Verbindung mit einem geordneten Restrukturierungsverfahren sowie die regulatorische Entprivilegierung von Staatsanleihen.
Eine automatische Laufzeitverlängerung bei Beantragung eines ESM-Rettungsprogramms – die Bundesbank schlägt beispielsweise eine dreijährige Prolongation vor – würde bewirken, dass private Gläubiger in der Verantwortung bleiben und nicht wie bislang zulasten öffentlicher Hilfsgelder ausgezahlt werden. Zudem wäre den privaten Investoren klar, dass sie bei einem doch notwendigen Schuldenschnitt herangezogen werden könnten – ihr Risiko wäre entsprechend erhöht, was tendenziell zu einer stärkeren Disziplinierung der Fiskalpolitik durch die Finanzmärkte beitragen dürfte. Eine angemessene Eigenkapitalunterlegung staatlicher Risiken würde Banken überdies veranlassen, nicht mehr so viele Staatsanleihen, insbesondere ihres Heimatlandes, zu halten und für Verluste mehr Vorsorge zu treffen. Damit wäre eine Restrukturierung von Staatsschulden für das Bankensystem besser verkraftbar.
Darüber hinaus sollte die Bindungswirkung der Verschuldungsregeln weiter gestärkt werden. Es hat sich gezeigt, dass die EU-Kommission, da sie ihre Rolle überwiegend politisch wahrnimmt, nur bedingt zur Überwachung der fiskalischen Vorgaben geeignet ist. Eine unabhängige Institution wäre hierzu besser in der Lage, denn sie stünde nicht im Konflikt, gleichzeitig auch andere Politikziele erreichen zu müssen. Diese Rolle könnte aus Sicht der Bundesbank beispielsweise der ESM übernehmen.
Derzeit gibt es etliche Vorschläge – etwa von der Kommission oder aus Frankreich –, wie die Währungsunion weiterentwickelt und stabilisiert werden kann. Das ist positiv, denn es zeigt, dass breiter Konsens besteht, dass die Währungsunion in ihrer jetzigen Verfassung “unvollendet” ist. Allerdings werden die Reformvorschläge überwiegend nicht von der Idee geprägt, die nationale Eigenverantwortung zu stärken. Ob zusätzliche finanzielle Mittel zur Absicherung von asymmetrischen Schocks, die Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds mit mehr Einfluss der Kommission oder die Forderung nach einer europäischen Einlagensicherung – hinter diesen Vorschlägen steht die Annahme, dass der Euroraum stabiler würde, wenn die Mitgliedstaaten Risiken teilen.
Die Grundüberzeugung der Bundesbank ist: Damit der Euro “wetterfest” wird, muss uns das Prinzip “Handeln und Haften in einer Hand” bei den künftigen Reformarbeiten leiten. Bei der Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens der Währungsunion sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Es ist besser, wir gehen kleine Schritte in die richtige Richtung als große Schritte in die falsche.
Franz Josef Benedikt, Präsident der Hauptverwaltung in Bayern der Deutschen Bundesbank, München